Windräder und Wachstum: Über eine neue ökologische Industriepolitik

Dr. Wolfgang DierkerApple Germany & Austria

Krieg, Inflation, Rezession – Deutschland kämpft mit den Folgen des russischen Angriffs auf die Ukraine, mit Lieferkettenstörungen und den Konsequenzen der Pandemie. Doch die Bundesregierung hält an der Klimatransformation fest.

Vier bis fünf Windräder am Tag, während das Wachstum nachlässt. Bundeskanzler Scholz sagte in Meseberg, man werde die deutsche Wirtschaft mit großer Geschwindigkeit so umbauen, „dass wir CO2-neutral wirtschaften können“. Um besser zu verstehen, wie das gehen kann, lohnt ein ausführlicher Blick auf den Begriff der „ökologischen Industriepolitik“.

Emissionsminderung unter anderem in der Industrie

Um die globalen Klimaziele zu erreichen, ist in Deutschland eine drastische Emissionsminderung in allen Sektoren erforderlich. Neben Energiewirtschaft, Gebäuden, Verkehr und Landwirtschaft kommt der Industrie eine Schlüsselrolle zu.

Sie hat eigentlich zwei Aufgaben: es geht um Emissionsminderungen in der Industrie, also in den Produktionsprozessen, und um Beiträge durch die Industrie in Form von ressourcenschonenden Produkten und emissionsfreien Verfahren. Letzteres erscheint zentral.

Die ermöglichende und gestaltende Rolle der Industrie muss neben der Emissionsminderung zugleich auch soziale Gerechtigkeit und wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit in den Blick nehmen.

Barbara Praetorius und Wolfgang Dierker

Denn die notwendige Beschleunigung der Dekarbonisierung ist nur dann durchsetzbar, wenn Bürger und Unternehmen sie mittragen und sowohl Standortpolitik als auch Verteilungsfragen und -ängste adressiert werden. 

Als Teil eines umfassenden gesellschaftspolitischen Begriffs von Klimapolitik läuft dies auf ein systematisches Verständnis von technologischer Modernisierung und zugleich des Verhältnisses von Staat und Industrie hinaus, die als „neue ökologische Industriepolitik“ bezeichnet werden kann.

Eine neue ökologische Industriepolitik

Der ursprüngliche Begriff wurde nach 2000 im damals SPD-geführten Bundesumweltministerium entwickelt. Die politischen Rahmenbedingungen für die Industrie sollten von vorwiegend ökonomischen, auf Wettbewerbsfähigkeit gerichteten Zielen gelöst und stattdessen Soziales und Ökologie in den Mittelpunkt gerückt werden.

Dreh- und Angelpunkt war die wachsende Bedeutung von Umweltgütern auf den Weltmärkten: Die höchsten Gewinne und die meisten Arbeitsplätze würden dort entstehen, wo Unternehmen sich frühzeitig auf umweltfreundliche Produkte und Dienstleistungen („grüne Technologien“) ausrichteten. Die Industriepolitik habe demzufolge die Aufgabe, das Entstehen solcher grünen Leitmärkte und den Erfolg der Unternehmen darin zu fördern. So könne der Staat wirtschaftliche, ökologische und soziale Ziele zugleichverfolgen.

Weder das Konzept der „ökologischen Industriepolitik“ noch der Gedanke einer staatlichen Steuerung des klima- und umweltfreundlichen Strukturwandels sind also neu. Doch in der Verknüpfung von Emissionsminderungen in der Industrie mit deren Rolle als Treiberin des technologischen Wandels zum Klimaschutz setzt sich die Ampel-Koalition von früheren Bundesregierungen ab.

Insgesamt soll es zu einer weitaus engeren Verbindung der Industriepolitik mit ökologischen und sozialen Zielen kommen, um den globalen Umweltherausforderungen zu begegnen.

Barbara Praetorius und Wolfgang Dierker

In naher Zukunft wird die Bundesregierung zu einer stärkeren staatlichen Planung und Steuerung des Wirtschaftsgeschehens kommen (müssen), um die angepeilte Emissionssenkung zu erreichen. Als zentrales Motiv wird dabei angeführt, deutsche und europäische Unternehmen im weltweiten Wettbewerb um Marktanteile bei den Umwelt- und Klimatechnologien zu unterstützen. Dies könne durch die Schaffung grüner Leitmärkte geschehen, die es Unternehmen erlaubt, die entsprechenden Produkte besonders gewinnbringend abzusetzen. Im Sinne einer ökologischen Industriepolitik erfordert das staatliche Fördermaßnahmen für Forschung und Entwicklung, die Lenkung und Unterstützung von Investitionen in Klimatechnologien sowie marktliche Anreize durch eine ökologisch ausgerichtete Finanz- und Steuerpolitik.

Balance zwischen Markt und Staat wird neu verhandelt

Aus Sicht der politischen Akteure geht es also um mehr als um die Optimierung von Emissionshandel und CO2-Preisen, um die Märkte bestmöglich zu korrigieren und sie dann wieder sich selbst zu überlassen. Vielmehr wird zurzeit die Balance von Markt und Staat, von privatwirtschaftlichem Wettbewerb um Effizienz und technologische Innovation grundsätzlich neu verhandelt. 

Der Erfolg der neuen Klimapolitik hängt von langfristig verankerten politischen und gesellschaftlichen Voraussetzungen ab. „Technologie“ darf nicht als Black Box zur Lösung aller Probleme in Klimaschutz und Nachhaltigkeit gesehen werden. Bezeichnend irreführend ist etwa die Gleichsetzung von Klimaschutz und Mondlandung: ging es bei der Apollo-Mission um ein begrenztes, technisches Problem, das durch ein organisatorisches Projekt gelöst wurde (vergleichbar den aktuellen Bemühungen um die Kernfusion), handelt es sich beim globalen Klimaschutz letztlich um eine gesellschaftliche Herausforderung, zu dessen Lösung der Staat eine Vielzahl von Instrumenten einsetzen und mit großen Unsicherheiten umgehen muss.

So ist eine steigende Nachfrage nach Umweltgütern im Ausland und der Zugang zu diesen Märkten keineswegs gewiss. Auch können industriepolitische Maßnahmen im Inland mit ihrer Umlenkung der Nachfrage auch Verlierer produzieren, etwa indem emissionsintensive Industrien niedergehen und damit auch Umsatz, Gewinn und Beschäftigung in diesen Bereichen sinken. 

Ökologische Industriepolitik steht immer im Wettbewerb zu anderen politischen Zielen, die eine schnelle Dekarbonisierung konterkarieren können.

Barbara Praetorius und Wolfgang Dierker

Dazu zählen etwa die Folgen steigender Energiepreise für Unternehmen und Haushalte, der Fachkräftemangel, die Sicherung von Beschäftigung und sozialem Ausgleich, die Haushaltskonsolidierung oder geopolitische Rivalitäten. Ebenso ist ökologische Industriepolitik stets dem Risiko ausgesetzt, durch die staatliche Festlegung auf bestimmte Technologien und Geschäftsmodelle anderen, ebenfalls aussichtsreichen Innovationen die Förderung zu verwehren. Mangelnde Technologieoffenheit kann das Risiko eines späteren Scheiterns der geförderten Unternehmen signifikant erhöhen.

Staatliches Handeln stärker im Vordergrund

Diese Risiken wird die Bundesregierung abwägen müssen, um Zielkonflikte und Effizienzverluste ihrer Politik zu vermeiden. Staatliches Handeln wird weitaus stärker in den Vordergrund rücken, als wir dies bisher gewohnt sind. Gewiss: Nicht der Staat, sondern der private Sektor ist der entscheidende Treiber technologischer Innovationen.

In ihrem Lebenszyklus von der Forschung und Entwicklung über Test- und Demonstrationsprojekte bis hin zur Markteinführung neuer Produkte und der Etablierung neuer Geschäftsmodelle kommt privatwirtschaftlichen Unternehmen, insbesondere aus dem Industriebereich, eine zentrale Rolle zu. Etwa 85% der Technologieinvestitionen werden vom privaten Sektor erbracht, ebenso befinden sich mindestens 90% aller Anlagen und Sachmittel im Besitz von Unternehmen und Privaten (Destatis 2021).

Sowohl die Überlegungen der neuen Bundesregierung zur ökologischen Industriepolitik als auch die Risiken von Fehlanreizen und einer Ablenkung durch andere politische Prioritäten machen deutlich: Staatliches Handeln muss ebenso robust und durchsetzungsstark wie informiert und vorausschauend sein.

Industriepolitische Maßnahmen, die das Marktgeschehen bei einzelnen Technologien, Produkten und Anwendungen einschränken, laufen besondere Gefahr, Fehlanreize zu setzen und Ineffizienzen zu erzeugen. Um dies unter den Bedingungen der sozialen Marktwirtschaft, des demokratischen Rechtsstaats und einer pluralistischen Gesellschaftsordnung zu erreichen, ist ein auf Dauer angelegter Vermittlungs- und Austauschprozess erforderlich.

Er muss so organisiert und durchgeführt werden, dass alle relevanten gesellschaftlichen Gruppen das Ziel der ökologischen Transformation anstreben, ihre Kräfte nutzen und bündeln, und auftretende Konflikte schnell und effektiv moderiert werden.

Weitere Einblicke zum Thema sind zu finden in: Bedingungen einer neuen ökologischen Industriepolitik

Weitere Beiträge zum Thema auf unserem Blog:

Der Staat ist mehr als nur Ordnungsmacht von Milan Babic, Universität Roskilde

Strom statt Gas: Nachhaltige Herstellung von Karosseriebauteilen von Florian Pfeifer, Andre Jungeilges und Jonathan Behm, Universität Paderborn

Ressourceneffizienz durch Ganzheitliche Produktionssysteme und Lean Production von Manuel Weber, VDI



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