Der Staat ist mehr als nur Ordnungsmacht

Milan BabicUniversität Roskilde

Die Rolle des Staates in der Bekämpfung des Klimawandels wird in der öffentlichen Diskussion oft auf seine Regulierungs- und Ordnungsfunktionen verkürzt. Dabei sind Staatsunternehmen und Staatsfonds globale Player, die an der Förderung und dem Verkauf fossiler Energieträger direkt beteiligt sind.

Als Marktteilnehmer und nicht nur Marktgestalter nehmen sie daher eine zentrale Rolle im globalen Dekarbonisierungswettlauf ein. Auch Deutschland kann durch strategisch kluge Beteiligungen die grüne Transformation beschleunigen.

Staatsunternehmen sind globale Player

Diskussionen um die (Über-)Macht von transnationalen Unternehmen gegenüber anderen Akteuren wie Staaten drehen sich oft um die üblichen Verdächtigen: Google, Apple oder Tesla gelten als die Giganten des digitalisierten Kapitalismus im 21. Jahrhundert. Doch eine Gruppe von Akteuren wird in solchen Diskussionen oft außen vor gelassen: Unternehmen in Staatsbesitz.

Diese Entitäten haben gemein, dass sie von ihrem jeweiligen Nationalstaat kontrolliert werden – und dass sie, auf verschiedene Weisen, in fossile Projekte und Unternehmen investiert sind. Und dies in einem beträchtlichen Ausmaß.

Schätzungen zufolge produzieren Staatsunternehmen die Hälfte des globalen Öl- und Gasangebots und sind für ca. 40 Prozent aller Investitionen in diesen Industrien verantwortlich.

Milan Babic

Sie kontrollieren schätzungsweise auch den Großteil der noch nicht geförderten Öl- und Gasvorkommen auf der Welt. Wären alle globalen Staatsunternehmen ein Land, würde im Vergleich nur die Volkswirtschaft Chinas jährlich mehr CO2 bei der Energieproduktion emittieren.

Staaten als Marktteilnehmer

Obwohl diese Größenordnungen seit mindestens einem Jahrzehnt unverändert sind, drehen sich Diskussionen um die Rolle des Staates oft um regulatorische und ordnungspolitische Aspekte.

Wie die Debatte um den ‘Umweltstaat’ zeigt, werden Regierungen und staatliche Entitäten oft an den von ihnen beabsichtigten oder tatsächlich umgesetzten Klima- und Umweltpolitiken gemessen. Dem liegt die Vorstellung zugrunde, dass Staaten und Märkte prinzipiell getrennte Entitäten sind.

Staaten treten als marktregulierende Akteure in der Klimapolitik auf, nicht als Marktteilnehmer. Staatsbetriebe aber verschieben diese Grenze und überschreiten sie oft. Sie sind nicht nur im Besitz von Staaten, die gleichzeitig Märkte regulieren, sondern konkurrieren in diesen Märkten mit anderen Teilnehmern um Profite, Marktanteile, Innovationen und Einfluss. Sie sind in manchen Sektoren sogar erfolgreicher als ihre private Konkurrenz – vor allem, wenn es um das Erreichen von Zielen wie Dekarbonisierung geht.

Fossiles Staatskapital

In einer neuen Studie untersuche ich mit Adam Dixon, welche Staaten besonders viel emissionsintensives Eigentum besitzen, welche Investitionsprofile sie aufgebaut haben und wie potentielle Dekarbonisierungsstrategien aussehen könnten.

Unsere Studie stützt sich auf direkte Unternehmensinformationen über Eigentum und Umsätze und ist daher sehr feinkörnig. Wir bestätigen darin zunächst die Ergebnisse verwandter Studien, wonach China der bei Weitem größte Investor und Eigentümer von fossilem Staatskapital ist und fast die Hälfte des globalen Volumens kontrolliert. Dahinter findet sich aber eine Gruppe von Staaten wie Saudi-Arabien, Kuwait, Indien oder Russland, die ebenfalls beträchtliches fossiles Staatseigentum verwalten.

Anders sieht es aus, wenn wir uns die transnationalen Investitionen näher anschauen. Hier dominiert mit Norwegen ein europäischer Staat, der mehr als die Hälfte des globalen Volumens kontrolliert. Die Unterscheidung zwischen heimischen und transnationalen Investitionen ist für die Dekarbonisierungsfrage zentral.

Das von Norwegen und anderen kontrollierte fossile Kapital im Ausland ist normalerweise nicht unmittelbar relevant für die nationale Energiesicherheit oder Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Industrie. Anders sieht es bei Eigentum im Inland aus. Hier dominieren oft Fragen von Energieversorgung und Energiesicherheit, was die schnelle Dekarbonisierung dieser Unternehmen eher unwahrscheinlich macht.

Ebenso ist die Unterscheidung zwischen sogenannten Portfolio- und Kontrollstrategien für Staaten als Besitzer und Investoren in fossiles Kapital wichtig.

  • Portfolio-Investment bedeutet, dass Investoren nur wenige Anteile eines Anlageguts besitzen und dieses daher nicht kontrollieren. Sie partizipieren lediglich an den Gewinnen und ausgeschütteten Dividenden.
  • Kontroll-Strategien hingegen zielen auf den Erwerb der Mehrheit oder der Gesamtheit von Anlagegütern ab. Sie verleihen dem Investor daher mehr Kontrolle als es für die erste Strategieform der Fall ist.

Staaten wie das genannte Norwegen fallen in die Portfolio-Kategorie, machen aber insgesamt nur 8 Prozent des globalen Investments aus. Hingegen fallen 78 Prozent in die Kategorie der Kontroll-Strategien, was für Dekarbonisierungsbestrebungen eher schlecht ist.

Staaten wollen fossile Investments nicht abstoßen

Staaten, die ganze fossile Unternehmen besitzen, sind relativ stark in diese investiert und daher weniger geneigt, dieses Investment abzustoßen. Es ist relativ unwahrscheinlich, dass der chinesische Staat einfach eine der Grundlagen des chinesischen Wirtschaftswachstums – dessen staatliche Energiefirmen – einfach aufgeben oder dekarbonisieren würde, ohne sein Wirtschaftsmodell mit zu zerlegen.

Komplementiert wird diese Analyse durch einen Blick in die Staaten selbst, die viel fossiles Kapital besitzen. Die absolute Relevanz von Staaten wie China oder Norwegen kann darüber hinwegtäuschen, dass Dekarbonisierungsdynamiken oft nicht auf der globalen, sondern eher auf nationaler Ebene verhandelt werden. Dies bedeutet, dass die relative Größe des fossilen Staatseigentums ein relevanter Faktor ist, etwa im Vergleich zum Rest der heimischen Wirtschaft.

China ist ein großer Eigentümer, aber die chinesische Volkswirtschaft ist eben auch die größte der Welt. Relativ zum Bruttoinlandsprodukt sind Staaten wie Kuwait, Aserbaidschan, Qatar oder Myanmar relativ abhängig von staatlichem fossilen Kapital. Die beiden Erstgenannten besitzen sogar, je nach Berechnungsweise, mehr fossiles Staatskapital als ihre jährliche Gesamtwirtschaftsleistung erbringt.

Es ist auch klar, dass staatlich kontrolliertes fossiles Kapital eine gewichtige politische Rolle in vielen dieser Länder spielt – nicht nur für deren ökonomische Entwicklung, sondern auch für die Legitimität von Regierungen, die Überlebensfähigkeit von Regimen, oder die Verteilung von Vermögen und Macht innerhalb der Eliten und Gesellschaft.

Studie zu Dekarbonisierungsstrategien

In unserer Studie nehmen wir alle drei Aspekte als Grundlage für potentielle Dekarbonisierungsstrategien:

  • welche absolute Größe Staaten als Eigentümer fossilen Kapitals haben
  • welche Strategien sie für diese Investitionen fahren
  • welche Rolle dieses Eigentum im nationalen Kontext spielt

Dies sind entscheidende Bausteine für solche Strategien. Um das Beispiel Norwegen nochmals in den Blick zu nehmen, scheint der norwegische Staat relativ abhängig von seiner großen Menge an fossilem Kapitalbesitz. Gleichzeitig ist dieser ein Portfolio-orientierter Investor, dessen fossiler Kapitalbesitz sich größtenteils außerhalb des eigenen Landes befindet.

Die Integration aller drei Perspektiven erlaubt uns eine realistischere Einschätzung des tatsächlichen Dekarbonisierungspotentials als es eine eindimensionale Betrachtungsweise könnte.

Staaten sind nicht nur Regulierungsapparate

Staaten sind also nicht nur Regulationsapparate, sondern auch sehr wichtige Eigentümer und Investoren in fossilen Märkten. Für die deutsche Volkswirtschaft ergeben sich aus dieser Analyse zwei wichtige Einsichten.

Zum einen gehört Deutschland selbst zwar nicht zu den größten Eigentümern und Investoren, ist aber ein beliebtes Ziel solcher staatlicher Investitionen. Die bis vor kurzem noch relevanten Tochtergesellschaften von russischen fossilen Unternehmen wie Gazprom oder das vom schwedischen Staat kontrollierte Vattenfall gehören hierzu. Die ordnungspolitische Gleichbehandlung von Staats- und Privatinvestitionen in Europa gehört immer mehr der Vergangenheit an. Staatliche fossile Investitionen innerhalb Deutschlands oder Europas sollten daher auch nicht nur als rein regulatorisches Phänomen behandelt und Staaten als fossile Eigentümer ernst genommen werden.

Zweitens ist die potentielle Dekarbonisierung von fossilem Staatseigentum – also der Verkauf, die Re-Investition in Erneuerbare, oder die komplette Stilllegung von fossilen Unternehmen – nur eine Möglichkeit, wie Staaten ihre Macht als Eigentümer nutzen können. Einen mindestens vergleichbaren Dekarbonisierungseffekt kann der Aufbau von ‘sauberem’ Staatskapital haben.

Beispiele wie Dänemark zeigen, wie staatliche Investitionsbereitschaft unerwartete Dekarbonisierungseffekte hervorbringen kann. Dem staatlichen Energiekonzern Ørsted gelang es innerhalb von wenigen Jahren, seine CO2-Emissionen um ca. 90% zu senken. Dies geschah hauptsächlich durch den (politisch gewollten) Verkauf fossilen Kapitals und der Re-Investition der Gewinne in Windparks und andere erneuerbare Energien. Heute ist das Unternehmen ein Vorreiter in Europa und ist unter anderem am Windkraftausbau in Deutschland beteiligt.

Staaten: Als Eigentümer und Investoren zur Dekarbonisierung

Staaten können als Eigentümer und Investoren also auch für schnelle und effektive Dekarbonisierung weiter Teile der Energieproduktion und anderer Sektoren sorgen – etwas, das durch Regulierungen, Mikromanagement von Märkten oder eine groß angelegte Industriepolitik nur mühsam und auf lange Sicht zu bewerkstelligen sein dürfte.

Die ordnungspolitische Debatte in Deutschland sollte also über den Tellerrand schauen und den Staat nicht nur als Ordnungsmacht, sondern auch als Marktteilnehmer betrachten.

Milan Babic

Dies ist wichtig, um sowohl globale als auch nationale Dekarbonisierungspfade besser zu verstehen und zu gestalten. Eine politische Ökonomie der Dekarbonisierung muss alle ihr zur Verfügung stehenden Instrumente nutzen und kreativ über das Verhältnis von Staat und Markt nachdenken.

Starre ordnungspolitische Denkmuster sind dabei weniger hilfreich und versperren manchmal den Blick auf das Wesentliche: Dekarbonisierung ist keine Frage von ‘Staat oder Markt´, sondern von der Umsetzung empirisch fundierter, effektiver und gerechter Transformationsstrategien.

Weitere Beiträge zum Thema auf unserem Blog:

Wie die deutsche Aktienrente mit gestrandeten Vermögenswerten im fossilen Energiesektor zusammenhängt von Prof. Gregor Semieniuk, University of Massachusetts Amherst

Das Pariser Klimaschutzabkommen und seine Wirkung: Wie wichtig ist die Teilnahme einzelner Staaten? von Prof. Dr. Mario Larch Universität Bayreuth und Prof. Dr. Joschka Wanner, Universität Potsdam

5-Punkte-Plan für mehr Tempo bei der Transformation von Prof. Dr. Manfred Fischedick, Wuppertal Institut



Kommentar verfassen