Anspruch und Wirklichkeit in der deutschen Klimapolitik – Wie steht es um die Klimaziele?
Deutschland will Vorreiter beim Klimaschutz sein und hat eines der ambitioniertesten und strengsten Klimaschutzgesetze (KSG) weltweit. Doch zwischen Ambition und Realität klafft eine gewaltige Lücke: Noch nie konnten die Klimaziele in allen Sektoren tatsächlich eingelöst werden. Auch wenn es voran geht in der deutschen Klimapolitik, es reicht nicht aus.
Und es besteht nicht nur in Bezug auf die eigenen Klimaziele eine erhebliche Erfüllungslücke, sondern auch ist das Ambitionsniveau des deutschen Klimaschutzgesetzes für einen gerechten und angemessenen Beitrag zum 1,5-Grad-Ziel nicht ausreichend. All das zeigt unser neuer Policy Brief und benennt auch Handlungsoptionen für neuen Schwung in der Klimapolitik.
Der Nachholbedarf der deutschen Klimapolitik in Zahlen
Der Weg Deutschlands zur Treibhausgasneutralität (THG-Neutralität) ist durch das KSG klar definiert: Für die Jahre 2030 bis 2040 und für 2045 sind konkrete Zielwerte für Emissionsminderungen festgelegt, bis 2030 gibt es mit den Sektorenzielen sogar Vorgaben für die Beiträge von Energiewirtschaft, Industrie, Verkehr, Gebäude, Abfallwirtschaft und des Bereichs Landnutzung, Landnutzungsänderung und Forstwirtschaft (LULUCF) zur Vermeidung von THG-Emissionen (vgl. Abbildung).
Lücke zwischen Ambition des KSG und dem Pariser Klimaschutzziel
Das KSG legt implizit auch eine maximale Gesamtemissionsmenge, d.h. ein THG-Budget, für Deutschland fest. Das ist wichtig, weil für die Eindämmung der Klimakrise nicht der zeitliche Verlauf der THG-Emissionen, sondern ihre Gesamtmenge ausschlaggebend ist. Verschiedene Studien ermitteln, dass Deutschland auf Basis der Vorgaben des KSG bis 2045 noch ein zulässiges Budget von 6,4 bis 7,4 Gigatonnen (Gt) CO2 zur Verfügung steht.
Auch aus den international festgelegten Temperaturzielen des Pariser Klimaschutzabkommens lässt sich eine maximale Gesamtemissionsmenge ableiten, die bei Zieleinhaltung noch ausgestoßen werden darf. Dieses CO2-Budget wiederum hat der Sachverständigenrat für Umweltfragen auf Deutschland umgelegt und dabei als Verteilungsschlüssel den deutschen Anteil an der Weltbevölkerung im Jahr 2016 gewählt (für Details siehe SRU).
Nach dieser Berechnungsmethode beträgt etwa das deutsche CO2-Budget für einen ausreichenden, angemessenen und gerechten Beitrag zur Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels mit 67-prozentiger Zielerreichungswahrscheinlichkeit ab 2022 noch zwei Gigatonnen und ist damit weit geringer als die zulässige Gesamtemissionsmenge des KSG.
Die Gegenüberstellung der KSG-Vorgabe mit CO2-Budgets für die Pariser Klimaziele verdeutlicht, dass mit der Gesamtemissionsmenge des KSG alle errechneten Paris-kompatiblen CO2-Restbudgets überschritten werden. Die Einhaltung der deutschen Klimaziele ist somit nicht gleichzusetzen damit, dass Deutschland seine internationalen Klimaschutzverpflichtungen angemessen erfüllt, denn das KSG ist (beurteilt anhand dieser Berechnungsgrundlage) inkonsistent mit dem 1,5-Grad-Ziel.
Lücke zwischen den nationalen Emissionsminderungen und den Vorgaben des KSG
Doch leider muss festgestellt werden, dass es Deutschland bisher nicht einmal gelungen ist, die aus internationaler Perspektive unzureichenden eigenen Klimaziele zu erfüllen. In seinem Gutachten stellte der Expertenrat für Klimafragen fest, dass die Emissionsentwicklung der Vergangenheit und die Fortschreibung für die Zukunft sowohl insgesamt als auch in allen Sektoren auf eine erhebliche Zielerreichungslücke hindeute.
Die erfolgreichen Emissionsminderungen in den letzten Jahren, die insbesondere im Energiesektor stattfanden, wurden teilweise kompensiert durch einen Anstieg emissionssteigernder Aktivitäten wie der Wirtschaftsleistung, Wohnfläche oder Pkw-Fahrleistung.
Sara Holzmann
So ist es Deutschland in den vergangenen acht Jahren lediglich gelungen, die Emissionen um 16,5 Prozent bzw. durchschnittlich 2,1 Prozent jährlich zu reduzieren. Würde dieses Tempo bis 2030 fortgesetzt werden, würde das Klimaziel für 2030 deutlich verfehlt und – viel schlimmer noch – es würden kumuliert fast 780 Mio. t CO2-Äquivalente mehr ausgestoßen werden als im KSG vorgesehen. Die zuvor genannten Paris-kompatiblen CO2-Restbudgets gerieten völlig in die Ferne.
Glücklicherweise verfolgt die Bundesregierung in der jüngeren Vergangenheit eine ambitionierte Klimapolitik, die eine stärkere Emissionsminderung bis 2030 erwarten lässt. Dennoch projiziert das Umweltbundesamt unter Berücksichtigung der umgesetzten und geplanten Klimaschutzinstrumente weiterhin eine Überschreitung des THG-Budgets des KSG um 194 Mio. t CO2-Äquivalente. Insbesondere in den Sektoren Industrie, Gebäude und Verkehr werden dabei erhebliche Zielerreichungslücken erwartet (vgl. Abbildung).
Handlungsoptionen für eine zielkompatible Klimapolitik
In der Vergangenheit gingen die THG-Minderungen in erster Linie auf technologische Innovationen zur Verbesserung der Energieeffizienz und den Ausbau der erneuerbaren Energien zurück. Angesichts der immensen Ambitions- und Erfüllungslücken und des erheblichen Zeitdrucks im Kampf gegen den fortschreitenden Klimawandel müssen nun alle verfügbaren Hebel in Bewegung gesetzt werden, um konsequenten Klimaschutz mit sozialem Ausgleich und gesellschaftlichem Wohlstand zu vereinen.
Zum gesamten Spektrum klimapolitischer Lösungsoptionen gehören auch der Rückbau fossiler Infrastrukturen (zuletzt vermehrt forciert durch Kohleausstieg, Verbrenner-Aus und Einbaustopp für fossile Heizungen) sowie das umweltrelevante Verhalten der Bevölkerung.
Gerade letzteres wird bisher kaum adressiert. Dabei bieten geringere Wohnflächen, Bestandsnutzung und Energiesparen, weniger Fleischkonsum, kleinere Pkw und weniger Individualverkehr, ein Tempolimit oder die längere Nutzung von Produkten große Potenziale für Emissionsminderungen. Die Politik sollte umweltfreundliches Verhalten einfacher, günstiger und beliebter machen und sich bemühen, in diesem Bereich Mehrheiten für verhältnismäßige und wirksame Maßnahmen zu organisieren.
Ein Mechanismus, der das Erreichen der Klimaziele sicherstellen würde, ist die strikte Begrenzung der jährlichen Emissionen durch ein Emissionshandelssystem, bei dem die Emissionsobergrenze an den Klimazielen ausgerichtet ist. Die starken Preisanreize, die daraus hervorgingen, würden technologische Innovationen, Effizienzsteigerungen, den Ausstieg aus fossilen Infrastrukturen und Verhaltensänderungen vorantreiben.
Die Wirtschaftspolitik müsste sich dann nicht darum kümmern, die THG-Minderungen herbeizuführen, sondern die notwendigen Rahmenbedingungen schaffen: Die Bereitstellung klimaneutraler Infrastruktur, die Sicherung von Fachkräften und vor allem die wirtschafts- und sozialpolitische Abfederung der hohen CO2-Preise. Denn nur wenn verteilungs- und wettbewerbspolitische Nachteile verhindert werden, können die nationalen und internationalen Klimaziele wohlstandserhaltend eingelöst werden.
Weitere Beiträge zum Thema auf unserem Blog:
Beweglichkeit von Präferenzen für Klimapolitik nutzen von Prof. Dr. Linus Mattauch, TU Berlin und Anna Wiese, FU Berlin
Windräder und Wachstum: Über eine neue ökologische Industriepolitik von Dr. Wolfgang Dierker, Apple und Prof. Dr. Barbara Praetorius, HTW Berlin
Moore: Bedeutsam für Landschaft und Klimapolitik von Dr. Dominik Zak, Aarhus Universität
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