Strukturwandel der Mobilität – Warum eine Verkehrswende dieses Mal gelingen sollte

Das bestehende Verkehrssystem widerspricht massiv den Maßgaben der Nachhaltigkeit sowohl in Bezug auf die Ressourcenproduktivität (insbesondere Energieressourcen) als auch die Klimaziele. Die Notwendigkeit einer Wende im Sinne eines grundlegenden Richtungswechsels ist daher weitgehender gesellschaftlicher Konsens.

Dabei gibt es das Konzept einer Verkehrswende und eine entsprechende wissenschaftlich-politische Agenda bereits seit den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, und es ist – gemessen an seinen Resultaten – in seiner ersten Aufschwungphase erkennbar gescheitert. Der Verkehr konnte seine Klimagasemissionen seit dieser Zeit nicht senken und hat auch im vergangenen Jahr seine Sektorziele des Klimaschutzgesetzes wieder verfehlt.

Was spricht heute also für die Perspektive einer erfolgreichen Verkehrswende nach den praktisch verlorenen zwei Jahrzehnten eines noch starken Verkehrswachstums, in denen der technische Fortschritt im motorisierten Individualverkehr durch Leistung (PS) und Masse (SUV) verspielt wurde und die öffentlichen Verkehre und die Schiene den Modal Split nicht drehen konnten, sondern lediglich etwas am Wachstum partizipierten?

Während die Verkehrswende der ersten Phase – so die These dieses Beitrages – gemäß ihrer Protagonisten insbesondere gegen die Autoindustrie und den motorisierten Individualverkehr durchgesetzt werden sollte und die Autokonzerne dem Konzept ebenfalls weitgehend ablehnend gegenüberstanden, haben sich in der aktuellen Debatte die Promotorenhaltungen erkennbar verschoben.

Nachhaltige Mobilität als Zukunftssicherung

Die Automobilindustrie sieht nunmehr in einer klimaneutralen und nachhaltigen Mobilität ihre Zukunftssicherung. Der dafür zunächst entscheidende Technologiewechsel vom Verbrenner zur Elektromobilität geschah allerdings nicht durch strategische Ein- und gar Weitsicht, sondern regulatorischen Oktroi.

Nachdem eine von der EU-Kommission induzierte Selbstverpflichtung der Automobilindustrie zu Flottenzielen einer CO2-Reduktion in 2008 krachend gescheitert und damit die Glaubwürdigkeit der Unternehmen massiv erschüttert war, wurde mit der stufenweisen Zielstellung bis zur Marke des 95 g CO2/km in 2020 ein geschichtlich singulärer Pfadwechsel in einer bis dahin extrem erfolgreichen Technologie eingeleitet.

Gegenüber vorherigen Zielmarken war damit ein Ziel vorgegeben, das durch inkrementalen Fortschritt entlang der Verbrennungsmotorentrajektorie nicht mehr erreicht werden konnte. Und so wird heute jenseits einer immer noch betonten prinzipiellen Technologieoffenheit einer Dekarbonisierung des Verkehrs de facto anerkannt, dass nur durch eine schnelle und durchgängige Elektrifizierung auf der Basis der batterietechnischen Lösungen die klimapolitischen Sektorziele, insbesondere auch bereits in diesem Jahrzehnt, erreichbar sein werden.

Innovationswettbewerb war eröffnet

Entsprechende regulatorische Anforderungen zur Reduktion der CO2-Emissionen auch in den anderen relevanten Automobilmärkten, insbesondere in Kalifornien/USA und China, wirkten für den technologischen Strategieschwenk in der Autoindustrie als konzertierte Aktion, die dann vor allem die Risikobeurteilung und damit Bewertung der Automobilunternehmen auf den Kapitalmärkten als einen weiteren, in Bezug auf Nachhaltigkeit bisher nicht aufgetretenen Innovationstreiber für nachhaltige Mobilität maßgeblich beeinflusste.

Schließlich war damit auch der Innovationswettbewerb in einer bisher durch oligopolistisch hohe Marktzugangsbarrieren gekennzeichneten Industrie eröffnet und neue, strategisch und technologisch Maßstäbe setzende Spieler wie Tesla, aber auch einige chinesische Hersteller nutzten diese Chance.

Es wird einst zur Ironie der Geschichte gehören, dass der Hauptverursacher für die schlechte Klimabilanz des Verkehrs eben aufgrund seiner Dominanz des Modal Split – der motorisierte Individualverkehr ist für etwa 95 Prozent der verkehrsbedingten CO2-Emissionen verantwortlich – mit der Elektrifizierung auf der Grundlage „grünen“ Stroms nunmehr der entscheidende Akteur für die Erreichung der Klimaziele und damit eine defossile Mobilität sein wird.

© Tim Gouw – unsplash.com

Für eine Verkehrswende braucht es mehr

Mit dem Austausch der Antriebstechnologie wird die Autoindustrie ihre Hypothek als Klimabelastungsfaktor verlieren, aber eine klimaneutrale Mobilität ist zwar eine notwendige, aber noch keine hinreichende Bedingung für eine Verkehrswende. Hier kommt zunächst ein weiteres Innovationsfeld ins Spiel, dass die Chance hat, das Verkehrssystem noch grundstürzender zu verändern als die Elektrifizierung.

Es geht um die Nutzungserweiterungen des Automobils und damit die Geschäftsfelderweiterungen der Automobilindustrie auf der Basis der Software Devices mit neuen Mobilitätsdienstleistungen bis schließlich zum vollautomatisierten und autonomen Fahren.

Damit entdeckt die Automobilindustrie das Rockefeller-Prinzip[1] neu und restrukturiert ihre komplette Wertschöpfungskette, indem immer mehr Anteile in die Nutzungsphase des Automobils wandern.

Dementsprechend ändert sich auch die Zusammensetzung des Fahrzeugwerts fundamental.

Waren es bisher noch etwa 10 Prozent Software- und 90 Prozent Hardware Anteil am Fahrzeugwert, so werden es zukünftig etwa je 40 Prozent Software- und Hardware Anteil sein, ergänzt um 20 Prozent Content (das können Mobilitätsabonnementlösungen mit „over the air“-Updates sein, zusätzliche Produkteigenschaften oder erweiterte Navigationsdienste).

Ein solcher Strukturwandel der Mobilität führt einerseits zu einer verstärkten Individualisierung (kundenspezifische Produkteigenschaften als Abonnements), andererseits werden aber auch die quasi öffentlichen Verkehre mit neuen Mobilitätsdienstleistungen (etwa die Kooperation der Volkswagentochter Moia mit der Hansestadt Hamburg) zu einem strategischen Geschäftsfeld der Autoindustrie.

Nimmt man aus der Perspektive der Automobil- und Zuliefererindustrie als ein weiteres strategisches Innovationsfeld die Kreislaufwirtschaft hinzu (z.B. die angekündigte Kooperation zwischen Volkswagen und der Salzgitter AG bei der Lieferung von „grünem“ Stahl), so kann daraus insgesamt ein kohärentes Transformationsregime für eine deutlich erhöhte Ressourcenproduktivität des Verkehrssystems entstehen.

Weitere Akteure in den Blick nehmen

Das vorgestellte Bild einer dieses Mal möglicherweise gelingenden Verkehrswende auf der Basis der strategischen Innovationsfelder der Automobilindustrie ist offenkundig sehr einseitig und blendet weitere relevante Themen und Akteure aus, etwa den gesamten Bereich der öffentlichen Verkehre und der Schiene, aber auch Aspekte der kommunalen Planung mit verkehrsarmen Quartiersstrukturen, Mikromobilität sowie den kritischen Komplex der Wirtschaftsverkehre und Logistik.

Auch eine dezidiert autokritische und aktivistische Zivilgesellschaft als Entstehungsort einer völlig anders angelegten Verkehrswende war nicht Gegenstand dieses Beitrages. Hier sollte aufgezeigt werden, wie durch einen regulatorisch induzierten Innovationswettbewerb in der Automobilindustrie deren zukünftiger Beitrag zu einer Verkehrswende aussehen kann, die diesen Namen durchaus verdient.

[1] Benannt nach dem Ölmagnaten John D. Rockefeller besagt das Prinzip, dass es vor allem die Auslösung von Folgekosten sind, die ein Geschäftsmodell langfristig absichern können. Bei Rockefeller waren es die Öllampen, deren Anschaffungspreis sehr gering (oder Null) war, um danach den Absatz von Öllieferungen dauerhaft zu gewährleisten.

Literatur

Prätorius, G.: Wende wagen – Zur verkehrspolitischen Programmatik der Ampelkoalition; in: V+T, Verkehr und Technik, Heft 3/2022 (75. Jahrgang), Berlin.

Prätorius, G.: Der „nüchtern-harte“ und der „freundliche“ Weg zu einer neuen und klimaneutralen Mobilität; in: V+T, Verkehr und Technik, Heft 11/2021 (74. Jahrgang), Berlin.

Prätorius, G.: „Corona-Rebound“ oder Schub für Klimaneutralität – Welche Entwicklung wird der Verkehr nehmen?; in: V+T, Verkehr und Technik, Heft 8/2021 (74. Jahrgang), Berlin.


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