Regionale Disparitäten in der Transformation

Prof. Dr. Jens SüdekumHeinrich-Heine-Universität Düsseldorf
Daniel PoschBertelsmann Stiftung

Bis zum Jahr 2045 soll die gesamte deutsche Volkswirtschaft klimaneutral sein. Dies setzt eine massive Transformation in allen Bereichen der Gesellschaft voraus, insbesondere im Bereich der Produktion. Alle Wirtschaftszweige werden klimaneutrale Produktionsprozesse und Wertschöpfungsketten etablieren müssen, um zum gesamtwirtschaftlichen „Netto-Null-Ziel“ zu gelangen. Und zwar flächendeckend. Deutschlands Regionen werden ganz unterschiedlich von diesem Wandel betroffen sein.

Schon heute zeigt ein Blick auf wichtige wirtschaftliche Parameter wie Pro-Kopf-Einkommen, Produktivität, Arbeitslosigkeit oder Innovationen beträchtliche regionale Unterschiede. Die grüne Transformation ist in der Lage, die regionalen Disparitäten in Deutschland weiter zu verschärfen. Das wiederum gefährdet nicht nur den künftigen Wohlstand, sondern auch den sozialen Zusammenhalt im Land. Aus diesem Grund braucht es empirisches Handlungswissen darüber, wo der Transformationsstress am größten sein wird und die richtigen regional- und industriepolitischen Ableitungen.

Die grüne Transformation aus einer regionalökonomischen Perspektive betrachten

Obwohl in den letzten Jahren erste Arbeiten zu den raumwirtschaftlichen Auswirkungen der Dekarbonisierung auf EU-Ebene veröffentlicht wurden, fehlte bislang eine detaillierte Analyse zu Deutschland. Diese Lücke versucht die jüngste Studie der Bertelsmann Stiftung zu schließen.

Regionale Disparitäten in der Transformation – Empirische Evidenz für Deutschland und Implikationen für die Regionalpolitik“  erlaubt erstmals tiefen Einblick in die sektoralen wie auch regionalen Emissionsdynamiken der letzten 20 Jahre. Neben kleinräumigen Einblicken in die Entkopplungsfortschritte sämtlicher deutscher Landkreise lässt sich auch ableiten, wo der Transformationsdruck künftig am größten sein dürfte.

Emissionsintensität der deutschen Produktion seit 2000 gesunken

Der Blick auf die produktionsbedingten CO2-Emissionen der Unternehmen außerhalb des Energiesektors zeigt, dass diese Emissionen in den letzten 20 Jahren mehr oder weniger konstant geblieben sind. Gleichzeitig stieg die Gesamtproduktion dieser Wirtschaftszweige an.

Folglich ist die Emissionsintensität der deutschen Produktion über die letzten zwei Jahrzehnte gesunken. Der Rückgang der Emissionsintensität fiel jedoch derart gering aus, dass der gesamte produktionsbedingte CO2-Ausstoß nahezu unverändert blieb.

Emissionsdynamik variiert enorm auf der sektoralen Ebene

Auf der sektoralen Ebene variiert die Emissionsdynamik allerdings enorm. Einerseits sind die CO2-Emissionen pro Beschäftigen in einigen Branchen deutlich zurückgegangen. Die Herstellung pharmazeutischer Erzeugnisse, die Energieversorgung oder die Herstellung chemischer Erzeugnisse sind Beispiele hierfür.

Andererseits zeigen die Autoren, dass Emissionsintensität in einer Reihe von Branchen zwischen 2000 und 2019 weiter angestiegen ist. Zu ihnen gehören unter anderem die Schiff- und die Luftfahrt, die Herstellung von Papier und Pappe oder die Metallerzeugung und -bearbeitung.

Regionale Emissionsentwicklung 2000 bis 2019

Je nach lokalen Spezialisierungsmustern manifestieren sich diese unterschiedlichen sektoralen Dynamiken auch in den CO2-Profilen einzelner deutscher Landkreise.

Während die CO2-Emissionen in den letzten 20 Jahren im Ruhrgebiet, der Lausitz oder im Saarland deutlich zurückgegangen sind, ist das Emissionsvolumen in etlichen Küstenregionen Niedersachsens und Schleswig-Holsteins sowie in einer Reihe von Landkreisen in Bayern und Baden-Württemberg stark angestiegen.

Regionales Wachstum und Emissionsentwicklung

Ein genauerer Blick auf die regionalen Wachstumsmuster der letzten 20 Jahre zeigt, dass Emissisonsrückgang in den meisten Fällen mit Beschäftigungseinbußen bei besonders emissionsintensiven Branchen einhergegangen sein dürfte.

Eine signifikante Reduktion der regionalen CO2-Emissionen war tendenziell dort zu verzeichnen, wo die Beschäftigung und Wertschöpfung zurückgingen.

Umgekehrt fand Wachstum zwischen 2000 und 2019 vor allem dort statt, wo auch die CO2-Emissionen relativ stark gewachsen sind.

„Die Ausreißer“: Regionen, in denen Entkopplung gelang

Einigen wenigen Regionen gelang es jedoch, eine deutliche Reduktion ihrer Emissionen bei gleichzeitigem Wirtschaftswachstum zu erreichen. Zu den Kreisen bzw. kreisfreien Städten, die ein „grünes Wachstum“ realisieren konnten, gehören: Köln, München, Münster, Hamm, Darmstadt, Emmendingen, Pfaffenhofen a. d. Ilm und der Rhein-Erft-Kreis.

Gemeinsam ist diesen Regionen, dass sie emissionsintensive Branchen zurückgefahren haben und stattdessen die Produktion und Beschäftigung in weniger emissionsintensiven Dienstleistungssektoren erhöhten.

Dekarbonisierung bedarf intensiver regional- und industriepolitischer Begleitung

Im Kleinen mag die soeben beschriebene Strategie zwar ein gangbarer Weg sein. Für die deutsche Volkswirtschaft als Ganzes erscheint dies allerdings wenig geeignet.

Dekarbonisierung durch Deindustrialisierung würde den derzeit wichtigsten Innovationsmotor im Land abwürgen und dabei auch keinen sonderlich großen Beitrag zum globalen Klimaproblem leisten.

Prof. Dr. Jens Südekum und Daniel Posch

Schließlich wäre eine Verlagerung der emissionsverursachenden Wirtschaftsaktivitäten in andere Regionen eine logische Folge. Gleichzeitig käme es in Deutschland zu deutlichen Wohlstands- und Einkommenseinbußen mit sozialen Spannungen.

Abgesehen davon, dass der deutsche Weg bis zum Netto-Null-Ziel noch ein weiter ist, ging die Dekarbonisierung der Industrie auf regionaler Ebene zwischen 2000 und 2019 in der Regel mit entsprechenden Beschäftigungs- und Wertschöpfungsverlusten einher. Dies deutet auf die Notwendigkeit einer intensiven regional- und industriepolitischen Begleitung der Dekarbonisierung hin.

Wo der Transformationsdruck künftig besonders groß werden dürfte

Der sektorale Dekarbonisierungsdruck übersetzt sich in regionalen Transformationsdruck – je nach der räumlichen Verteilung der Branchen und den entsprechenden regionalen Spezialisierungsmustern. Transformationsdruck ist insbesondere dort zu erwarten, wo die gegenwärtige Wirtschaftsstruktur eine hohe lokale Konzentration emissionsintensiver Branchen aufweist, die darüber hinaus bislang beim Decoupling noch hinterherhinken.

Beispiele für Regionen mit einer hohen lokalen Konzentration von Branchen, deren Emissionsintensität seit 2000 sogar gestiegen ist, sind unter anderem:

  • Freising (Luftverkehr wegen Flughafen München)
  • Tirschenreuth und Düren (Papierindustrie)
  • der Hochsauerlandkreis (Holzproduktion)
  • der Kreis Uckermark (Mineralölverarbeitung)
  • Duisburg (Metallerzeugung, Verkehr)
  • der Saale-Orla-Kreis (Landwirtschaft und Holz),
  • der Rhein-Pfalz-Kreis (Landwirtschaft)
  • die Automobilregionen Wolfsburg und Dingolfing-Landau.

Der Transformationsdruck dürfte dort größer sein als in Regionen mit großen lokalen Dienstleistungssektoren wie beispielsweise Düsseldorf, München oder Berlin oder als in Universitätsstädten wie beispielsweise Münster, Bonn, Oldenburg oder Freiburg.

Was tun? – Wirtschaftspolitische Implikationen

Die Herausforderungen, die die Dekarbonisierung mit sich bringt, werden sich regional stark unterscheiden. Die Studienergebnisse verweisen darauf, dass die Verteilung emissionsintensiver Branchen keinem einfachen räumlichen Muster folgt.

Der Transformationsdruck in ostdeutschen Kreisen ist nicht zwangsläufig größer als in westdeutschen Regionen. Urbane Regionen sind mit Blick auf deren Dekarbonisierungserfolg auch nicht deutlich weiter als ländliche Regionen.

Außerdem war die Transformation der deutschen Regionen bislang kein „Selbstläufer“: Landkreise, deren Pro-Kopf-Emissionen am stärksten zurückgegangen sind, konnten nicht mit überdurchschnittlich hoher wirtschaftlicher Prosperität punkten. Es liegt daher nahe, dass die grüne Transformation eine intensive regionalpolitische Begleitung erfordert.

Ein regionalpolitisches „Weiter so“ dürfte jedoch nicht genügen. Denn es stellen sich zwei grundsätzliche Probleme.

Förderungen greifen nicht

Das erste Grundproblem besteht darin, dass ein hoher Investitions- und damit Unterstützungsbedarf auch in solchen Regionen anfallen wird, die sich außerhalb der Fördergebietskulisse der GRW („Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der Regionalen Wirtschaftsstruktur“) befinden.

Zahlreiche Kreise, deren Pro-Kopf-Einkommen aktuell  über dem deutschen Durchschnitt liegt, weisen eine hohe lokale Konzentration von emissionsintensiven Branchen auf. Das derzeit wichtigste regionalpolitische Instrument kann jedoch dort nicht zur Anwendung kommen.

Proaktiver Ansatz in der Regionalpolitik nötig

Das zweite Grundproblem besteht darin, dass die Förderung der privaten Investitionen einen proaktiven Ansatz in der Regionalpolitik verlangt. Typischerweise agiert Regionalpolitik reaktiv und wird in solchen Regionen aktiv, die entweder mit Blick auf ihre ökonomischen Kennzahlen weit unterhalb des nationalen Durchschnitts liegen oder in der Vergangenheit herbe Strukturbrüche zu erleiden hatten.

Regionalpolitik wird also typischerweise erst dann aktiv, wenn „das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist“. Sie versucht dann, lokale Strukturen zu reparieren und eine weitere Erosion zu verhindern. Im Bereich der Dekarbonisierung erscheint allerdings ein proaktiver Ansatz zielführender zu sein, der die Regionen bei den erforderlichen Investitionen unterstützt und auf diese Weise dazu beiträgt, dass die Transformation ohne Beschäftigungs- und Wachstumseinbußen gelingt.

Deutschlands Regionen fit fürs postfossile Zeitalter machen

Damit Wohlstand für Alle innerhalb planetarer Grenzen nicht zu einem leeren Versprechen verkommt, braucht es ein regionapolitisches Update in Deutschland. An welchen Schrauben gedreht werden könnte und welche  Good-practice-Beispiele bereits existieren, kann man
in der Vollversion der Studie Regionale Disparitäten in der Transformation nachlesen.

Weitere Beiträge zum Thema auf unserem Blog:

Deutschland im grünen Standortwettbewerb von Dr. Marcus Wortmann, Bertelsmann Stiftung

Der Mittelstand im Klimawandel von Dr. Markus Rieger-Fels und Dr. Susanne Schlepphorst, IfM Bonn

Die Gestaltung gerechter Strukturwandelprozesse: Perspektiven aus der Lausitz von Konrad Gürtler, IASS Potsdam



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