„In vielen Branchen konkurriert man heute nicht mehr mit Produkten, sondern mit Technologien“

Ein Großteil der deutschen Wirtschaft ist bisher wenig innovativ. Das zeigt auch eine kürzlich von der Bertelsmann Stiftung veröffentliche Studie. Darunter leidet auch die gesamtgesellschaftliche Produktivität, die in Deutschland seit Jahren stagniert. Woran liegt es, dass gerade in KMU zu wenig investiert und innoviert wird? Was könnte die Politik tun, um die Rahmenbedingungen zu verbessern? Diesen Fragen wollen wir im Rahmen unserer Serie „Produktivität aus Unternehmenssicht“ nachgehen. Zu Wort kommen dabei Vertreterinnen und Vertreter von mittelständischen Unternehmen, die sich im Prozess der Automatisierung und Digitalisierung befinden. Im zweiten Teil unserer Serie heute: Christoph Geyer, CEO von Saertex, einem führenden Unternehmen in der Produktion von Verbundmaterialien aus Glas-, Carbon- und Aramidfasern.

Ben Schröder: Herr Geyer, der Hauptsitz von Saertex liegt in Saerbeck, einer kleinen Gemeinde im nördlichen Münsterland, die sich wegen ihrer Verdienste um den Umweltschutz „NRW-Klimakommune“ nennen darf. Wie sehr profitieren Sie als Unternehmen vom Engagement für den Umweltschutz an ihrem Standort?
Christoph Geyer: Die Themen Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung sind ein wichtiger Bestandteil unserer Unternehmensphilosophie. Mit der Kommune selbst gibt es Zusammenarbeit auf verschiedensten Ebenen: Das fängt mit dem Thema Berufsausbildung an und hört mit dem Bio-Energiepark hier in Saerbeck auf. Da stehen unter anderem Windräder, in denen unsere Materialien verbaut sind. Auch durch unsere Produkte sind wir stark mit Themen rund um den Umwelt- und Klimaschutz verbunden. Die Klimakommune selbst ist außerdem ein Publikumsmagnet. Hier geben sich Besuchergruppen aus der ganzen Welt die Hand und erkunden, wie das Modell Klimakommune funktioniert.

Saertex bezeichnet sich selbst als „Hidden Champion“. Den meisten Menschen wird Ihr Unternehmen vermutlich kein Begriff sein. Können Sie unseren Leserinnen und Lesern erklären, welche Produkte Saertex entwickelt und herstellt?
Wir sind ein 1982 gegründetes Familienunternehmen und sitzen hier mitten im Münsterland. Die Textilherstellung hat in dieser Region eine lange Tradition. Auch Saertex hat in seinen Anfängen klassische Textilien wie Tischdecken und Handtücher hergestellt. Auch heute sind wir grob gesagt noch in der Textilindustrie tätig, nur dass wir heute nicht mehr Baumwolle, sondern Glas-, Carbon- und Aramidfasern verarbeiten. Wir stellen technische Textilien für den Leichtbau her. Mit diesen Materialien kann man im Vergleich zu Stahl, Aluminium und Beton bis zu 80 Prozent des Gewichts einsparen. Unsere Produkte findet man zum Beispiel in Flugzeugen und Windkraftanlagen. Unser zweites Geschäftsfeld ist die grabenlose Rohrleitungssanierung. In diesem Bereich produzieren wir aus den von uns hergestellten Glasfasertextilien Schlauch-Liner. Diese Liner werden in kaputte Abwasser- oder Trinkwasserrohre eingeführt, so dass ein gesundes Rohr in einem kaputten Rohr entsteht – und das ohne, dass dafür die Straße aufgerissen werden muss.

Die Welt hat sich in den vergangenen Jahren rasant gewandelt. Was sind für ein mittelständisches Familienunternehmen wie Saertex die markantesten Veränderungen der vergangenen Jahre?
Das Thema Globalisierung beschäftigt uns nach wie vor. Wir sind auf allen fünf Kontinenten aktiv und arbeiten dort für die lokalen Märkte und die ansässigen Global Player. Das heißt, dass wir Kundschaft auf der ganzen Welt haben, deren Bedürfnisse sich zum Teil stark unterscheiden. Außerdem unterscheiden sich natürlich auch die Länder, in denen wir operieren. Zum Beispiel im Hinblick auf die vorhandene Infrastruktur und die Organisation der lokalen Lieferketten. Das ist schon herausfordernd. Darüber hinaus stellt die Energiewende eine markante Veränderung der vergangenen Jahre für uns dar – mit enormen Chancen für unsere Produkte. Der Einsatz erneuerbarer Energien passiert ja nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Hier sind wir gefordert, Ideen für verschiedenen Länder und damit verschiedene Ansprüche zu entwickeln.

Das erfordert vermutlich ein erhebliches Maß an Innovationskraft im Unternehmen …
Genau. Saertex wird niemals der günstigste Anbieter auf dem Markt sein. Es wird immer ein Unternehmen geben, das versuchen wird, unsere Produkte zu imitieren und sie dann günstiger verkauft. Deswegen müssen wir unsere Produkte immer trimmen, immer weiterentwickeln, immer eine Nasespitze voraus sein. Das verlangen auch unsere Kunden von uns. Denken Sie an die Rotorblätter von Windkraft-Anlagen. Diese werden immer länger, was neue Herausforderung an die von uns hergestellten Materialien stellt.

Eins der Materialien, die Saertex verarbeitet: Carbon (Bild: © Saertex).

In der kürzlich von der Bertelsmann Stiftung veröffentlichten Studie „Innovative Milieus. Die Innovationsfähigkeit deutscher Unternehmen“ kamen die Autoren zu dem Schluss, dass ein Großteil der deutschen Wirtschaft bisher wenig innovativ ist. Was würden Sie sagen, woran das liegt?
Viele deutsche Mittelständler verharren im Ist-Zustand. Veränderungen durch Innovationen sind rar geworden, man labt sich an vergangenen Erfolgen. Dabei findet Wettbewerb heute auf ganz anderen, technologischen Ebenen statt. In vielen Branchen konkurriert man heute nicht mehr mit Produkten, sondern mit Technologien, wie zum Beispiel der Herstellungsmethode. Es kann sein, dass sich viele Unternehmen darauf noch nicht eingestellt haben und deshalb langfristig scheitern. Innovationen nachzulegen ist die definitive Voraussetzung, um im globalen Wettbewerb bestehen zu können.

Müsste der Staat hier eingreifen und mittelständische Unternehmen bei der Innovationstätigkeit unterstützen?
Wir bei Saertex sehen das Agieren des Staates durchaus positiv. Natürlich profitieren wir von einer tollen Infrastruktur, guten Bildungsstandards und einer relativ hohen Planungssicherheit durch Kontinuität in der Wirtschaftspolitik. Es gibt auch eine Vielzahl von Kooperations- und Förderungsmöglichkeiten, die man abrufen kann, um Forschungsprojekte zu unterstützen. Der Staat hat außerdem eine wichtige Rolle im Zuge der Energiewende gespielt und Innovationen mit Pioniergeist angeschoben.

Kommen wir nun zu den Auswirkungen des Coronavirus. Wie hat Saertex die Pandemie bisher erlebt?
Bisher haben wir die Pandemie gut gemeistert. Das Coronavirus hat alle Unternehmen mit einer unglaublichen Wucht und Dynamik getroffen. Wir haben sehr schnell eine Task-Force eingerichtet, einen versetzten Schichtbeginn und Abstandsregeln eingeführt, zusätzliche Umkleidekabinen geschaffen, Desinfektionsmittel und Masken besorgt, die gesamte Verwaltung ins Homeoffice geschickt. Eine große Bandbreite von Maßnahmen. Mittlerweile haben wir analog zum staatlichen Handeln angefangen, die Maßnahmen Schritt für Schritt zu lockern. Wobei ich ausdrücklich betonen will, dass die Pandemie noch nicht besiegt ist. Das gilt es, immer im Kopf zu behalten.

In welchem Ausmaß hat das Coronavirus dem Geschäft geschadet?
Wir hatten Kunden – vor allem in Frankreich, Italien und Spanien, aber auch in den USA und Brasilien – die ihre Fabriken von heute auf morgen schließen mussten, was für uns den Ausfall dieser Aufträge bedeutete. Zum Glück konnten wir einen Teil dieser Ausfälle durch die steigende Nachfrage anderer Kunden kompensieren. Wir haben auch Werke in den USA und Brasilien. Sie sehen selbst in den Nachrichten, wie stark das Virus in diesen Ländern momentan wütet. Teilweise fallen uns Aufträge von jetzt auf gleich weg, weil es in den Fabriken unserer Kunden Virusausbrüche gibt. Von Normalität kann also noch keine Rede sein. Bis heute sind die geschäftlichen Auswirkungen aber überschaubar.

Nimmt Saertex aus der Krise dennoch etwas Positives für die Zukunft mit?
Das Coronavirus hat viele Entwicklungen, gerade im Bereich der Digitalisierung, beschleunigt. Mittlerweile ist es ganz normal, dass man sich digital anstatt in einem Konferenzraum trifft und bespricht. Viele, die sich vor diesen Entwicklungen bisher gesträubt haben, merken nun, dass es doch funktioniert. Dieses Bewusstsein hilft, um Innovation und Veränderung einen Push für die Zukunft zu geben. Ich denke, dass es in einer solchen Krise immer Verlierer, aber auch Gewinner gibt. Nämlich die Unternehmen, die wachsen, neue Ideen entwickeln und neue Märkte und Geschäftsfelder erschließen. Das werden auch wir versuchen. Wir sehen die Chancen und finden Wege, die Hindernisse zu umgehen.

Weitere Blog-Beiträge, die bisher im Rahmen unserer Unternehmensserie erschienen sind:

Roland Bent (Phoenix Contact): „Aus dem Labor heraus kann man nur begrenzt innovativ sein“



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