Corona-Pandemie – Fluch oder Segen für die ökologische Nachhaltigkeit?

Dr. Thieß PetersenBertelsmann Stiftung

Thomas RauschProgramm Megatrends

Markus OverdiekProgramm Megatrends

Die Corona-Pandemie führt 2020 weltweit zu einer erheblichen Einschränkung des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens. Dabei kommen die Produktions- und Reiseaktivitäten teilweise vollständig zum Erliegen. Positiv ist daran der Rückgang von Treibhausgas-Emissionen aufgrund des geringeren Energieverbrauchs. Es ist jedoch denkbar, dass dieser Effekt kompensiert wird, wenn die Weltwirtschaft wieder alle Produktionskapazitäten nutzt. Möglicherweise ergibt sich aus der Corona-Pandemie und deren ökonomischen Folgen mittel- und langfristig sogar eine Verschlechterung des Klimaschutzes. Um dies zu verhindern, bietet sich eine wirtschaftspolitische Flankierung an.

Kurzfristiger Rückgang von Produktions- und Reiseaktivitäten

Die weltweite Ausbreitung des Coronavirus COVID-19 hat kurzfristig einen erheblichen Rückgang des Energie- und Ressourcenverbrauchs zur Folge. Ein Grund dafür: die weltweite Drosselung der Industrieproduktion. Zudem sank der Ressourcenverbrauch durch den Rückgang von Reise- und Transportaktivitäten. So nutzten im April 2020 nur noch etwas weniger als 300.000 Passagiere die deutschen Flughäfen, im Mai lag die Zahl bei rund 465.000. Das waren jeweils rund 98 Prozent weniger als im April und Mai 2019. Selbst wenn im Verlauf des Jahres wieder mit einem Anstieg des Flugverkehrs zu rechnen ist, wird das Flugaufkommen mit Blick auf das gesamte Jahr deutlich niedriger ausfallen, als vor dem Ausbruch der Pandemie erwartet. Damit bleibt auch der Ausstoß von Treibhausgasen hinter den Prognosen für das Jahr 2020 zurück.

Anstieg des Ressourcenverbrauchs bei wirtschaftlichen Aufholprozessen

Im Zuge der weltwirtschaftlichen Erholung ist wieder mit einem erheblichen Anstieg wirtschaftlicher Aktivitäten zu rechnen – und mit einem höheren Ressourcenverbrauch inklusive steigender Treibhausgas-Emissionen. Dies gilt vor allem mit Blick auf die Produktion physischer Güter, denn bei ihnen ist mit einem Nachholen des während der Pandemie ausgefallenen Konsums zu rechnen. Mit der entsprechend hohen Steigerung der Produktion ist gleichzeitig verbunden, dass ein Großteil des eingesparten Ressourcenverbrauchs nachgeholt und eventuell sogar überkompensiert wird. Diese Entwicklung war auch nach der durch die Lehman-Pleite ausgelösten Weltwirtschaftskrise zu beobachten: Zwar ging das weltweite Volumen der CO2-Emissionen 2009 zunächst um rund 1,4 Prozent zurück. Aber mit der raschen wirtschaftlichen Erholung stiegen diese Emissionen 2010 um fast sechs Prozent – „die krisenbedingten Einsparungen wurden zunichtegemacht“.

Ob es nach der Corona-Pandemie zu einem so hohen nachholbedingten Anstieg des Ressourcenverbrauchs kommen wird, ist nicht sicher. Für einen geringeren Anstieg spricht, dass die aktuelle Rezession, anders als bei der Wirtschaftskrise 2008/09, zahlreiche Dienstleistungsbereiche wesentlich stärker trifft. Vor allem die Bereiche Gastronomie, Tourismus und Teile der Kultur- und Kreativwirtschaft (Theater, Konzerte, Messen und andere Veranstaltungen) leiden in erheblichem Maße unter Kontakt- bzw. Versammlungsverboten und Reisebeschränkungen. In diesen Bereichen ist es sehr wahrscheinlich, dass während der Pandemie ausgefallene Konsumaktivitäten nicht – oder nur teilweise – nachgeholt werden.

Hinzu kommt der verstärkte Einsatz des Homeoffice, der 2008/09 nicht zu verzeichnen war. Das wochenlange Arbeiten vieler Menschen von zu Hause aus hat das Verkehrsaufkommen erheblich reduziert. Der damit eingesparte Energieverbrauch – vor allem durch den Rückgang des Autoverkehrs – wird ebenfalls nicht nachgeholt, wenn die Pandemie eingedämmt ist.

Beide Entwicklungen können dazu führen, dass der Nachholeffekt beim Ressourcenverbrauch nach der Corona-Pandemie geringer ausfällt als nach der Lehman-Pleite. Dennoch ist das noch kein Grund, optimistisch auf den Energie- und Ressourcenverbrauch sowie den Emissionsausstoß in der Post-Corona-Zeit zu blicken.

Anreize zur Ressourceneinsparung können nach der Pandemie sinken

Ob sich Unternehmen und Verbraucher für ressourcen- und emissionsarme Produktionsverfahren und Produkte entscheiden, ist vor allem eine Frage der Anreize. Ein zentraler Anreizmechanismus der Marktwirtschaft sind die Preise. Durch den Rückgang des Energie- und Ressourcenverbrauchs während der Corona-Pandemie sinken die Ressourcenpreise. Das gilt auch für den Preis von Emissionszertifikaten. Da nicht benötigte Zertifikate verkauft oder für zukünftige Emissionen behalten und später verwendet werden können, werden einige Unternehmen die Phase des Lockdowns genutzt haben, um sich mit preiswerten Zertifikaten einzudecken. Sofern sie diese für einen möglichen Ausstoß von Treibhausgasen zu einem späteren Zeitpunkt verwenden, sinkt damit der ökonomische Anreiz, in ressourcenschonende und kohlenstoffarme Technologien zu investieren.

Auch rechtliche Rahmenbedingungen könnten dahin gehend geändert werden, dass der Umstieg auf nachhaltigere Produktionsverfahren weniger attraktiver wird. So ist es durchaus plausibel, dass staatliche Regulierungen, die der Internalisierung der negativen externen Effekte des Ressourcenverbrauchs dienen, zurückgenommen werden könnten, um die internationale Wettbewerbsfähigkeit der einheimischen Unternehmen zu erhöhen. Damit lassen sich über steigende Exporte und sinkende Importe die Beschäftigung und das Einkommen im Inland erhöhen.

Finanzielle Möglichkeiten zur Ressourceneinsparung können nach der Pandemie sinken

Erschwerend kommt hinzu, dass sich durch die Corona-Krise bei vielen Unternehmen die finanziellen Möglichkeiten für Investitionen in umwelt- und klimafreundlichere Technologien verschlechtern. Gewinnrückgänge bzw. Verluste beeinträchtigen die Realisierung entsprechender Investitionen durch Eigenkapital. Auch die Kreditfinanzierung von Investitionsvorhaben ist problematisch. Der Grund: Die Kreditaufnahme während der Pandemie, die bei vielen Unternehmen zur Liquiditätssicherung zwingend erforderlich ist, erhöht die Schulden der Unternehmen und erschwert dadurch die Aufnahme weiterer Kredite.

Hinzu kommt die generelle Unsicherheit hinsichtlich der wirtschaftlichen Entwicklung der nächsten Monate oder sogar Jahre. Es ist nicht ausgeschlossen, dass es zu einem erneuten stärkeren Ausbruch von COVID-19-Erkrankungen in Europa kommt. Da sich die mittelfristigen Absatzchancen deshalb nicht gesichert vorhersagen lassen, scheuen Unternehmen davor zurück, Investitionen zu tätigen. Dies betrifft dann auch Investitionen in ressourcenschonende Produktionsverfahren.

Lichtblicke für die ökologische Nachhaltigkeit

Allerdings bringen die während der Corona-Krise gesammelten Erfahrungen auch Chancen für eine mittel- und langfristige Verringerung des Ressourcenverbrauchs mit sich. So ist es denkbar, dass die Reiseaktivitäten von Wirtschaft, Verwaltung und Politik auch nach dem Ende der Pandemie auf einem niedrigen Niveau bleiben, weil sich zahlreiche Unternehmen, Behörden und Organisationen an Online-Meetings und Videokonferenzen gewöhnt haben und diese Formen des Austauschs aus Kostengründen beibehalten. Auch die Arbeit im Homeoffice könnte für viele Unternehmen und Beschäftigte mehr und mehr zum Normalfall werden, wodurch sich das Verkehrsaufkommen zusätzlich reduzieren würde.

Ein weiterer Schub für die ökologische Nachhaltigkeit kann sich ergeben, wenn die Regierungen bei der Ausgestaltung der Konjunkturpakete, die zur Ankurbelung der Wirtschaft geschnürt werden, verstärkt Maßnahmen zur ökologischen Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft finanzieren. Das Ende Juni 2020 beschlossene Konjunkturpaket enthält eine Reihe von derartigen Maßnahmen, u. a. Investitionen in Klimatechnologien, die Förderung des öffentlichen Personennahverkehrs, die Förderung von Forschung und Entwicklung im Bereich der Elektromobilität, der Batteriezellfertigung und der Wasserstofftechnologie sowie Prämien für den Kauf von klima- und umweltfreundlicheren Elektrofahrzeugen.

Fazit und Ausblick

Die Corona-Pandemie kann der Startschuss für eine dauerhafte Verringerung des Ressourcenverbrauchs und der Treibhausgas-Emissionen sein. Unternehmen und Verwaltungen könnten auch in der Post-Corona-Zeit verstärkt Online-Formate für die Organisation und Durchführung arbeitsteiliger Produktionsprozesse einsetzen und damit zukünftig auf viele Reiseaktivitäten verzichten. Wirtschaftspolitisch besonders wichtig sind im Rahmen der Konjunkturpakete ressourcen- und klimaschonende staatliche Maßnahmen. Wird diese Strategie nach dem Auslaufen dieser Programme fortgeführt, könnte das zu einer Wirtschaftspolitik führen, die die Entwicklung und den Einsatz ressourcenschonender Technologien fördert. Der verstärkte Einsatz für die ökologische Nachhaltigkeit hätte dann auch ökonomische Vorteile: Eine so geprägte Wirtschaftspolitik kann den deutschen Unternehmen den Weg zur zukünftigen Marktführerschaft im Bereich wichtiger Technologien ebnen und zu einer verbesserten Krisenresilienz durch eine geringere Abhängigkeit von globalen Lieferketten führen.

Hinweis: Ausführlichere Überlegungen hierzu sind dem Diskussionspapier „Brave Green World? Die Corona-Pandemie als Chance für nachhaltiges globales Wirtschaften“ zu entnehmen.



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