Energie

Das Energiesystem der Zukunft

Dr. Simon KapitzaFraunhofer-Gesellschaft

Die Transformation des Energiesystems hin zu Klimaneutralität und Resilienz ist essenziell, um klimaschädliche Emissionen zu senken die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Gleichzeitig bietet sie wichtige Chancen für den Industriestandort Deutschland.

In den kommenden zehn bis fünfzehn Jahren wird diese Transformation in Deutschland und Europa von Energieeffizienzsteigerungen und einer Reduktion des Energieverbrauchs abhängen – aber auch stark von der Weiterentwicklung bewährter Technologien.

Strukturelle Maßnahmen nötig

Neben technologischen Innovationen sind gezielte strukturelle Maßnahmen notwendig, um den Markteintritt von zukunftsweisenden Energietechnologien zu beschleunigen. Dazu zählen die Standardisierung von Zertifizierungsprozessen und die Vereinfachung von Genehmigungsverfahren, um den Ausbau von Infrastrukturen wie Wind- und Solarenergie sowie Wasserstoffanlagen effizient voranzutreiben.

Ebenso ist die gezielte Förderung der Weiterentwicklung von Brennstoffzellen, Lithium-Batterien und digitalen Technologien für Transfer und Produktion von zentraler Bedeutung. Angesichts der Schädlichkeit von PFAS (auch bekannt als „Ewigkeitschemikalien“) ist die Entwicklung geeigneter Alternativen – insbesondere für den Einsatz in Elektrolyseuren – eine dringende Priorität. Hinzu kommt, dass auf EU-Ebene bereits ein PFAS-Beschränkungsverfahrens läuft.

Diese Maßnahmen legen die Grundlage für technologische Fortschritte in einigen kurzfristig umsetzbaren Bereichen der Transformation des Energiesystems.

Wie und wo technologische Fortschritte möglich sind

Photovoltaik (PV): Die Weiterentwicklung innovativer Technologien wie Tandemsolarzellen und bifaziale Module mit über 30 Prozent Wirkungsgrad sollte priorisiert werden. Auch integrierte Lösungen wie Agri-PV, Floating-PV und Gebäude-PV bieten Potenzial durch Flächendoppelnutzung.

Windenergie: Offshore-Windprojekte und schwimmende Windkraftanlagen sollten priorisiert werden. Forschung an Rotorblättern, wie der „12-Stunden-Rotorblatt“-Fertigung und Technologien wie „Mosaic Blade“ und „Durable Blade“, steigert die Wettbewerbsfähigkeit.

Wasserstoff: Die Nutzung effizienter Elektrolyseure sollte durch automatisierbare Produktionsverfahren und die Entwicklung von Wasserstoffinfrastrukturen und -speicher skaliert werden, um die Marktteilnahme im globalen Wasserstoffmarkt abzusichern.

Wärmespeicher: Neue Materialien und Konzepte für große Speichersysteme, von Niedrig- bis Hochtemperatur, müssen hinsichtlich Effizienz, thermischer Stabilität und Speicherdichte entwickelt werden. Ebenso sind effiziente Speicherstrategien für Wärmepumpen erforderlich.

Geothermie: Eine fundierte 3D-Raumplanung für geothermale Energiegewinnung und CO2-Speicherung ist notwendig. Investitionen in neue Bohrtechnologien und großskalige Wärme- und Kältespeicher sollten gefördert werden.

Energienetze: Zunehmend dezentrale Energienetze benötigen digitale Lösungen und Automatisierung. Der Einsatz neuer Technologien, wie leistungselektronischer Wandler, sorgt für Netzstabilität und gewährleistet Effizienz, Sicherheit und Resilienz.

Außerdem erfordern wetterbedingte Schwankungen des erneuerbaren Energieangebots eine Flexibilisierung des Energiesystems durch Sektorenkopplung, Speichertechniken, Lastanpassung und -verschiebung und eine flexible Stromerzeugung. Hierfür eignen sich neben stationären Brennstoffzellen auch mit Erdgas betriebene Stromerzeugungseinheiten, die hochdynamisch betrieben werden können und später eine Umstellung auf Wasserstoff ermöglichen („H2-ready“).

Energiesouveränität für Deutschland und Europa

In den vergangenen Jahren sind zahlreiche Produktionsstätten der Solar- und Rotorblattindustrie in Europa geschlossen oder ins Ausland verlagert worden. Um die Lieferketten widerstandsfähiger zu gestalten und die Importabhängigkeit zu verringern, ist es entscheidend, diese Industrien in Europa zu erhalten oder gezielt zurückzuführen. Die angewandte Forschung kann dabei standortbedingte Nachteile ausgleichen.

Durch Serienfertigung, Circular Engineering und Circular Economy Technologies wird die Recyclingfähigkeit von Komponenten und Rohstoffen für Speicher, Transportsysteme und Konverter erhöht. Die Erforschung der Geothermie ermöglicht zudem die Extraktion kritischer Rohstoffe wie Lithium aus geothermischen Fluiden und stärkt so die Ressourcensouveränität.

Entwicklung von Systemlösungen durch Reallabore

Die Flexibilisierung des Energiesystems erfordert eine verstärkte Sektorenkopplung und den Einsatz spezifischer Technologien wie Wärmepumpen, Energiespeicher und Elektrolyse-Systeme. Neue Speichertechniken, Möglichkeiten zur Lastanpassung und -verschiebung und eine dezentrale Stromerzeugung sind hierfür essenziell.

Sie erfordern gleichzeitig die Entwicklung smarter, regionalisierter Steuerungssysteme. Neben neuen Geschäftsmodellen (z. B. zeitabhängigen Stromtarifen) bietet sich hier auch die Einführung von Reallaboren unter Federführung von Wirtschaftsunternehmen mit wissenschaftlicher Begleitung an. Reallabore bieten ein passfähiges Instrument, um systemische Lösungen für das Energiesystem unter Realbedingungen zu testen und zügig in die breite Anwendung zu bringen – sie sollten daher mit hoher Priorität über ein Gesetz geregelt werden.

Digitalisierung des Energiesystems als Enabler

Ein klimaneutraler Energiesektor erfordert eine konsequente Digitalisierung der kritischen Infrastruktur aus dezentralen, erneuerbaren Erzeugern, flexiblen Lasten und neuen Speichern – ohne Digitalisierung ist eine sichere und wirtschaftliche Energiewende nicht umsetzbar.

Ein gemeinsames Zukunftsbild der Digitalisierung ist notwendig, um Politik, Wirtschaft und Forschung auszurichten und neben technologischen Fortschritten auch eine Weiterentwicklung der Regulatorik zu ermöglichen.

Innovative Bausteine müssen durch F&E-Projekte, Reallabore und systemische Umsetzungsprojekte gefördert werden. Entscheidend ist auch eine grundsätzliche Offenheit für unternehmensübergreifende Anwendungen, beispielsweise durch einen Energiedatenraum für automatisierte Prozesse.

Darüber hinaus ist die Nutzung Künstlicher Intelligenz für die Analyse der enorm großen anfallenden Datenmengen von großer Bedeutung für eine effiziente Entscheidungsfindung. Parallel zur Digitalisierung sind Investitionen in die Forschung und Entwicklung von Cybersicherheit dringend erforderlich, um die Cyberresilienz des Energiesystems langfristig zu stärken.

Langfristoptionen

Wasserstoff

Um fossile Energieträger zu ersetzen, braucht es eine Systemarchitektur, die lokale Elektrifizierung mit einem globalen Handelssystem für wasserstoffbasierte Energieträger kombiniert. Deutschland kann eine führende Rolle in der Wasserstoffwirtschaft einnehmen, wenn gezielte Forschung von Materialwissenschaften bis zur skalierbaren Produktion von Elektrolyseuren vorangetrieben wird. Dies stärkt die Industrie entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Gleichzeitig bietet die Weiterentwicklung von Technologien für Carbon Capture and Utilisation (CCU) und Carbon Capture and Storage (CCS) großes Potenzial, um unvermeidbare Emissionen zu reduzieren.

Chemische Speicher

Batterien sind entscheidend für die Energiewende, da sie erneuerbare Energien speichern und Elektromobilität ermöglichen. Fortschritte in Energiedichte, Ladegeschwindigkeit und Kosteneffizienz erhöhen die Alltagstauglichkeit moderner Batterien.

Die Forschung an leistungsfähigeren Lithium-Ionen-, Feststoff- und Natrium-Ionen-Batterien trägt gleichzeitig zur Steigerung ihrer Effizienz und Nachhaltigkeit bei. Über die Förderung von Recycling und Post-Lithium-Konzepten können Abhängigkeiten von kritischen Rohstoffen weiter reduziert werden, mit dem Ziel einer Kreislaufwirtschaft.

Fusion

Die Fusionsenergie bietet das Potenzial für eine grundlastfähige, saubere und sichere Energiequelle. Deutschland ist führend in Magnet- und Laserfusionsforschung und kann durch Innovationen wie Hochleistungsmagnete und Tritium-Kreisläufe eine Schlüsselrolle im globalen Markt einnehmen. Die Einrichtung nationalen Kernfusions-Hubs, offene Forschungsinfrastrukturen mit globalen Alleinstellungsmerkmalen und eine gezielte Nachwuchsförderung sind dafür essenziell.

Um Fusionsforschung langfristig zu etablieren, bedarf es einer umfassenden Fusionstechnologien-Roadmap. Über den Ausbau von internationalen Kooperationen kann die technologische Spitzenposition Deutschlands in der Fusionsforschung langfristig gesichert werden.

Dieser Beitrag ist die gekürzte Version des Positionspapiers „Das Energiesystem der Zukunft“ der Fraunhofer-Gesellschaft, welches hier zu finden ist.

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Energiewende in Europa: Wasserstoff- und Stromnetze kombinieren von Dr. Fabian Neumann, Technische Universität Berlin

Industrie: Mit Energieeffizienz und Energieflexibilität zur Klimaneutralität von Marie-Christin Grabisch und Kerim Torolsan, Institut für Energieeffizienz in der Produktion

Energiewende à la française: Herausforderungen und Strategien von Adeline Guéret und Dr. Wolf-Peter Schill, DIW Berlin



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