Agri-Photovoltaik: „Booster“ für die Energiewende im ländlichen Raum?

Johannes RuppInstitut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW)
Hannes BluhmInstitut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW)

Die deutschen Klima- und Energieziele sehen einen ambitionierten Ausbau der Photovoltaik vor.  Bis 2030 soll eine Leistung von 215 Gigawatt installiert sein, bis 2040 sogar 400 Gigawatt (EEG 2023).

Zum Vergleich: Seit der Einführung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) im Jahr 2000 wurden insgesamt rund 67 Gigawatt Solarleistung in Deutschland installiert (Stand 2022, AGEE Stat 2023).

Der PV-Ausbau in den zukünftigen Jahren wird also ein Kraftakt, betrachtet man den Status quo.

Johannes Rupp und Hannes Bluhm

Dabei stellt sich vor allem die Frage nach geeigneten Flächen sowie Betreiber- und Geschäftsmodellen.

Mit der im März 2023 veröffentlichten Photovoltaik-Strategie hat das Bundeswirtschafts- und Klimaschutzministerium die Rolle von integrierten PV-Konzepten zur Erreichung der Ziele hervorgehoben (BMWK 2023).

Integrierte PV-Konzepte: Doppelte Flächennutzung

Mit solchen Konzepten wird eine doppelte Nutzung von Flächen ermöglicht. Dazu gehören PV-Anlagen an Seitenrandstreifen entlang von Autobahnen und Schienenwegen, schwimmende PV-Anlagen auf Gewässern, Anlagen auf wiedervernässten Böden (Moor-PV) und auf landwirtschaftlichen Flächen bei Beibehaltung des Anbaus, die Agri-PV.

Das Fraunhofer ISE (2022) hat in einer Studie die Potenziale der Agri-PV herausgestellt: mit einer Nutzung von 4 Prozent der Agrarflächen in Deutschland könnte der gesamte bundesweite Strombedarf bilanziell gedeckt werden.

Der Landwirtschaftssektor könnte somit neben seinen Treibhausgasemissionen von 62 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente in 2022 (UBA 2023) aktiv zum Erreichen der Klima- und Energieziele der Bundesregierung beitragen – bei weitreichender Beibehaltung der landwirtschaftlichen Produktion. Der vor Ort genutzte oder eingespeiste Strom, der keine direkten Treibhausgasemissionen verursacht, verdrängt vor allem fossile Kraftwerke aus dem Markt.

Nutzen der Agri-PV: Was kann die Technologie leisten?

Module der Agri-PV können bodennah als vertikale Systeme oder horizontal als hoch aufgeständerte Systeme sowohl in Acker- und Obstbau als auch auf Grünland eingesetzt werden.

Dabei bieten die Anlagen einen mehrfachen Nutzen für die Landwirt*innen. Durch die Beschattung, als Windbrecher oder Hagelschutz tragen die Module zur Verbesserung der landwirtschaftlichen Wuchsbedingungen bei, insbesondere bei schattenresistenten Kulturen. Somit ist die Agri-PV auch eine mögliche Anpassungsmaßnahme an die Folgen des Klimawandels – insbesondere über schlechten oder trockenen Böden sowie bei Erosionsgefahr oder hohen Niederschlägen.

Der produzierte Strom kann zudem von den landwirtschaftlichen Betrieben und zum Beispiel von industriellen Großabnehmern vor Ort genutzt oder alternativ ins öffentliche Stromnetz eingespeist werden. Somit können die Betreiber Strombezugskosten senken oder zusätzliche Einnahmen generieren.

Durch die lokale Stromerzeugung können darüber hinaus auch Steuereinnahmen für die Kommunen und Arbeitsplätze in der Region geschaffen werden, was die regionale Wertschöpfung steigert.

Wo steht die Technologie aktuell?

Erste Erfahrungen in der Planung, Realisierung und im Betrieb der Agri-PV werden seit einigen Jahren über Pilot- und Demonstrationsanlagen gesammelt. Mit der Innovationsausschreibung, geregelt über das EEG, wurde zuletzt ein wirtschaftlicher Betrieb von staatlicher Seite gefördert.

Zusätzlich zu den am Markt erzielten Erlösen gewährte das Gesetz eine fixe Vergütung, abhängig von der erzeugten Menge an Strom. Im April 2022 hat die Bundesnetzagentur 12 eingereichten Agri-PV-Geboten mit einem Nennwert von 22 Megawatt einen Zuschlag erteilt (Neumann 2022).

Mit dem EEG 2023 wird die Agri-PV in die Freiflächenausschreibungen integriert und erhält damit eine dauerhafte Perspektive. Zudem wird zur Förderung der Wettbewerbsfähigkeit und zum Ausgleich der höheren Kosten ein degressiv verlaufender Technologiebonus eingeräumt (EEG 2023, Altrock et al. 2022).

Ein Selbstläufer ist die Agri-PV damit noch nicht.

Johannes Rupp und Hannes Bluhm

Die Standardlösung ist nach wie vor die Realisierung von PV-Freiflächenprojekten, vor allem aufgrund der geringeren Investitionskosten und der erzielten Erfahrung bei Planung und Umsetzung.

In der Landwirtschaft verschärfen die Freiflächenprojekte wiederum den Druck auf die Flächen. Bedeutsam ist daher das Zusammentragen von Wissensbeständen sowie von Bedarfen und Handlungsmöglichkeiten einzelner Akteursgruppen zur Agri-PV.

Ein solcher Austausch erfolgte im Rahmen des BMWK-geförderten Projekts Landgewinn mit landwirtschaftlichen Betreibern und Projektierern der Agri-PV, Personen aus dem Bereich Planung und Genehmigung, einem Vertreter eines Energieversorgers/Netzbetreibers und weiteren Akteuren mit Erfahrungswissen.

In der Diskussion ging es schwerpunktmäßig um die Auswahl von geeigneten Flächen, das Ausloten von passenden Regelwerken und Anreizstrukturen sowie die Sensibilisierung und Qualifizierung von einzelnen Akteursgruppen, mit dem Ziel, die Agri-PV zukünftig in die breite Anwendung zu bringen.

Blick nach vorne: Was gilt es zukünftig zu tun?

Aus Sicht der Diskussionsteilnehmenden ist bei der Flächenauswahl die Land- und Energiewirtschaft frühzeitig einzubinden. Präferiert werden sollten Flächen mit einem landwirtschaftlichen Mehrwert, die durch Trockenheit und Erosion gefährdet sind und durch die PV-Module geschützt werden.

Auch sollten die Flächen, zur optimalen Nutzung und zum Abtransport des produzierten Stroms, in der Nähe von Netzanschlüssen liegen. Bestehende Regelwerke wie z. B. die EEG-Ausschreibungen und die DIN SPEC sollten offener gestaltet sein, wodurch eine Überbürokratisierung von Beginn an vermieden wird.

Denkbar dafür sind zum Beispiel gesetzliche Kriterien zur bevorzugten Anwendung der Agri-PV, was einer Privilegierung der Technologie gleichkommt. Eine wichtige Akteursgruppe für die Realisierung von integrierten PV-Projekten sind die Kommunen, weswegen diese besonders sensibilisiert und qualifiziert werden sollten. Durch das Erteilen von Baugenehmigungen können diese die Umsetzung der Agri-PV vereinfachen.

Außerdem liegt es in der Hand der Kommunen, den weiteren Ausbau der PV auf Freiflächen durch Festlegungen im Bebauungsplan einzuschränken. Zu realisieren ist dies unter anderem durch ein vereinfachtes Bauplanungs- und Bauordnungsrecht.

Um mehr Wissen für eine breite Anwendung der Agri-PV zu erlangen, sind Möglichkeiten zur Erprobung der Technologie und zum Sammeln von weiteren Erfahrungen zu schaffen. Unterstützt werden könnten solche Ansätze beispielsweise über ein Förderprogramm für die Umsetzung von 1.000 Anlagen („1.000 Felder Förderprogramm“) oder Investitionszuschüsse durch den Bund oder die Länder.

Wie kann die breite Anwendung der Agri-PV gelingen?

Nur wenn die Interessen von Land- und Energiewirtschaft berücksichtigt sind und Kommunen frühzeitig für die Agri-PV gewonnen werden, kann langfristig das Potenzial der Technologie genutzt werden.

So gelingt eine beschleunigte Energiewende im ländlichen Raum und es entsteht ein signifikanter Beitrag zu den anvisierten nationalen Klima- und Energiezielen.

Johannes Rupp und Hannes Bluhm

Dies erfordert zukünftig stärker integrativ und ganzheitlich zu planen. Bei der Standortwahl beispielsweise sollte die landwirtschaftliche Produktion und die Energiewende mit dem Klimaschutz und der Klimaanpassung zusammengedacht werden. Auch sollte die Errichtung von Agri-PV-Anlagen insbesondere dort erfolgen, wo die nötige Netzinfrastruktur und auch die Nachfrage nach dem erzeugten Strom in der Region vorhanden ist.

Wichtige Voraussetzung für die zukünftige Planung, Umsetzung und den Betrieb der Agri-PV wird auf regionaler Ebene das Zusammenspiel von landwirtschaftlichen Betrieben, Energieversorgern/Netzbetreibern, Kommunen, Projektierern und Investoren sein. Dafür bietet sich das Aufsetzen von vor Ort verankerten Betreiber- und Geschäftsmodellen an, die wiederum Wertschöpfung generieren und die nötige Akzeptanz für Agri-PV-Projekte fördern können. Entsprechende Informations- und Beratungsangebote an verschiedene Akteursgruppen gerichtet können diesen Prozess unterstützen.

Darüber hinaus sollte der Austausch von Politik und Verwaltung mit Interessensvertretungen der Land- und Energiewirtschaft zu praktikablen Regelwerken und Anreizstrukturen auf nationaler Ebene zukünftig weiter vertieft werden.

Mit einem solchen Set an Maßnahmen kann die breite Anwendung der Agri-PV gelingen. Dies zeigen auch Aussagen von weiteren land- und energiewirtschaftlichen Akteuren, die schon heute in der Agri-PV eine vielversprechende Option für die Umsetzung der Energiewende, den Klimaschutz und die Klimaanpassung sehen sowie wirtschaftliche Impulse in ländlichen Regionen mit der Technologie verbinden.

Zum Weiterlesen: Rupp, Johannes; Bluhm, Hannes (2023): Agri-Photovoltaik: Klimaschutztechnologie an der Schnittstelle von Land- und Energiewirtschaft. Was Akteure aus der Praxis bewegt hier.

Literatur

AGEE Stat (2023): Zeitreihen zur Entwicklung der erneuerbaren Energien in Deutschland.

Altrock M., Vollprecht J., Große A. (2022): Agri-Photovoltaik im EEG 2023.

BMWK (2023): Photovoltaik-Strategie.

EEG (2023): Gesetz für den Ausbau erneuerbarer Energien (Erneuerbare-Energien-Gesetz – EEG 2023)

Fraunhofer ISE (2022): Agri-Photovoltaik: Chance für Landwirtschaft und Energiewende – Ein Leitfaden für Deutschland

Neumann, Hinrich (2022): Innovationsausschreibung: 12 Agri-PV-Projekte erhalten Zuschlag. topagrar online von 11.05.2022.

UBA (2023): Berechnung der Treibhausgasemissionsdaten für das Jahr 2022 gemäß Bundesklimaschutzgesetz. Begleitender Bericht.

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