Verkehrswende: Lösungsansätze für Mobilitätsarmut

Mobilität ist mehr als nur ein Selbstzweck. Sie ermöglicht es Menschen, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben, Grundbedürfnisse zu befriedigen, eigene Lebensziele zu verwirklichen, sich zu bilden. Vielen Menschen ist das aber nicht möglich – sie sind von Mobilitätsarmut betroffen. Das ist nicht ausschließlich eine Frage des Geldes.

Probleme entstehen oft dort, wo öffentlicher Verkehr und soziale Infrastruktur fehlen und das Auto zur einzigen Alternative wird. Im öffentlichen und politischen Diskurs fehlt bislang leider häufig ein Verständnis für die soziale Dimension der Verkehrspolitik.

Vier Formen der Mobilitätsarmut              

Bisher ist der Begriff Mobilitätsarmut wenig gebräuchlich. In der wissenschaftlichen Debatte gibt es noch keine einheitliche Definition und nur wenig Daten. Beides ist jedoch wichtig, um das Problem verstehen und adressieren zu können. Vor diesem Hintergrund haben wir uns mit diesem Thema in zwei Policy Briefs ausführlicher auseinandergesetzt (FÖS 2022, 2023).

Etwas abstrakt beschrieben, ist Mobilitätsarmut die Einschränkung der Möglichkeiten für Ortsveränderungen, die zu einer begrenzten Teilhabe am gesellschaftlichen Leben führt. In einem weiten Verständnis lässt sich zwischen vier Formen der Mobilitätsarmut unterscheiden, die in Wechselwirkung miteinander stehen und sich nicht immer klar voneinander abgrenzen lassen: Verkehrsarmut, mangelnde Erschwinglichkeit, Erreichbarkeitsarmut sowie negative Externalitäten.

1) Verkehrsarmut – wenn kein Bus fährt

Menschen, die keinen hinreichenden Zugang zu Verkehrsoptionen wie dem ÖPNV oder Pkw haben, sind von Verkehrsarmut betroffen. In Deutschland trifft dies vor allem auf den öffentlichen Verkehr zu:  Etwa zwei Drittel der Bevölkerung in Deutschland sind nicht ausreichend an den ÖPNV angebunden, während die Straßeninfrastruktur weitgehend gut ausgebaut ist (Agora Verkehrswende 2021).

Nicht alle Bevölkerungsgruppen und Regionen sind davon gleichermaßen stark betroffen. Besonders in ländlichen Regionen sind Menschen schlechter mit öffentlichen Verkehrsmitteln versorgt. Ebenso Einfluss hat die sozio-ökonomische Lage eines Gebietes: in Regionen mit geringerem Durchschnittsgehalt und geringem Bildungsniveau gibt es oft ein schwächeres Angebot an Bussen und Bahnen. Hier verschärft die Verkehrsarmut die sozio-ökonomischen Lagen durch einen Mangel an günstigen Verkehrsoptionen und treibt viele Menschen in die sogenannte Autoabhängigkeit. Ein eigener Pkw ist aber nicht für jede*n erschwinglich, was uns zur zweiten Form der Mobilitätsarmut führt.

2) Erschwinglichkeit – wenn das Geld nicht reicht

Für knapp ein Viertel der geringverdienenden Haushalte sind die Kosten für ein eigenes Auto zu hoch (Eurostat 2023). Hier wird Mobilität eine Frage der Erschwinglichkeit. Dies ist einerseits abhängig vom verfügbaren Einkommen der Menschen, andererseits von den Kosten der vorhandenen Verkehrsmittel.

Aufgrund beruflicher und oder privater Umstände sind viele Menschen auf Verkehrsmittel angewiesen, die gemessen an ihrem Einkommen, eigentlich zu teuer sind. Da jedoch günstige Alternativen fehlen, sparen Betroffene oft an anderer Stelle, beispielsweise bei Lebensmitteln, Kleidung oder Heizungsenergie. Da die Kosten für eine regelmäßige Nutzung des ÖPNV (sofern vorhanden) für einkommensschwache Menschen oft zu hoch sind, gehen Erschwinglichkeit und Verkehrsarmut oftmals Hand in Hand.

3) Erreichbarkeitsarmut – kein Krankenhaus weit und breit

Eine weitere Form der Mobilitätsarmut ist die schlechte Erreichbarkeit von Orten des täglichen Bedarfs und gesellschaftlichen Lebens. Sind diese Orte zu weit weg oder nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand zu erreichen, so sind Menschen von Erreichbarkeitsarmut betroffen.

Ob ein Ziel erreichbar ist, hängt nicht nur von den Kosten (Erschwinglichkeit) und dem Verkehrsangebot (Verkehrsarmut) ab. Zentral sind sowohl die Struktur des Wohnorts als auch persönliche Lebensumstände. Seit Jahrzehnten ziehen sich wichtige Versorgungseinrichtungen, wie Lebensmittelgeschäfte, Krankenhäuser oder Post- und Bankfilialen aus dem ländlichen Raum zurück.

Laut einer Studie des Thünen-Instituts kann mehr als die Hälfte der ländlichen Bevölkerung fußläufig (Entfernung von maximal 1 km) keinen Supermarkt erreichen (Kokorsch/Küpper 2019). Fehlende Barrierefreiheit kann für Rentner*innen und Menschen mit Behinderung alltägliche Aufgaben zu einer zeitaufwendigen und teuren Herausforderung werden lassen und die Erreichbarkeit stark einschränken. Ebenso relevante ist es, ob ein Verkehrsmittel als zuverlässig und sicher betrachtet wird.

4) Negative Externalitäten – Lärm, Verschmutzung und Unfälle

Die wohl am wenigsten offensichtliche Form der Mobilitätsarmut ist die Belastung von Menschen und Gesellschaft durch die negativen Externalitäten des Verkehrs.

Florian Peiseler, Matthias Runkel und Vera Mair

Lärm, Schadstoffemissionen und Unfälle führen zu Krankheiten, Todesfällen und hohen Umwelt- und Klimakosten. Darüber hinaus können Verkehrsinfrastrukturprojekte große Unannehmlichkeiten mit sich bringen und bedeuten in manchen Fällen gar den Verlust des Wohnortes.

Diese Kosten werden zu einem substanziellen Anteil nicht vom Verursacher getragen, sondern fallen bei den Betroffenen an oder werden von Gesellschaft gezahlt. Nicht alle Menschen sind gleich stark von diesen negativen Effekten betroffen. Gruppen, die bereits gesellschaftlich benachteiligt sind, sind häufiger betroffen und tragen ein höheres Risiko für Belastungen. Studien zeigen, Bevölkerungsgruppen mit geringerem Einkommen wohnen oft in Wohngegenden, die mehr von Luftverschmutzung und Straßenlärm betroffen sind.

Gleichzeitig tragen genau jene Menschen am wenigsten zur Belastung bei. Ein ähnliches Ungleichgewicht zeichnet sich bei Betroffenen von Verkehrsunfällen ab. Kinder und Jugendliche sowie Menschen mit geringem Einkommen sind häufiger in ihrer Mobilität eingeschränkt und gleichzeitig öfter Opfer von Verkehrsunfällen.

Die ungleiche Betroffenheit durch externe Effekte und der ungleiche Zugang zum Verkehrs- und sozialer Infrastruktur stellt eine „doppelte Gerechtigkeitslücke“ (Rammler/Schwedes 2018) des Verkehrssystems dar.

Chancen, Zielkonflikte und politische Handlungsperspektiven

Mobilitätsarmut ist also ein vielschichtiges Problem. Daher bedarf es eines guten Zusammenspiels verschiedener Politikfelder, damit eine ökologisch und sozial gerechte Wende unserer Mobilität gelingen kann.

Es gibt viele Instrumente, die sich sowohl ökologisch als auch sozial positiv auswirken. Große Chancen bieten vor allem Maßnahmen, die auf mehr Effizienz im Verkehrssystem abzielen. Sogenannte funktionale Verdichtung versucht Menschen und soziale Infrastruktur näher zusammenzubringen. Kürzere Wege sparen sowohl Kosten als auch Zeit und ermöglichen eine Reduktion der Externalitäten.

Des Weiteren bietet der bedarfsgerechte Aus- und Umbau des öffentlichen Verkehrs, sowie der Fahrradinfrastruktur in Verbindung mit sozialen Unterstützungsprogrammen, einen Weg, um die Autoabhängigkeit bei einkommensschwachen Bevölkerungsgruppen zu reduzieren und Mobilität auch jenseits des urbanen Raums klimafreundlicher zu gestalten.

Eine Frage der Verteilung

Leider scheitert die Umsetzung solcher Maßnahmen oftmals an komplexen Verteilungskonflikten. Verdichtung, Umwidmung von Verkehrsflächen und Ausbau des öffentlichen Verkehrs gehen mit einer Umverteilung von Flächen und finanziellen Ressourcen einher. Dieses Abweichen vom Status quo kann schnell als ungerecht wahrgenommen werden.

Überdies werden oft Konflikte zwischen Stadt und Land aufgespannt. An dieser Stelle bedarf es einer politischen Anerkennung, dass Probleme im ländlichen Raum (v.a. Verkehrs- und Erreichbarkeitsarmut) sich anders gestalten als im urbanen Raum (v.a. externe Effekte und Verteilung von Flächen) und demnach anders adressiert werden müssen. Zudem müssen soziale Härten abgefedert werden und Lösungen allen Bevölkerungsschichten zugänglich gemacht werden.

Eine ökologische Verkehrswende muss sozial gerecht sein

Auch die Internalisierung negativer Externalitäten kann sozial- und umweltpolitische Ziele konterkarieren. Beispielsweise treffen hohe CO2-Preise und striktere Umweltauflagen einkommensschwache Menschen deutlich härter und können so letztendlich Mobilitätsarmut verstärken. Gleichzeitig sind niedrige CO2-Preise und die damit verbundene Förderung der Autoabhängigkeit keine Lösung.

Statt auf Kosteninternalisierung aus sozialen Gründen zu verzichten, muss sie von Entlastungsmaßnahmen und der Schaffung günstiger klimafreundlicher Alternativen begleitet werden.

Florian Peiseler, Matthias Runkel und Vera Mair

Fazit

Die Verkehrswende bietet viele Chancen, umwelt- und sozialpolitische Probleme gleichzeitig zu adressieren. Der öffentliche Verkehr beispielsweise verursacht einen Bruchteil der Emissionen, der Kosten und des Flächenverbrauchs im Vergleich zum Verkehrssystem rund um das Auto. Die Reduzierung der negativen Externalitäten hilft vor allem denjenigen, die im heutigen Verkehrssystem benachteiligt sind.

Verteilungs- und Zielkonflikte dürfen nicht vernachlässigt werden. Eine zukunftsgerichtete und ökologische Verkehrswende muss sozial gerecht sein. Denn Mobilität ist kein Selbstzweck, sondern eine Notwendigkeit, um Grundbedürfnisse zu befriedigen und am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können.

Literatur

Agora Verkehrswende (2021): ÖV-Atlas Deutschland.

Eurostat (2023): Personen, die sich kein Auto leisten können – EU-SILC Erhebung.

FÖS (2023): Policy Brief. #Mobilitätsarmut. Die soziale Frage der Verkehrspolitik (Teil 1/2)

FÖS (2022): Policy Brief. #Mobilitätsarmut Politikansätze für eine gerechte Verkehrswende (Teil 2/2)

Kokorsch, M., Küpper, P. (2019): Trends der Nahversorgung in ländlichen Räumen.

Rammler, S., Schwedes, O. (2018): Mobilität für alle! Gedanken zur Gerechtigkeitslücke in der Mobilitätspolitik.

Weitere Beiträge zum Thema auf unserem Blog:

Ländliche Nahversorgung: Lieferungen mit Drohnen und Lastenrädern von Steffen Henninger, Research Lab for Urban Transport (ReLUT)

Aktivierung des ländlichen Raums für eine nachhaltige Entwicklung von Prof. Maik W. Neumann, Technische Hochschule Mittelhessen

Agri-Photovoltaik: „Booster“ für die Energiewende im ländlichen Raum? von Johannes Rupp und Hannes Bluhm, IÖW



Kommentare

  1. / von Rainer Kirmse , Altenburg

    VERKEHRSWENDE – Gedicht

    Das Auto, der Deutschen liebstes Kind,
    immer freie Fahrt und das geschwind.
    Ein Tempolimit ist kaum Option
    in der autoverrückten Nation.

    Ich fahre Auto, also bin ich!
    Klima und Umwelt, was kümmert’s mich.
    Und steig ich noch aufs E-Gefährt um,
    steht’s auch im Stau oder nutzlos rum.

    Im Trend SUV und Zweitwagen,
    die Straßen und Wege zuparken.
    Es ist an der Zeit, neu zu denken,
    Blechkisten den Platz zu beschränken.

    Städte brauchen Bäume und viel Grün,
    nicht den Duft von Gummi und Benzin.
    Keiner braucht ein Auto alleine,
    drum teilt oder fahrt im Vereine.

    Benutzen wir Fahrrad, Bus und Bahn,
    beenden endlich den Autowahn.
    Ein sauberes Zeitalter beginnt,
    das Heilige Blech hat ausgedient.

    Rainer Kirmse , Altenburg

    Herzliche Grüße aus Thüringen

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