Energiewende in Europa: Wasserstoff- und Stromnetze kombinieren

Dr. Fabian NeumannTechnische Universität Berlin

Viele verschiedene Kombinationen von Infrastrukturen könnten Europa bis Mitte des Jahrhunderts klimaneutral machen. Allerdings stoßen nicht alle Lösungen auf die gleiche Akzeptanz. Ein paralleler Ausbau von Wasserstoff- und Stromnetzen könnte erneuerbare Energie aus den sonnigsten und windigsten Regionen Europas in die bevölkerungsreichen Industriezentren bringen.

Strom- und Wasserstoffnetz bieten komplementäre Stärken, um die größten Kosteneinsparungen zu erreichen. Dabei könnte ein klug geplantes Wasserstoffnetz zu fast 70 Prozent aus vorhandenen Gasleitungen gebaut werden. 

Energiewende in Europa sektorübergreifend planen

Forschende der TU Berlin und der Universität Aarhus haben die europäischen Energienetze in einer Studie analysiert und die gesamteuropäische Energiewende modelliert. Dafür wurde die Open-Source-Software „PyPSA“ genutzt. Sie ist ein Planungswerkzeug für Energiesysteme.

Das darauf basierende Modell kombiniert Wetterdaten, die für Solar- und Windenergie relevant sind, mit der Architektur der Energienetze in den verschiedenen Ländern und mit den verfügbaren Flächen für den Ausbau von Photovoltaik und Windenergie. 

Es optimiert zudem die Standorte für die Stromerzeugung aus Wind und Sonne, den dazu passenden Netzausbau, die Platzierung von Energiespeichern und weitere Faktoren. Denn es wird immer wichtiger, den Ausbau von Energieinfrastruktur länder- und sektorenübergreifend zu koordinieren.

Länder des südlichen Europas wie Spanien, Italien und Griechenland könnten als Exporteure von Solarstrom oder Wasserstoff sehr von gut ausgebauten Netzen in die europäischen Industrieregionen profitieren. Genauso könnten auch Anrainer der Nord- und Ostsee mit einer guten Netzanbindung auf Energieexporte aus Offshore-Windparks setzen.

Allerdings wäre es für Länder mit einem großen Potential an erneuerbaren Energien auch eine Option, verstärkt energieintensive Industrien durch niedrige Energiepreise anzuwerben. Dies würde das Interesse an einem ambitionierten Netzausbau senken. Die verschiedenen Interessen sollten also so miteinander vereinbart werden, sodass alle von der Transformation des Energiesystems profitieren.

Viele erschwingliche Wege der Energiewende

Ein Ergebnis der Analyse: Es gibt viele erschwingliche Wege, um Netto-Null-Emissionen in Europa zu erreichen. Egal ob man den alleinigen Ausbau des Stromnetzes, den alleinigen Aufbau eines Wasserstoffnetzes, den Ausbau beider Netze oder ob man den Fall betrachtet, dass keinerlei Ausbau der Netzinfrastruktur vorgenommen wird – die Energiewende in Europa wäre möglich. Und das auch ohne Energieimporte. 

Entscheidend ist dabei, dass ein System auf Engpässe abgestimmt werden kann. Elektroautos, Wärmepumpen und Elektrolyseure müssen dazu flexibel auf Netzschwankungen reagieren können.

Kombination aus Strom- und Wasserstoffnetz Lösung der Wahl

Am vorteilhaftesten wäre der Analyse nach eine Kombination aus dem Ausbau eines Strom- und Wasserstoffnetzes. Um dieses zu bauen, könnten Erdgasleitungen umgerüstet werden. Die Analyse zeigt, dass so zwischen 64 und 69 Prozent eines zukünftigen Wasserstoffnetzes entstehen könnten, was natürlich Baukosten spart.

Insgesamt wären mit dem kombinierten Strom- und Wasserstoffnetzausbau Einsparungen von bis zu zehn Prozent der gesamten Kosten für die Energieversorgung in Europa möglich. Eine Einsparung von zehn Prozent entspräche etwa 70 Milliarden Euro pro Jahr in Europa. Das Stromnetz müsste sich hierfür allerdings immer noch in etwa verdoppeln.

Weitere Optionen für die Energiewende in Europa

Ausbau des Stromnetzes: Würde man ausschließlich das Stromnetz in Europa ausbauen, könnte man gegenüber dem Szenario mit heutigem Netz schon sechs bis acht Prozent der gesamten Kosten für die Energieversorgung in Europa einsparen. Hierin sind auch schon die Kosten für den Ausbau des Stromnetzes mit eingerechnet, das sich dafür mehr als verdoppeln müsste.

Die Einsparung ergibt sich vor allem daraus, dass die günstigsten Standorte für die Stromerzeugung aus Wind und Sonne genutzt werden könnten, der Strom auf dem direkten Weg an die dicht besiedelten Industriezentren mit hohem Verbrauch herangeführt würde und auch örtliche Schwankungen der Winderzeugung ausgeglichen werden könnten. Denn irgendwo in Europa weht fast immer der Wind.

Aufbau des Wasserstoffnetzes: Würde man stattdessen nur das Gasnetz in ein Wasserstoffnetz umwandeln und einige zusätzliche neue Wasserstoffleitungen bauen, wären Einsparungen von zwei bis drei Prozent der Gesamtkosten für das Energiesystem in Europa möglich. Der geringere Effekt erklärt sich dabei vor allem aus der Tatsache, dass die Herstellung von grünem Wasserstoff mit Strom aus Windkraft und Solaranlagen, der sonst direkt ins Stromnetz eingespeist werden könnte, mit Umwandlungsverlusten verbunden ist.

Kein Ausbau: Selbst wenn keinerlei Ausbau der Netzinfrastruktur stattfindet, wäre eine Energiewende hin zur ausschließlichen Versorgung mit Hilfe von erneuerbaren Energien technisch machbar und auch nur 10 Prozent teurer als die kostengünstigste Variante. Auch ohne Energieimporte von außerhalb Europas.

Den politischen Entscheidungsträgern stehen also verschiedene Optionen zur Auswahl. Weil die gesellschaftlich tragfähigsten Lösungen für den Infrastrukturausbau aus einer Vielzahl an Alternativen gewählt werden können, könnte sich der Prozess der Energiewende beschleunigen.

Weitere Beiträge zum Thema auf unserem Blog:

Netzausbau: Ein Konflikt zwischen Bundesländern von Prof. Dr. Simon Fink, Universität Göttingen

Welche Rolle spielt Wasserstoff als Energieträger im globalen Energiesystem? von Matia Riemer und Johannes Eckstein, Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI

„Wichtig ist, Solar- und Windenergie miteinander zu kombinieren“ mit Dr. Harry Wirth, Fraunhofer Institute for Solar Energy Systems



Kommentare

  1. / von Ralf Herweg

    Eine weitere Option die Energiewende zu fördern: lokale autarke Versorgung ermöglichen. Für viele Bestandsgebäude bist jetzt ein großes Problem, einige Firmen gehen dieses Problem des CO2 Giganten „Gebäudesektor“ bereits an. Unter anderem ein Münchner Start-Up: https://pionierkraft.de/2022/08/29/die-energy-sharing-revolution-wie-es-funktioniert/

    LG Ralf Herweg

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