Mit dem Wirkungsrating die nachhaltige Transformation unterstützen

Prof. Dr. Dr. Alexander BrinkUniversität Bayreuth

Die Gretchenfrage in der Ethik lautet: Was ist moralisch vorzuziehen? Eine Handlung, die aus einer guten Absicht erfolgt, aber negative Auswirkungen hat, oder eine Handlung, die mit einer schlechten Absicht etwas Positives bewirkt?

Max Weber, einer der einflussreichsten Soziologen des 20. Jahrhunderts, beschäftigte sich eingehend mit dieser Frage und kam zu dem Schluss, dass es unmöglich sei, die Gesinnungsethik und die Verantwortungsethik zu vereinen.

Diese beiden Positionen stünden in einem Spannungsverhältnis zueinander, da die Gesinnungsethik den moralischen Wert einer Handlung auf die innere Motivation des Handelnden stütze, während die Verantwortungsethik die Auswirkungen einer Handlung auf die Gesellschaft und die Welt betrachte. Soweit seine Position im Jahre 1919, die Weber später in dem bahnbrechenden Aufsatz „Politik als Beruf“ veröffentlichte.

Gute 100 Jahre später stehen wir vor der Herausforderung, dass die Transformation in eine nachhaltige Soziale Marktwirtschaft nur gelingen kann, wenn wir genau dieses Problem lösen: wenn Haltung, Handlung und Wirkung kohärent sind. Handlungen sind dann gut, wenn sie aus einer guten Haltung eine gute Wirkung erzielen. Das wäre zumindest das Ambitionsniveau.

Handlungen sind immer dann gut, wenn sie aus einer guten Haltung eine gute Wirkung erzielen.

Prof. Dr. Dr. Alexander Brink

Eine Frage der Motivation

Dazu braucht es eine perfekte Choreografie von intrinsischer und extrinsischer Motivation, aus persönlichen Überzeugungen und Werten wie auch Regeln und Zielen gleichermaßen. Ein Zusammenspiel aus Wirtschaft und Politik.

Während die intrinsische Motivation einzelner Menschen – so stark sie uns auch in unseren Entscheidungen und Handlungen antreibt – oftmals verpufft oder sich in den „Fridays for Future“-Demonstrationen sowie in Sonntagsreden lediglich emotional entlädt, haben wir in den vergangenen Jahren eine nahezu unüberschaubare Flut an Regulatorik aufgefahren, um die extrinsische Motivation zu stärken: SDG, NFRD, CSR-RUG, CSRD, ESRS, Off-VO, Tax-VO, IDD, MiFiD II, LkSG, DCGK, um nur einige zu nennen.

Wir haben dem persönlichen ‚Wollen‘ ein gesellschaftliches ‚Sollen‘ und ‚Müssen‘ zur Seite gestellt. Zurecht, weil es Menschen schwerfällt, in einer globalen Welt heute eine Haltung aufzubauen für Wirkungen, die weit in der Zukunft liegen und nicht nur uns persönlich, sondern weltweit acht Milliarden Menschen betreffen.

Die Bewältigung des Klimawandels ist das beste Beispiel für diese Mammutaufgabe. Wie schaffe ich es, mich heute zu motivieren, möglicherweise auf Annehmlichkeiten wie einen Urlaubsflug, ein Stück Fleisch oder eine warme Stube zu verzichten, wenn die Wirkung meiner Handlung nur minimal ist und dazu noch ganz weit in der Zukunft liegt?

Was für das Klima gilt, trifft auch für die sechszehn anderen Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen zu wie Armuts- und Hungerbekämpfung (SDG 1 und SDG 2), Gesundheit (SDG 3), Bildung (SDG 4) oder menschenwürdige Arbeit (SDG 8) – die (leider) gegenwärtig mit etwas weniger Aufmerksamkeit verfolgt werden.

Viele – vor allem kleinere – Unternehmen fühlen sich durch die Regulatorik überfordert, andere betreiben – oftmals ohne böse Absicht – greenwashing (also die In-Kohärenz aus Haltung, Handlung und Wirkung). Wieder andere verharren im Nichtstun, verfallen in puren, wirkungslosen Aktionismus oder sehen vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr. Kurzum: Es gibt viel Transformationsbereitschaft im Markt, aber wenig Orientierung und Hilfen für den ‚leichten Einstieg‘.

Das Wirkungsrating gibt Orientierung

Mit dem ersten Wirkungsrating Nachhaltigkeit wollen wir die Transformation in eine nachhaltige Gesellschaft unterstützen und Unternehmen ein Instrument an die Hand geben, das Orientierung gibt und den eigenen Weiterentwicklungsprozess unterstützt.

Eine nachhaltige Entwicklung ist nicht allein dadurch gekennzeichnet, dass Risiken reduziert werden (footprint), sondern insbesondere, dass Chancen genutzt werden (handprint). Mit der Erweiterung einer Nonmalefizienz-Strategie hin zu einer Benefizienz-Strategie rückt der positive Beitrag, die positive Wirkung einer nachhaltigen Entwicklung in den Fokus.

Unser Wirkungsrating orientiert sich an klaren Prinzipien.

  • Wir folgen dem ganzheitlichen Konzept von Haltung, Handlung und Wirkung (Wirkungskette): Unser Rating ist wirkungsorientiert.
  • Wir bilden die Rahmenwerke der UN und der EU ab (Regulatorik): Unser Rating ist standardbasiert.
  • Wir legen einen Fokus auf den Nutzen für Kund*innen (Handprint): Unser Rating ist kundenorientiert.

Es braucht erstens eine konsequente Verbindung von Haltung, Handlung und Wirkung, zweitens eine Relevanz auf der Kundenseite und drittens ein gemeinsames Verständnis von Nachhaltigkeit in den ESG-Faktoren, wie es in dem neuen EU-Berichtsstandard definiert wird. Auf dieser Grundlage haben wir nun ein Bewertungssystem entwickelt, das diese verschiedenen Elemente miteinander verbindet.

Die Wirkungskette

Dem Wirkungsrating liegt die Idee zugrunde, dass eine starke Wirkung nur dann erzielt werden kann, wenn die fünf folgenden Hebel erfüllt werden:

  1. Kompetenz: Das Unternehmen ist im Bereich Nachhaltigkeit gut aufgestellt und erfüllt grundlegende Voraussetzungen.
  2. Leistungen: Nachhaltigkeitsaspekte werden systematisch in Produkte und Dienstleistungen integriert und Kund*innen bereitgestellt.
  3. ESG-Maßnahmen: Die Nachhaltigkeitsaktivitäten des Unternehmens und Nachhaltigkeitsmerkmale von Produkten und Dienstleistungen adressieren relevante Nachhaltigkeitsfaktoren.
  4. ESG-Beitrag: Es werden konkrete Ziele, Indikatoren und Messungen in Hinblick auf die adressierten Nachhaltigkeitsfaktoren umgesetzt.
  5. Reichweite: Es wird für eine hohe Durchdringung und Beteiligung im Unternehmen und auf Kundenseite gesorgt.
Die fünf Hebel der Wirkungskette (eigene Abbildung)

Die fünf Hebel bauen aufeinander auf. Das heißt, sofern Defizite in einem Bereich bestehen, wird die Wirkungskette unterbrochen. Wird z.B. ein Produkt mit umfassenden Nachhaltigkeitsmerkmalen entwickelt, das aber nur einen geringen Absatz- oder Marktanteil erreicht, ist die Wirkung entsprechend gering.

Funktionen des Wirkungsratings

Das Wirkungsrating Nachhaltigkeit erfüllt zwei Kernfunktionen:

  • Transparenzfunktion: Der Beitrag von Produkten, Dienstleistungen oder Unternehmen zu einer nachhaltigen Entwicklung wird bewertet und damit sichtbar für Kund*innen, Investor*innen und Mitarbeiter*innen. Das stärkt das Vertrauen in das Unternehmen (= Außenwirkung).
  • Entwicklungsfunktion: Unternehmen erhalten eine Art Fitness-Check. Durch den Ratingprozess und die Bewertung können Unternehmen ihre Entwicklungspotenziale erkennen und gezielt Maßnahmen ergreifen, um sich im Bereich Nachhaltigkeit zu orientieren und zu verbessern (= Innenwirkung).

Wir müssen weg vom reinen Aktionismus und Greenwashing der Unternehmen hin zu einer vergleichbaren Nachhaltigkeitswirkung.

Prof. Dr. Dr. Alexander Brink

Die EU hat die Leitplanken nun definiert, jetzt muss der Markt wieder übernehmen. Mit dem Rating Nachhaltigkeitswirkung wollen wir einen Beitrag dazu leisten – wir beschreiten mit der Architektur unseres Ratings, das einzelne Produkte und Dienstleistungen niemals unabhängig von der Gesamtheit der Nachhaltigkeitswirkungen eines Unternehmens bewertet, echtes Neuland.

Die fünf Phasen des Ratingprozesses

Der Ratingprozess besteht aus fünf Phasen.

Kick Off: In Phase 1 wird das Thema der Untersuchung festgelegt und die wichtigen Nachhaltigkeitsfaktoren werden identifiziert. Im Anschluss wird der Fragenkatalog bereitgestellt und besprochen, um gezielte Fragen zu ermöglichen.

Datenerhebung I: In Phase 2 füllen Unternehmen den Fragenkatalog aus und liefern Nachweise. Falls notwendig, werden Interviews mit ausgewählten Interessengruppen durchgeführt.

Erste Prüfung & Rückmeldung: In Phase 3 wird zunächst die inhaltliche Konsistenz und Vollständigkeit der vorgelegten Nachweise geprüft. Das Unternehmen erhält eine erste Rückmeldung und hat die Möglichkeit, den Fragenkatalog zu überarbeiten und fehlende Informationen bereitzustellen.

Datenerhebung II: In Phase 4 hat das Unternehmen die Möglichkeit, den Fragebogen zu überarbeiten und die Unterlagen zu vervollständigen.

Finale Prüfung & Ergebnisse: In Phase 5 „Finale Prüfung & Ergebnisse“ erfolgt die finale Bewertung und den Auftraggebern wird eine detaillierte Ergebnispräsentation mit Empfehlungen zur Verfügung gestellt. Falls das Unternehmen die Mindestanforderungen erfüllt, wird ein Siegel mit dem Ergebnis bereitgestellt. Das Unternehmen erhält zudem einen Ergebnisbericht, der bei externer Kommunikation des Ratingergebnisses oder beim Einsatz des Siegels vom Auftraggeber von concern veröffentlicht wird.

Die fünf Phasen des Ratingprozesses (eigene Abbildung)

Die Hallesche Krankenversicherung a.G. ist das erste Unternehmen, das sich dem Wirkungsrating Nachhaltigkeit unterzogen hat – einige weitere befinden sich gerade in der Begutachtungsphase. „Mit dem Wirkungsrating erhalten wir eine erste Bewertung von außen, die uns zeigt, wo wir schon gut aufgestellt sind und wo wir uns noch weiterentwickeln können“, so Wiltrud Pekarek, Vorständin der Hallesche Krankenversicherung.

Weitere Beiträge zum Thema auf unserem Blog:

Wie Unternehmen Klimarisiken einschätzen von Prof. Dr. Ute Vanini, FH Kiel

Nachhaltigkeitsberichterstattung im Mittelstand: Wie isst man einen Elefanten? von Prof. Dr. Christina E. Bannier, Uni Gießen

Klima- und Finanzpolitik zusammendenken: Wechselwirkungen und Zielkonflikte von Sara Holzmann, Bertelsmann Stiftung



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