Weniger Mobilität: Bleiben corona-bedingte Veränderungen bestehen?

Janna AxenbeckZEW Mannheim

Der Verkehrssektor ist für etwa ein Viertel der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich. Ein Großteil dieser wird von Personenkraftwagen verursacht. Daher ist ein Rückgang von CO2-Emissionen im Individualverkehr entscheidend für die Erreichung der Klimaziele. Diese Reduktion kann unter anderem durch weniger Mobilität, das heißt weniger zurückgelegte Wege, erreicht werden.

Im Jahr 2020 veränderte die Corona-Pandemie unser Mobilitätsverhalten grundlegend. Um Ansteckungen zu verhindern, wurden Geschäfte geschlossen, Kontaktbeschränkungen eingeführt und viele Beschäftigte ins Homeoffice geschickt. Dadurch sanken auch zum ersten Mal die CO2-Emissionen des Verkehrssektors.

Digitale Kommunikation als Ersatz für physisches Reisen

Zusätzlich wurden mit dem Ausbruch der Pandemie digitale Technologien verstärkt genutzt. Diese halfen dabei, alltägliche Tätigkeiten trotz der Einschränkungen fortzuführen. Virtuelle Meetings erlaubten die Zusammenarbeit und den sozialen Austausch aus der Ferne. Online-Shops und Lieferdienste ermöglichten den Einkauf von zu Hause aus.

Studienergebnisse bestätigen bereits einen Zusammenhang zwischen dem Einsatz digitaler Technologien und Mobilitätsreduktionen zu Beginn Krise. Zum Beispiel ging in den ersten Wochen der Pandemie das Verkehrsaufkommen in (Land-)kreisen mit mehr Homeoffice-kompatiblen Jobs stärker zurück. Eine Korrelation zwischen E-Commerce-Umsätzen und der zu Hause verbrachten Zeit lässt sich für diesen Zeitraum ebenfalls feststellen.

Corona: Hoffnung auf dauerhaften Verkehrs-Rückgang

Der durch die Corona-Pandemie entstandene Digitalisierungsschub in Kombination mit den anfänglich beobachteten Mobilitätsreduktionen entfachte die Erwartung langfristiger Umweltverbesserungen. Dies zeigt sich auch in der Politik: So wurde im Koalitionsausschuss im März 2023 unter anderem die Förderung von Homeoffice beschlossen, um berufliche Wege zu verringern.

Diese Erwartungen sind nicht unbegründet. Denn Faktoren, die aus ökonomischer Perspektive die Wahl zwischen physischen Reisen und digitaler Kommunikation beeinflussen, haben sich zugunsten der digitalen Kommunikation verbessert. Zum einen ist seit Beginn der Pandemie die technische Qualität von Online-Konferenz-Systemen deutlich angestiegen und Patentanmeldungen für Technologien, die das Arbeiten von zu Hause unterstützen, haben zugenommen. Zum anderen hat die Attraktivität der meisten physischen Reisen durch hohe Benzinpreise und Inflation allgemein abgenommen. Die gestiegene Anzahl an Homeoffice-Vereinbarungen bestätigt, dass Menschen auch nach dem Ende der Pandemie seltener zur Arbeit fahren.

Die meisten Menschen sind gerne mobil

Doch verringert mehr Homeoffice tatsächlich das gesamte Verkehrsaufkommen, wenn nicht-berufliche Wege berücksichtigt werden?

Die meisten Menschen haben ein Bedürfnis nach Mobilität und sozialem Austausch. Daher ist davon auszugehen, dass viele Beschäftigte auch im Homeoffice das Haus verlassen. Sie verabreden sich in ihrer Mittagspause oder zum Abendessen und erledigen Besorgungen. Solche Treffen oder Erledigungen konnten vor der Pandemie häufig mit dem Arbeitsweg kombiniert werden. Im Homeoffice führen sie jedoch zu zusätzlichen Wegen.

Darüber hinaus erlaubt die durch das Homeoffice gewonnene Flexibilität eine Verlagerung des Wohnorts, der nun weiter entfernt vom Arbeitgeber sein kann und somit den Arbeitsweg an Pendeltagen erhöht. Das Arbeiten an wechselnden Orten und im Zug wird ebenfalls möglich. Das heißt, der durch die Pandemie ausgelöste Digitalisierungsschub verringert nicht zwangsläufig das Verkehrsaufkommen.

Empirische Einblicke anhand innovativer Daten

Die Frage, ob der Einsatz digitaler Technologien langfristig, also auch nach dem Ende der Pandemie, mit einem Rückgang der Mobilität in Verbindung gebracht werden kann, haben wir am ZEW – Leibniz-Zentrum für europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim empirisch untersucht. Unsere Analyse konzentriert sich auf den Digitalisierungsgrad von Unternehmen.

Zur Messung dessen verwenden wir ein innovatives Textanalyseverfahren, das es ermöglicht, den Digitalisierungsgrad eines Unternehmens anhand seiner Webseite zu bestimmen. Auf Basis dieser Informationen schätzen wir für jeden der 400 (Land-)Kreise in Deutschland den durchschnittlichen Digitalisierungsgrad der ansässigen Unternehmen. Dieser Indikator hat den Vorteil, dass er einerseits Informationen über Online-Shops und Lieferservices enthält und andererseits Informationen über das Potenzial von Unternehmen und seinen Beschäftigten, Aufgaben remote zu erledigen.

Anschließend stellen wir dieses Maß Veränderungen der Mobilität gegenüber, die sich anhand von Mobilfunkdaten, die ebenfalls auf Kreisebene vorliegen, beobachten lassen. Um den Zusammenhang zwischen Digitalisierung und Mobilitätsreduktionen möglichst präzise bestimmen können, vergleichen wir nur Kreise, die bis auf den Digitalisierungsgrad sehr ähnliche Eigenschaften aufweisen. Die Analyse bezieht sich auf den Zeitraum von Januar 2020 bis Dezember 2022. 

Hoffnung auf Mobilitätsveränderungen nicht bestätigt

Die Ergebnisse der Studie bestätigen, dass Kreise mit einer höheren Unternehmensdigitalisierung in den ersten beiden Jahren der Pandemie eine stärkere Reduktion der Mobilität erfahren haben. Allerdings kann nach dem Wegfall der Homeoffice-Pflicht und weiterer Corona-Maßnahmen im März 2022 kein Zusammenhang mehr zwischen dem Digitalisierungsgrad von Unternehmen und Veränderungen der Mobilität festgestellt werden.

Die Studie zeigt also, dass digitale Technologien zwar das Potenzial haben, das Verkehrsaufkommen zu reduzieren, und während der Hochphase der Pandemie wurde dieses Potenzial auch genutzt.

Janna Axenbeck

Jedoch wird dieses Potenzial kaum ausgeschöpft, wenn es keine akuten gesundheitlichen Bedrohungen und staatlichen Einschränkungen gibt.

Bedürfnis nach Mobilität überwiegt

Insgesamt deuten die Ergebnisse somit darauf hin, dass der Corona-bedingte Digitalisierungsschub sich nicht langfristig in einer verringerten Mobilität niederschlagen wird. Obwohl viele Beschäftigte im Homeoffice arbeiten und es mehr Online-Services gibt, führt dies nicht zwangsläufig zu einer Reduzierung der insgesamt zurückgelegten Wege.

Die Ergebnisse der Studie legen folglich nahe, dass Homeoffice und E-Commerce kaum zur Verringerung der Emissionen im Verkehrssektor beitragen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Digitalisierung keine anderen Vorteile bietet – wie beispielsweise eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie.

Da eine verstärkte Digitalisierung nicht automatisch zu weniger Mobilität führt und die meisten Menschen vermutlich auch gerne mobil sind, ist es wichtig, dass die politische Prioritätensetzung auch weiterhin auf der Förderung von umweltfreundlicher, klimaneutraler Mobilität liegt und dass die Infrastruktur für Elektromobilität, der Schienenverkehr sowie Fuß- und Radwege weiter ausgebaut werden.

Weitere Beiträge zum Thema auf unserem Blog:

Elektrische und solarbetriebene Luftschiffe für einen klimafreundlichen Luftverkehr von Prof. Dr. Christoph Pflaum, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

Strukturwandel der Mobilität – Warum eine Verkehrswende dieses Mal gelingen sollte von Prof. Dr. Gerhard Prätorius, TU Braunschweig

Ländliche Nahversorgung: Lieferungen mit Drohnen und Lastenrädern von Steffen Henninger, Research Lab for Urban Transport (ReLUT)



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