Konsument*innen-Apps als Feedback für die Produktentwicklung
Fast täglich berichten Medien über umwelt- oder gesundheitsgefährdende Produkte und deren Folgen – vom Plastik in den Meeren, Mikroplastik in der Natur über gerodete Regenwälder bis hin zu Schadstoffen in Kosmetika. Zahllose Reportagen, Social-Media-Beiträge und Blogs informieren über einen nachhaltigen Konsum. Bei vielen Konsument*innen ist das Thema inzwischen angekommen.
Feedback per App
Auch Unternehmen reagieren: Immer wieder kommen neue – nachhaltigere – Produktalternativen auf den Markt. Unternehmen nutzen eine ganze Reihe von „Sensoren“, um Verschiebungen der Konsument*innen-Präferenzen wahrzunehmen und auf den Veränderungsdruck zu reagieren, etwa Markterhebungen und Testlabore. Gleichzeitig suchen Konsument*innen den direkten Weg per E-Mail, Telefon oder Brief zu Unternehmen, um das aktuelle Produktdesign zu kritisieren oder konkrete Änderungen einzufordern.
Seit einigen Jahren können Konsument*innen mithilfe von Apps deutlich schneller Feedback geben: Mit dem Smartphone scannen sie den Barcode eines Produkts. Sie können damit Änderungswünsche an Unternehmen übermitteln und/oder sich über nachhaltigere Alternativen informieren.
Auch Unternehmen sparen dabei Zeit, denn das Feedback lässt sich leichter bündeln und auswerten als individuelle persönliche Anschreiben.
Dr. Frieder Rubik
Betrieben werden die Apps durch verschiedene zivilgesellschaftliche Organisationen, die Unternehmen auf Umwelt- und/oder Gesundheitsgefährdungen ihrer Produkte aufmerksam machen und Verbesserungen anregen wollen. Drei beispielhafte Apps wurden im Forschungsprojekt „SDGpro“ des Instituts für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW), Berlin, genauer untersucht:
Die Apps haben eine rund zehnjährige Geschichte: 2013 wurde die App ToxFox gestartet und mittlerweile gibt es mehrere vergleichbare Apps zu Umwelt- und Gesundheitsthemen. Mit diesen Apps sammeln Umwelt- und Verbraucherorganisationen individuelles Feedback der Verbraucher*innen und übermitteln dieses an Unternehmen.
Die grundlegende Funktionsweise ist dabei stets ähnlich, wie am Beispiel der erwähnten Apps dargestellt werden kann:
Produktentwicklung: Apps bieten hohes Potential
Dank ihrer einfachen Anwendung für Konsument*innen und der direkten Übermittlung von Kund*innen-Feedback sind die Apps aus Sicht ihrer Betreiber und der Kundschaft auf den ersten Blick vor allem ein Instrument zur Übermittlung von Beschwerden. Doch gleichzeitig bieten die Apps große Potenziale für Unternehmen. Warum? Ganz einfach – sie sind zugleich:
- eine kostenlose Marktforschung
- ein Frühwarnsystem für Änderungen der Verbraucher*innenpräferenzen
- eine Vorbeugung gegen Risiken durch schnelle Änderungen der regulativen Rahmenbedingungen
- ein kontinuierliches Tracking der Anforderungen und Bedürfnisse der Kundschaft.
Angesichts dieser Möglichkeiten können die Apps sehr gut das Marktbeobachtungs-Set eines Unternehmens ergänzen und auf neue Herausforderungen hinweisen. In dem genannten Forschungsprojekt SDGpro gaben etwa drei Viertel der befragten Unternehmen an, dass sie damit rechnen, dass die Aufmerksamkeit für Alternativen zu Plastikverpackungen sowie für den Einsatz umwelt- oder gesundheitsgefährdender Stoffe zunehmen wird. Genau diese Themen stehen im Mittelpunkt der Apps ReplacePlastic und ToxFox; im Falle von Palmöl (ReplacePalmOil) glaubten dies 42 Prozent der Unternehmen.
Kaum ein Unternehmen denkt jedoch, dass die jeweiligen Thematiken an Aufmerksamkeit verlieren würden. Auch direkte Rückmeldungen aus Unternehmen unterstreichen die Bedeutung der Apps:
„Toll, dass es so eine App gibt. Das kannte ich ehrlicherweise noch nicht (einige Kollegen aber schon) – wenn entsprechend viele Rückmeldungen von Verbrauchern bei uns ankommen, ist das ja auch für uns ein gutes Mittel, das wir an unsere Lieferanten weitergeben können.“ (Hersteller aus der Spielwarenbranche)
„Wir bleiben am Ball – die erhöhte Nachfrage der Verbraucher nach weniger Verpackungsmüll liefert uns gute Argumente gegenüber dem Handel.“ (Anbieter aus der Lebensmittelwirtschaft)
„vielen Dank für eure Rückmeldung zu unserer Mozzarellaverpackung. Die Info hilft uns wirklich sehr. Bei unserem Mozzarella ist es nur so, dass es sich um ein frisches Milchprodukt handelt und dies sehr empfindlich ist. Wir sind schon auf der Suche nach alternativen Verpackungen aber dies gestaltet sich leider etwas schwierig bei unseren Produkten. Wir bleiben aber dran!“ (Anbieter aus der Lebensmittelwirtschaft)
„Wow, verstehe ich es richtig, dass ihr uns angeschrieben habt, weil wir bereits zu den Vorreitern gehören?! das berührt mich. das tut mir jetzt echt gut. ja, wir von XXX füllen Basis-produkte wie Reis, Linsen, Saaten und vieles mehr in das große bekannte Pfandglas ab.“ (Anbieter aus der Lebensmittelwirtschaft)
App-Feedback für Produktentwicklung nutzbar machen
Unternehmen müssen jedoch einige Voraussetzungen erfüllen, um die Apps gut anzuwenden: Zuvorderst geht es um einen konstruktiven und strukturierten Umgang mit dem eingehenden Feedback.
Allerdings sind sich viele Unternehmen aktuell noch unsicher, wie sie auf das appgestützte Verbraucher*innen-Feedback reagieren können und welche Möglichkeiten es gibt, die Ergebnisse für die Produktentwicklung und Außendarstellung nutzbar zu machen. Denn anders als bei individuellen Anfragen über den Kundenservice oder bei Bewertungen übergeordneter Teststellen fehlt in der Regel noch ein festgelegter unternehmensinterner Prozess, um das App-Feedback in einem Unternehmen angemessen zu verarbeiten.
Eine gute Hilfestellung bietet der Leitfaden des Vorhabens „Nachhaltig innovativ durch Kundschaftsfeedback. Wie Unternehmen *innen-Apps in der Produktentwicklung einbinden können“, der im Frühjahr 2023 erschienen ist und kostenlos heruntergeladen werden kann.
Der Leitfaden unterscheidet 12 Schritte für einen konstruktiven Umgang mit den Apps:
- Recherche der relevanten Apps und deren Zielgruppen
- Festlegung einer innerbetrieblichen Ansprechperson und Kontaktadresse für die App-Betreiber
- Nutzung der Kund*innenanfragen oder erkundigen sich bei den App-Betreibern nach den Bedenken der Verbraucher*innen
- Veröffentlichen von Informationen zu Produkten und Einpflege von Produktänderungen in Datenbanken
- Offenlegung der Gründe für die aktuelle Materialwahl und Produktzusammensetzung
- Information der App-Betreiber zur nachhaltigen Gestaltung der Produkte
- Einbeziehen der relevanten innerbetrieblichen Abteilungen
- Festlegung eines Prozess zum Umgang mit dem App-Feedback in der Unternehmensstrategie
- Vereinbarung einer Zusammenarbeit mit Lieferanten, Abnehmern und ggf. Wettbewerbern
- Gestaltung eines aktiven Austauschs mit den App-Betreibern,
- Nutzung des Wissen der App-Betreiber über Produktalternativen und über umwelt- und gesundheitsaffine Zielgruppen,
- Vernetzung mit Unternehmen, Zivilgesellschaft und Politik und Einwirken auf ambitionierte Rahmenbedingungen für nachhaltigere Produkte.
Mit diesen Schritten können Apps für die Produktentwicklung nutzbar gemacht und die ökologische Richtungssicherheit erhöht werden.
Mehr Informationen finden sich hier.
Weitere Beiträge zum Thema auf unserem Blog:
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