Deutschland im grünen Standortwettbewerb

Dr. Marcus WortmannBertelsmann Stiftung

Spätestens durch den Angriff Russlands auf die Ukraine sowie die anschließende Energiekrise ist die Frage nach der heimischen Standort-Attraktivität zurück auf der Tagesordnung. Welche Belastungsfaktoren schwächen den Industrie-Standort Deutschland und wie verändern sie sich im Zusammenhang mit dem voranschreitenden Klimawandel, dem geopolitischen Systemwettbewerb oder dem demografischen Wandel?

Der neue Megatrend-Report der Bertelsmann Stiftung zeichnet ein aktuelles Lagebild und diskutiert verschiedene wirtschaftspolitische Ansätze für eine erfolgreiche Transformation der deutschen Industrienation in Richtung einer Nachhaltigen Sozialen Marktwirtschaft.

Wie steht es um Deutschlands Attraktivität?

Die Debatte um die Standort-Attraktivität Deutschlands ist voll entbrannt. Im Zentrum steht die Frage, wie attraktiv die Produktionsbedingungen für die heimische Industrie angesichts vergleichsweise hoher Energiekosten, mangelnder Fachkräfte und einem steigenden Transformationsdruck durch CO2-Preise noch sind.

Zudem gibt es zahlreiche weitere Herausforderungen, die Investitions- und Standort-Entscheidungen von Unternehmen in den nächsten Jahren maßgeblich beeinflussen dürften:

  • Unsicherheit über weiteres Ausbautempo klimaneutraler Energien- und Infrastrukturen
  • Angewiesenheit auf wenig diversifizierte Energieträger- und Rohstoffimporte
  • Weiter rückläufiges Erwerbspersonenpotenzial und lahmende Produktivitätsentwicklung
  • Gefahr technologischen Anschlussverlusts im Bereich von Schlüsseltechnologien
  • Strategische Ansätze in China und USA locken durch Subventionen und Bevorteilung heimischer Unternehmen

Droht uns also eine breite Deindustrialisierung oder können wir die deutsche Volkswirtschaft mit einer geeigneten Wirtschaftspolitik bis 2045 in eine klimaneutrale Industrienation transformieren? Nach drei Quartalen ohne Wachstum, zuletzt sinkender Industrieproduktion und recht hohen Nettodirektinvestitionsabflüssen sind zwar Warnsignale für die weitere wirtschaftliche Entwicklung zu erkennen. Doch es gibt durchaus politische Ansätze und Möglichkeiten, den Herausforderungen zu begegnen.

Wirtschaftspolitische Handlungsfelder

Um im Zuge der anstehenden Transformation in eine Nachhaltige Soziale Marktwirtschaft ökonomischen Erfolg, ökologische Nachhaltigkeit und strategische Resilienz besser miteinander verbinden und langfristig erhalten zu können, gilt es, auf vielen verschiedenen politischen Handlungsfeldern eine aktive Transformationspolitik zu betreiben. Von den vielen Ansätzen und Maßnahmen, die dafür im Megatrend-Report diskutiert werden, hier nur einige grundlegende Aspekte:

Standortpolitik konsistenter machen

Industriepoltische Antworten auf die Subventionen im Ausland sind geboten, vor allem, um einer stärkeren Kapitalabwanderung entgegenzuwirken. Eine neue konsistente Subventionspolitik sollte jedoch klimapolitische Ziele ebenso wie technologiepolitische sowie strategische Erwägungen berücksichtigen. So gilt es beispielsweise, klima- und umweltschädliche Subventionen abzubauen, um Fehlanreize zu vermeiden und auch fiskalische Spielräume zu schaffen. Gleichzeitig müssen wir staatliche Förderung so ausrichten, dass wir einen gewissen Grad der Technologiesouveränität sichern.

Neue (klimafreundliche) Subventionen sollten nur temporär und gezielt gewährt werden, um eine breite Dauersubventionierung zu vermeiden. Zudem empfiehlt sich eine degressive Ausgestaltung, sodass die Subventionshöhe im Zeitablauf sinkt. Schließlich ist auf eine Anreizkompatibilität mit den Klimaschutzzielen zu achten, sodass z.B. weiterhin hinreichend hohe Anreize für einen sparsamen Energieverbrauch erhalten bleiben.

Insgesamt sollten sich eher horizontale und eher vertikale Ansätze und Maßnahmen einer neuen Industriepolitik zu Verbesserung der Standortattraktivität nicht gegenseitig ausschließen, sondern ergänzen.

Fachkräftemangel entgegenwirken

Um der drohenden Zuspitzung des Fachkräftemangels entgegenzuwirken, bietet sich eine Intensivierung und qualitative Verbesserung der Aus- und Weiterbildung an. Hinzu kommen eine progressive Migrationspolitik und eine Vereinfachung der Kompetenzanerkennung, vor allem für spezifische Engpassberufe.

Importstrukturen diversifizieren

Um die Importabhängigkeit bei Energieträgern und Rohstoffen zu verringern, sollte Deutschland die Importstrukturen diversifizieren und neue Rohstoffpartnerschaften suchen. Dies gilt insbesondere für kritische Rohstoffe und erneuerbare Energien. Hier lohnt sich die Zusammenarbeit mit sonnen-, wind- und wasserreichen Regionen, um von dort erneuerbare Energien (EE) zu importieren.

Dazu gehört auch grüner Wasserstoff. Hier spielt der beschleunigte Ausbau von EE und klimaneutraler Infrastruktur sowie ein europäisches Energiemarktdesign eine entscheidende Rolle für die künftige Verfügbarkeit und Energiepreisentwicklung. Auch die Transformation in Richtung einer Circular Economy verspricht großes Potenzial zur Bedarfsminderung insbesondere kritischer Primärrohstoffe.

Europäischer denken

Bei allen wirtschaftspolitischen Ansätzen ist die europäische Dimension mitzudenken. So müssen Subventionen mit dem EU-Beihilferecht vereinbar sein. Deutsche wirtschaftspolitische Alleingänge, die andere EU-Länder wirtschaftlich unter Druck setzen, gilt es zu vermeiden, weil sonst ein Auseinanderdriften der EU droht.

Eine stärkere europäische Zusammenarbeit bei der Frage, wie Schlüsselindustrien und -technologien für eine gemeinsame europäische Versorgungssicherheit und Technologiesouveränität zielgerichtet und temporär gefördert werden können, erscheint nicht nur geboten, sondern auch zwingend nötig – denn Deutschland wird die strategischen Ziele eines Industrieerhalts vor dem Hintergrund des globalen Wettbewerbs um grüne Industrien kaum alleine erreichen können.

Mehr Tempo

Neben den vielen weiteren Problemlagen und wirtschaftspolitischen Handlungsbedarfen, die angegangen werden müssen, wird es künftig generell darauf ankommen, Entscheidungsprozesse über wichtige politische Weichenstellungen, Infrastrukturprojekte und Verwaltungsverfahren zu beschleunigen.

Angesichts der dramatischen Umweltkrisen aber auch der bereits geschaffenen Subventionsmöglichkeiten in den USA und der wachsenden Gefahr, bei wichtigen Zukunftstechnologien auch von China abgehängt zu werden, dürfen Energiewende und Industrietransformation hierzulande nicht an hausgemachten Problemen eines zu schwerfälligen und wenig digitalisierten Verwaltungsapparates oder einer zu komplizierten Regulierung scheitern.

Weitere Beiträge zum Thema auf unserem Blog:

Subventionierte Strompreise zur Transformation? von Elisa Rottner und Kollegen, ZEW

Quo vadis, Brennstoffzelle? von Dr. Henning Döscher, Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung

Subventionspolitik: Wie Definitionsprobleme den Klimaschutz behindern von Sara Holzmann, Bertelsmann Stiftung



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