Lebensmittelverschwendung: Wie digitale Märkte ökologische und soziale Probleme lösen
Lebensmittelverschwendung ist ein globales Problem, das ökologische, ethische und soziale Auswirkungen hat. In Deutschland werden jährlich etwa 710.000 Tonnen Lebensmittel im Lebensmittelhandel abgeschrieben (Orr und Schmidt, 2021). Diese Verschwendung ist nicht nur teuer, sondern hat auch schwerwiegende Umweltauswirkungen, da sie Ressourcen verschwendet, Treibhausgasemissionen verursacht und einen unnötigen Verbrauch von Landflächen, Wasser und Energie verursacht.
Sie steht im Widerspruch zu den Zielen für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen, die eine Halbierung der Lebensmittelabfälle bis 2030 vorsehen. In diesem Zusammenhang spielen die deutschen Tafeln eine entscheidende Rolle. Sie sind eine der größten Hilfsorganisationen in Deutschland, bestehend aus mehr als 60.000 ehrenamtlichen Helfern und Helferinnen, die jährlich etwa 2 Millionen armutsbetroffene Menschen unterstützen (Tafel Deutschland, 2019). Die Tafeln retten ca. 265.000 Tonnen Lebensmittel pro Jahr, was 37 Prozent der vom Lebensmittelhandel abgeschriebenen Lebensmittel entspricht.
Herausforderungen bei der Lebensmittelverteilung
Trotz dieser erheblichen Bemühungen, Lebensmittelverschwendung zu reduzieren, gibt es noch Raum für Verbesserungen. Ein Großteil der Spenden erreicht die Ausgabestellen auf verschiedenen Wegen, darunter die Sammlung bei lokalen Supermärkten und die Ergänzung aus zentralen Großlagern.
Die Verteilung dieser Spenden auf die Ausgabestellen erfolgt jedoch oft nach starren Mustern, die nicht den tatsächlichen Bedarf der Ausgabestellen berücksichtigen. Dieses Problem betrifft viele Großstädte in Deutschland, darunter Berlin, Düsseldorf und Mannheim.
Die ineffiziente Verteilung von Lebensmittelspenden hat mehrere negative Auswirkungen. Zum einen führt sie dazu, dass einige Ausgabestellen den Konsumbedarf ihrer Kunden nicht decken können. Zum anderen erhalten andere überschüssige Lebensmittel, die möglicherweise verschwendet werden. Dies ist nicht nur ineffizient, sondern auch unfair gegenüber den Kunden, die diese Lebensmittel dringend benötigen.
Bisherige Lösungsansätze
Bisherige Lösungsansätze, wie das sogenannte Gießkannenprinzip, bei dem die Spenden aus dem Großlager gleichmäßig auf alle Ausgabestellen verteilt werden, haben sich als unzureichend erwiesen. Dies führt dazu, dass Ausgabestellen, die bereits reichlich lokale Spenden erhalten, noch mehr bekommen und unter Umständen überschüssige Lebensmittel entsorgen müssen, während andere leer ausgehen.
Eine interessante Lösungsidee kommt von Feeding America, dem amerikanischen Pendant zur Tafel. Sie haben einen Marktmechanismus umgesetzt, bei dem Ausgabestellen Spielgeld erhalten und die gespendeten Lebensmittel ersteigern können (Prendergast, 2017 und 2022).
Die Auktionspreise zeigen an, wie sehr die Ausgabestellen verschiedene Produkte wertschätzen, was das Informationsproblem bei der Lebensmittelverteilung lösen kann. Allerdings ist diese Lösung nur bei hohem Professionalisierungsgrad realisierbar und erfordert in der Regel hauptberufliche Kräfte.
Echtzeitdaten und ein Marktplatz für Lebensmittelspenden
In einem vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) geförderten Projekt haben wir gemeinsam mit Tafel Deutschland e.V. eine innovative Lösung entwickelt, die die Möglichkeiten der Digitalisierung nutzt, um die Lebensmittelverteilung effizienter und fairer zu gestalten.
Die entwickelte eco-Plattform erfasst Spendeneingänge in Echtzeit und wird derzeit von 73 Tafeln genutzt, während 46 weitere Tafeln bereits für die Nutzung geschult wurden. Diese Plattform umfasst auch einen digitalen Marktplatz, auf dem Tafeln überschüssige Spenden einstellen können, die von anderen Tafeln dringend benötigt werden.
Ein Verteilalgorithmus für eine faire und effiziente Verteilung
In einem aktuellen Forschungsprojekt verwenden wir das Beispiel der Berliner Tafel, um das Potenzial eines neuen Verteilmechanismus für Lebensmittelspenden zu veranschaulichen. Die Berliner Tafel verarbeitet wöchentlich mehr als 800 Lieferscheine. Wenn diese Daten in Echtzeit vorliegen, können sie genutzt werden, um die Verteilung von Lebensmittelspenden fairer zu gestalten und gleichzeitig mehr Lebensmittel zu retten.
Unsere Lösung basiert auf einem Verteilalgorithmus, der darauf abzielt, die Spenden so gleichmäßig wie möglich auf die Kunden in den Ausgabestellen zu verteilen. Dieser Algorithmus verwendet Echtzeitdaten, um die Bedarfe der Ausgabestellen zu ermitteln und die Spenden entsprechend anzupassen.
Im Ergebnis wird die Spendenmenge pro Kunde in der ärmsten Ausgabestelle verdreifacht, während sie in der reichsten Ausgabestelle halbiert wird, verglichen mit der bisherigen Verteilung. Dies führt dazu, dass Überschüsse vermieden werden und sowohl Kunden in den ärmsten als auch den reichsten Ausgabestellen auf fast 50 Prozent des Durchschnittskonsums der deutschen Bevölkerung kommen.
Fazit: Digitale Lösungen gegen Lebensmittelverschwendung
Diese neu organisierte Verteilung von Lebensmittelspenden ist ein Beispiel dafür, wie Fortschritte in Technologie und Forschung dazu beitragen können, Märkte effizienter und individueller zu gestalten. Die Digitalisierung ermöglicht es, Daten in Echtzeit zu nutzen, um die Bedarfe der Ausgabestellen genauer zu ermitteln und die Lebensmittelverteilung gerechter zu gestalten.
Insgesamt zeigt unser Projekt, dass die Digitalisierung ein wirksames Werkzeug sein kann, um Lebensmittelverschwendung zu reduzieren und gleichzeitig sicherzustellen, dass Bedürftige die Unterstützung erhalten, die sie benötigen.
Die Tafeln spielen eine entscheidende Rolle bei der Bekämpfung der Lebensmittelverschwendung, und durch den Einsatz von digitalen Lösungen können sie ihre Effektivität weiter steigern.
Die eco-Plattform ist ein erster Schritt in diese Richtung und hat das Potenzial, die Lebensmittelrettung zu optimieren und die Ziele für nachhaltige Entwicklung bis 2030 zu unterstützen. Wir sind optimistisch, dass diese Lösung in Zukunft weiter ausgebaut und in anderen Städten und Ländern implementiert werden kann, um die Lebensmittelverschwendung weltweit zu reduzieren und gleichzeitig Menschen in Not zu helfen.
Literatur
Klein, T. und M. Ott (2023). Effiziente und faire Verteilung von Lebensmittelspenden. Wirtschaftsdienst – Zeitschrift für Wirtschaftspolitik, 103(8): 560–563.
Orr, L. und T. Schmidt (2021). Monitoring der Lebensmittelabfälle im Groß- und Einzelhandel in Deutschland. Thünen Working Paper 168.
Prendergast, C. (2017). How Food Banks Use Markets to Feed the Poor. Journal of Economic Perspectives, 31(4): 145–162.
Prendergast, C. (2022). The Allocation of Food to Food Banks. Journal of Political Economy, 130(8): 1993–2017.
Tafel Deutschland (2019). Lebensmittel retten, Zeit schenken. Jahresbericht 2019.
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