Der Inflation Reduction Act – Handlungsbedarfe für die deutsche Wirtschaftspolitik

Dr. Thieß PetersenBertelsmann Stiftung

Die USA fördern die ökologische Transformation ihrer Wirtschaft gegenwärtig mit erheblichen finanziellen Mitteln. Das hat Auswirkungen auf den Rest der Weltwirtschaft und damit auf Deutschland.

Neben reinen Handelseffekten sind auch Investitionsverlagerungen zu erwarten. In den Fällen, in denen sich für die deutsche Wirtschaft spürbare negative Auswirkungen ergeben, können wirtschaftspolitische Gegenmaßnahmen erforderlich werden.

Der Inflation Reduction Act

US-Subventionen, die gegenwärtig besonders intensiv diskutiert werden, betreffen den Inflation Reduction Act (kurz: IRA). Er wurde im August 2022 von US-Präsident Biden unterzeichnet und ist seit dem Beginn des Jahres 2023 wirksam. Zentrales Element sind Subventionszahlungen und Steuergutschriften für klimafreundliche Technologien und Produkte.

Das Volumen beträgt rund 370 Milliarden US-Dollar und streckt sich über einen Zeitraum von zehn Jahren. Allerdings enthält der Inflation Reduction Act die erwähnten Steuererleichterungen, deren Höhe nicht gedeckelt ist. Schätzungen zufolge kann das Volumen des Inflation Reduction Act daher durchaus 800 Milliarden Dollar oder sogar 1.200 Milliarden Dollar erreichen.

US-Subventionen und der Weltmarktpreis

Vereinfacht sind Subvention alle finanziellen Begünstigungen, die der Staat Unternehmen und privaten Haushalten gewährt, ohne dass er dafür eine entsprechende Gegenleistung erhält. Dazu gehören neben direkten Transferzahlungen vor allem Steuervergünstigungen. In den folgenden Ausführungen werden daher auch Steuervergünstigungen als eine Subvention betrachtet. Subventionen senken die Preise der Produkte, die die subventionierten Unternehmen herstellen.

Subventionen für Investitionen: Wenn die Unternehmen eines Landes Subventionen für ihre Investitionen erhalten, werden diese billiger. Die inländischen Investitionstätigkeiten nehmen zu. Der damit verbundene Ausbau der Produktionskapazitäten bewirkt eine Erhöhung des Güterangebots der subventionierten Sektoren. Das führt bei einer unveränderten Güternachfrage zu einem Angebotsüberschuss, der einen Preisrückgang hervorruft.

Subventionen für die Produktion: Wenn Unternehmen Subventionen für ihre laufende Produktion erhalten, wirkt das wie eine zusätzliche Einnahme. Die Unternehmen können daher den Preis, den sie von den Verbraucher:innen verlangen, um den Subventionsbetrag reduzieren, um so ihre internationale preisliche Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen.

Die Auswirkungen dieser Preissenkung auf den Rest der Welt hängen davon ab, wie groß die betroffene Volkswirtschaft ist. In der Regel sind Volkswirtschaften im Vergleich zum Rest der Welt sehr klein. Das bedeutet, dass ein verändertes Angebots- oder Nachfrageverhalten in dem Land keinen Einfluss auf den Weltmarktpreis hat.

Länder mit einer großen Bevölkerungszahl und einer – im internationalen Vergleich – hohen Wirtschaftskraft können hingegen mit ihrem Angebots- und Nachfrageverhalten den Weltmarktpreis verändern. In diesem Fall handelt es sich um eine große Volkswirtschaft. Die USA sind ein Beispiel dafür. Preisreduzierungen in den USA dürften daher einen Rückgang des Weltmarktpreises zur Folge haben.

Ausgangspunkt der weiteren Überlegungen ist die Annahme, dass Deutschland – anders als die USA – eine kleine Volkswirtschaft ist. Damit ist der Weltmarktpreis eines Produkts für Deutschland eine gegebene Größe.

Folgen für Deutschland als Importland

Der Weltmarkpreis determiniert das Verhalten aller Unternehmen und Nachfrager:innen. Die von den deutschen Unternehmen angebotene Gütermenge ist dabei geringer als die Menge, die die deutschen Verbraucher:innen nachfragen – die Differenz wird importiert.

Die Einführung einer Subvention in den USA hat für Deutschland in dieser Situation zwei wohlfahrtsrelevante Konsequenzen:

  • Die Produktion der deutschen Unternehmen geht wegen des geringeren Preises, den sie nun erhalten, zurück. Das bedeutet ein geringeres Beschäftigungsniveau und geringere Einkommen, also einen Wohlfahrtsverlust.
  • Die Verbraucher:innen konsumieren eine größere Gütermenge, für die sie einen niedrigeren Preis zahlen müssen. Das erhöht die Wohlfahrt der Konsument:innen.

Da Deutschland im Fall eines Imports mehr Gütereinheiten verbraucht als es herstellt, gilt folgender Zusammenhang: Der Wohlfahrtsverlust der Unternehmen und der dort beschäftigten Personen ist vom Betrag her geringer als der Wohlfahrtsgewinn der Verbraucher:innen. In der Summe resultiert aus den US-Subventionen also für Deutschland ein gesamtwirtschaftlicher Wohlfahrtsanstieg.

Folgen für Deutschland als Exportland

Deutschland exportiert ein Produkt, wenn der auf dem Weltmarkt herrschende Preis über dem in Deutschland geltenden Preis liegt und deutsche Unternehmen daher einen preislichen Wettbewerbsvorteil haben. Die in Deutschland hergestellte Gütermenge ist dann größer als die im Inland benötigte Menge – die überschüssigen Güter werden exportiert.

Die Auswirkungen von US-Subventionen auf die deutsche Volkswirtschaft entsprechen grundsätzlich denen im Fall eines Importprodukts: Die im Inland hergestellte Gütermenge sinkt. Die Verbraucher:innen profitieren von dem geringeren Güterpreise und fragen nun mehr Produkteinheiten nach.

Anders als in dem Fall, in dem Deutschland ein Produkt aus dem Rest der Welt importiert, resultiert aus diesen beiden Effekten im Fall eines Exportgutes ein gesamtwirtschaftlicher Wohlfahrtsrückgang, weil der Wohlfahrtsverlust der deutschen vom Betrag her größer ist als der Wohlfahrtsgewinn auf Seiten der deutschen Verbraucher:innen.

Gesamter Handelseffekt der US-Subventionen für Deutschland

Wie die beiden skizzierten Handelseffekte – also der Importanstieg und der Exportrückgang – die gesamtwirtschaftliche Wohlfahrt insgesamt verändern, lässt sich theoretisch nicht eindeutig vorhersagen. Da Deutschland jedoch seit Jahren einen Exportüberschuss aufweist, ist zu erwarten, dass die Wohlfahrtsverluste aus den sinkenden Exporten absolut betrachtet höher ausfallen als der Wohlfahrtszuwachs aus den höheren Importen. Daraus resultiert ein Wohlfahrtsverlust für die Volkswirtschaft.

Investitionseffekte für Deutschland

Wenn die USA Unternehmen, die ihren Standort in den USA haben, Subventionszahlungen und Steuererleichterungen gewähren, erhöht das den Anreiz für ausländische Investoren, Investitionen in den USA zu tätigen:

  • Für deutsche Unternehmen wird es attraktiver, ihren Produktionsstandort in die USA zu verlegen, wenn sie dort Investitionskostenzuschüsse erhalten oder Subventionen für die laufende Produktion. Beides reduziert die Kosten des Investors und erhöht somit die internationale preisliche Wettbewerbsfähigkeit der von ihm hergestellten Produkte.
  • Auch für Investoren im Rest der Welt wird es attraktiver, Produktionsanlagen in den USA zu errichten. Das hat zur Folge, dass diese Investoren weniger Investitionen in Deutschland tätigen könnten.

Aus Sicht der deutschen Volkswirtschaft stellen diese Entscheidungen einen Kapitalabzug dar. Er schwächt die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands nachfrage- und angebotsseitig.

Reduktion der Nachfrage

Wenn deutsche Unternehmen Investitionen in den USA tätigen, reduziert das die Nachfrage nach Investitionsgütern in Deutschland. Die Unternehmen, die die entsprechenden Produktionsanlagen herstellen (also Gebäude, Maschinen etc.), passen ihre Produktion an die geringere Investitionsgüternachfrage an. Dieser Effekt tritt unmittelbar auf.

Wirkung auf Produktionskapazitäten

Nachlassende Investitionen in Deutschland bedeuten zudem, dass die gesamtwirtschaftlichen Produktionskapazitäten weniger stark wachsen. Das dämpft die zukünftigen Produktionsmöglichkeiten der deutschen Volkswirtschaft. Diese angebotsseitige Wachstumsdämpfung tritt mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung auf und wirkt daher mittel- und langfristig.

Ausbleiben von Produktivitätszuwächsen

Zudem ist ein weiterer angebotsseitiger Effekt zu berücksichtigen: Investitionen bedeuten in der Regel eine Steigerung der Produktivität, weil alte Produktionsanlagen durch neue, produktivere Anlagen ersetzt werden. Fallen diese Investitionen aus, unterbleiben die mit ihnen verbundenen Produktivitätszuwächse. Ein wegen nachlassender Investitionen alternder gesamtwirtschaftlicher Kapitalstock schwächt somit die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Volkswirtschaft.

Wirtschaftspolitische Handlungsoptionen

Grundsätzlich ist die Förderung klimafreundlicher Technologien und Produkte durch die USA zu begrüßen. Wenn die USA spürbare Maßnahmen zur Reduzierung von klimaschädlichen Emissionen ergreifen, nutzt das der ganzen Welt, denn Klimaneutralität ist ein globales öffentliches Gut. Außerdem erleichtert der Import günstiger Technologien und Produkte aus den USA, die die ökologische Transformation in Deutschland fördern, die Dekarbonisierung der deutschen Volkswirtschaft.

Dennoch sollte Deutschland auf die US-Subventionen wirtschaftspolitisch reagieren. Vor allem der drohende Abzug von Kapital im Rahmen einer Investitionsverlagerung in die USA stellt eine Entwicklung dar, die mittel- und langfristig  in Deutschland gefährden. Drei wirtschaftspolitische Aspekte sollten dabei im Zentrum stehen.

Flächendeckende Förderungen vermeiden

Zunächst einmal sollten flächendeckende Förderungen durch Subventionszahlungen und Steuergutschriften vermieden werden. Sinnvoller sind gezielte Maßnahmen, die zukunftsträchtige Bereiche mit positiven externen Effekten betreffen. Sie exakt zu identifizieren ist keine leichte Aufgabe. Aber ohne zielgerichtete Unterstützungsmaßnahmen droht eine Förderung nach dem Gießkannenprinzip.

Da US-Subventionen Technologien und Produkte fördern, die für die ökologische Transformation wichtig sind (z. B. Batterieproduktion, Solarenergie, Wasserstoff etc.), sollten sich die Subventionen auch in Deutschland auf diese Bereiche konzentrieren. Andersfalls ist zu befürchten, dass sich einige dieser Sektoren nicht in Deutschland entwickeln bzw. halten können und Deutschland somit abhängig wird von entsprechenden Importen aus den USA.

Am freien Außenhandel festhalten

Zweitens sollte eine exportorientierte Volkswirtschaft wie Deutschland am freien Außenhandel festhalten. Protektionistische Antworten auf US-Subventionen können die internationalen Handelsstreitigkeiten weiter eskalieren lassen. Das ist nicht im Interesse der exportorientierten deutschen Volkswirtschaft.

Europäische Dimension berücksichtigen

Und drittens sollte Deutschland bei allen Reaktionen auf US-Subventionen stets die europäische Dimension berücksichtigen. Dies umfasst eine Reihe von Aspekten. So gilt es zunächst, Subventionen so auszugestalten, dass sie mit dem EU-Beihilferecht vereinbar sind. Eine Einbettung der wirtschaftspolitischen Maßnahmen Deutschlands in die gemeinsame EU-Politik bietet sich auch bei industriepolitischen Maßnahmen zur Stärkung der weltweiten Technologieführerschaft bei umwelt- und klimaschützenden Produkten an.

Außerdem kann es beim Aufbau eigener Produktionskapazitäten zur Vermeidung von Importabhängigkeiten sinnvoll sein, diese Kapazitäten nicht auf nationaler Ebene zu errichten, sondern den Ausbau europäischer Produktionskapazitäten anzustreben, beispielsweise im Bereich der Halbleiter, deren Produktion in den USA durch den „CHIPS and Science Act“ gefördert wird.

Dieser Beitrag basiert auf dem Focus Paper Nachhaltige Soziale Marktwirtschaft #13 „Der Inflation Reduction Act und seine Folgen für die deutsche Wirtschaft – Risiken, Potenziale und Handlungsbedarfe“.

Weitere Beiträge zum Thema auf unserem Blog:

Grüne Konjunkturpolitik als Mittel der Transformation? von Prof. Dr. Erik Gawel, Jun.-Prof. Dr. Paul Lehmann und Klaas Korte, UFZ

Klima- und Finanzpolitik zusammendenken: Wechselwirkungen und Zielkonflikte von Sara Holzmann, Bertelsmann Stiftung

Außenwirtschaftliches Gleichgewicht: Handelspolitik im Zeichen der Internalisierung externer Effekte von Dr. Martin Braml, Munich Economist und Prof. Gabriel Felbermayr, WIFO



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