Subventionierte Strompreise zur Transformation?
Die Forderungen nach einer Beschränkung der Strompreise für die Industrie reißen nicht ab. Das deutsche Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz hat bereits im Mai einen Vorschlag unterbreitet, den Strompreis für stromintensive Unternehmen bis 2030 auf 6 Cent pro Kilowattstunde zu begrenzen – und die SPD hat diese Forderungen in einem Positionspapier Ende August mit einem Vorschlag von 5 Cent pro Kilowattstunde sogar unterboten.
Obwohl die Börsenstrompreise in den letzten Monaten zurückgegangen sind (im August 2023 war der Börsenstrompreis am EPEX Sportmarkt nur rund ein Fünftel so hoch wie im Vorjahr), bleiben die Preise weit über dem Durchschnitt vergangener Jahre. Der Preisanstieg ist unter anderem bedingt durch den Ukraine-Krieg und die derzeit hohen Zertifikate-Preise im Europäischen Emissionshandelssystem (EU EHS). Eine Subventionierung der industriellen Strompreise soll Anreize zur Elektrifizierung schaffen und die Wettbewerbsfähigkeit und der deutsche Wirtschaftsstandort erhalten.
Wie notwendig ist ein Brückenstrompreis tatsächlich?
Das klingt zunächst einmal einleuchtend. Allerdings verkennt der Vorschlag, die deutsche Wettbewerbsfähigkeit durch subventionierte Strompreise zu schützen, zwei wichtige Faktoren.
Erstens leidet die deutsche Wettbewerbsfähigkeit nur dann, wenn relative Strompreise steigen, nicht absolute. Anders gesagt: Eine Steigerung in den deutschen Strompreisen hat keine Auswirkung auf die deutsche Wettbewerbsfähigkeit, wenn die Strompreise der Wettbewerber ebenfalls steigen. Da ein Teil der Strompreissteigerungen in hohen CO2-Preisen im EU EHS begründet ist, sind andere EU-Länder, die mit Abstand die größten Handelspartner Deutschlands darstellen, ebenfalls betroffen – wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß, je nach Energiemix.
Ebenso sind andere Länder von steigenden Gaspreisen aufgrund des Ukraine-Kriegs betroffen. Deutschland liegt mit seinen Strompreisen innerhalb der EU gerade mal im Mittelfeld, während es in Vorjahren im EU-Vergleich vergleichsweise höhere Preise aufwies. Im außereuropäischen Vergleich – z.B. verglichen zu den USA – sind deutsche Strompreise in der Tat deutlich höher. Dies waren sie allerdings auch in weiten Teilen der Vergangenheit.
Zweitens sind Strompreise nur einer unter vielen Standortfaktoren. 2019 betrug der Anteil der Energiekosten am Umsatz in der deutschen Industrie gerade einmal 1,6 Prozent. Und selbst in der stromintensiven chemischen oder Stahlindustrie betrug der Anteil lediglich 3,5 bzw. 4,9 Prozent.
Qualifizierte Fachkräfte, Nähe zu zuverlässigen Lieferanten, Rahmenbedingungen wie belastbare Infrastruktur und politische Stabilität sowie Zugang zum Binnenmarkt spielen ebenfalls eine wesentliche Rolle für die Standortwahl. Vor diesem Hintergrund ist nicht klar, inwieweit die gesamtwirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands tatsächlich unter den derzeit hohen Strompreisen leidet.
Was wissen wir über die Wirkung von Strompreisen auf die deutsche Industrie?
Zumindest in der Vergangenheit sind wissenschaftlich keine negativen Effekte von Strompreisen auf industrielle Wettbewerbsfähigkeit belegt. In zwei Studien haben wir in den letzten Jahren empirisch untersucht, wie Industriebetriebe zwischen 2009 und 2017 auf Strompreisänderungen reagiert haben.
Beide Studien schätzen Kausaleffekte mithilfe der Amtlichen Firmendaten für Deutschland (AFiD) der Statistischen Ämter, die detaillierte Informationen zu allen deutschen Industriebetrieben mit mehr als 20 Mitarbeitern enthalten. Es handelt sich somit nicht um kleine Fallstudien, sondern breit angelegte Analysen
In einer der beiden Studien schätzen wir die Reaktion auf steigende Strompreise mithilfe statistischer Methoden, indem wir Variation in Strom-Netzentgelten ausnutzen. Netzentgelte variieren in Deutschland sowohl über die Zeit als auch räumlich. Identische Industriebetriebe erleben somit unterschiedliche Strompreisentwicklungen, je nachdem, in welchem Netzgebiet sie angesiedelt sind.
Die zweite Studie befasst sich mit Ausnahmen von der vollständigen Zahlung der EEG-Umlage, und setzt einen stärkeren Fokus auf besonders stromintensive Betriebe. Die Studie vergleicht die Entwicklung von Industriebetrieben, die ab 2013 von einer (teilweisen) Befreiung von der EEG-Umlage profitieren konnten, mit der Entwicklung von strukturell ähnlichen Betrieben, die durchgängig die volle EEG-Umlage zahlen mussten. Beide Studien kommen zur selben Schlussfolgerung:
Strompreisveränderungen haben in der Vergangenheit nicht zu einer signifikanten Reduktion der Wettbewerbsfähigkeit von Industriebetrieben geführt.
Elisa Rottner, Kathrine von Graevenitz und Andreas Gerster
In beiden Studien reagieren Umsätze und Beschäftigung nicht auf veränderte Strompreise.
Eine Strompreissubvention kommt mit Nebeneffekten
Beide Studien kommen allerdings zu dem Ergebnis, dass Strompreise Auswirkungen auf das Verbrauchsverhalten von Industriebetrieben haben: Sinkende Strompreise führen dazu, dass Industriebetriebe ihren Stromverbrauch erhöhen. Eine Subventionierung in industriellen Strompreisen würde somit Anreize vermindern, Strom zu sparen.
Das ist problematisch vor dem Hintergrund, dass nicht nur in der Industrie eine Elektrifizierung angestrebt wird. Eine Erreichung der deutschen Klimaziele erfordert Elektrifizierung auch in den Sektoren Gebäude und Verkehr – und das bedeutet, dass der deutsche Strombedarf in den kommenden Jahren deutlich steigen wird.
Letztlich stellt eine Subventionierung der Strompreise einen Markteingriff dar, der unter Umständen Anreize zu Innovationen abschwächt. Damit können veraltete Wirtschaftsstrukturen am Leben erhalten werden, was auf lange Sicht sogar der Wettbewerbsfähigkeit abträglich sein kann.
2030 – Ende gut, alles gut?
Die Subventionierungsvorschläge aus der Regierung sind als befristete „Brücke“ angedacht. Konkret soll die Subventionierung vorläufig bis 2030 laufen. Zu diesem Zeitpunkt soll in Deutschland Strom weitestgehend aus erneuerbaren Energien gewonnen werden und Strompreise entsprechend gering sein.
Deutsche stromintensive Unternehmen werden dann auch ohne Subventionierung wieder international wettbewerbsfähig sein, so die zugrundeliegende Annahme. Ist das realistisch?
Deutschland hat im internationalen Vergleich ein begrenztes Potenzial zur Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien. Andere Länder sind, was die Verfügbarkeit von Raum, Sonne und Wind angeht, deutlich besser aufgestellt. Daher ist nicht klar, ob deutsche Strompreise im internationalen Vergleich in 2030 gering ausfallen werden. Wenn Deutschland aber langfristig einen Wettbewerbsnachteil in der stromintensiven Produktion hat, könnten Produktionsverlagerungen entsprechender Industriezweige sinnvoll sein – sofern Deutschland dadurch nicht in Abhängigkeit einzelner Lieferanten gerät.
Fazit
Wenn sich die Verfügbarkeit von Energieressourcen ändert, müssen sich wirtschaftliche Strukturen anpassen. Dies geschieht auf effiziente Weise über den Markt. Dauerhafte Subventionen hingegen greifen in den Marktmechanismus ein und verhindern die effiziente Verteilung von Ressourcen.
Dabei ist, wenn wir uns auf Studien aus der Vergangenheit berufen, nicht einmal nachgewiesen, dass entsprechende Subventionen tatsächlich nötig sind, um die deutsche Wettbewerbsfähigkeit zu schützen.
Wollen wir es uns leisten, einige Sektoren von der Transformation zu „verschonen“? Transformation heißt nun mal Änderung – und dann kann nicht alles beim Alten bleiben.
Elisa Rottner, Kathrine von Graevenitz und Andreas Gerster
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