Welche Rolle spielt Wasserstoff als Energieträger im globalen Energiesystem?

Matia RiemerFraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI
Johannes EcksteinFraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI

Wird Wasserstoff klimaneutral produziert, kann er zur Erreichung der Pariser Klimaziele beitragen (Quarton et al. 2020). Daher spielt Wasserstoff zunehmend eine Rolle in Klimaschutzszenarien, die die Entwicklung des Energiesystems im Verlauf des 21. Jahrhunderts modellieren. Mittlerweile gibt es eine Vielzahl an verschiedenen Szenarien unterschiedlicher Modelle, in denen die Nachfrage nach Wasserstoff aber stark variiert. Daher ist es elementar, diese Szenarien in Bezug auf die künftige Entwicklung des Wasserstoffbedarfs aus einer globalen Perspektive zu vergleichen.

Im Projekt HyPat wurden zuletzt in einer Veröffentlichung über 40 aktuelle Energiesystem- und Wasserstoffszenarien gegenübergestellt, mit einem Schwerpunkt auf Szenarien mit ambitionierten Reduktionszielen für Treibhausgasemissionen (Riemer et al. 2022). Da der Wasserstoffbedarf je nach Sektor und Region unterschiedlich sein kann, wurden die Ergebnisse gesondert für die Sektoren Industrie, Gebäude und Verkehr berechnet und neben dem globalen Bedarf auch die Regionen EU und China analysiert.

Hohe Bandbreite und Unsicherheit

Der Wasserstoffbedarf unterscheidet sich je nach Sektor, Region und Szenario. Die entsprechend große Bandbreite impliziert eine große Unsicherheit in Bezug auf die Nachfrage nach Wasserstoff. Das ist wiederum problematisch für die Entwicklung von Wasserstoffmärkten, weil die Unsicherheit Investitionen in die Produktion, den Transport und die Nutzung von Wasserstoff behindert. Die Bandbreite ergibt sich aus verschiedenen Einflussfaktoren.

Zum einen konkurriert Wasserstoff teilweise mit direkter Elektrifizierung und Biomasse als Vehikel zur Dekarbonisierung. Darüber hinaus sind die Bedarfe stark von den regionalen, also meist nationalen, Ambitionen zur Treibhausgasneutralität sowie bereits bestehenden Infrastrukturen abhängig.

Auch ist der Wasserstoffbedarf von dem in den Studien gesetzten Sektorrahmen (insbesondere Einbezug von Raffinerien, Rückverstromung, stofflichem Einsatz in der Industrie oder internationalem Transport) beeinflusst. Dadurch sind direkte Vergleiche von Projektionen erschwert. Insgesamt lässt sich feststellen: Wasserstoff wird zu einem relevanten Energieträger, bleibt aber in seiner Anwendung begrenzt. Die Unsicherheit über die Entwicklung ist groß und nimmt mit der Zeit zu.

Wasserstoff notwendig für Dekarbonisierung

Ein wesentlicher Einflussfaktor auf die Wasserstoffnachfrage ist die Ambition zur Minderung von Treibhausgasemissionen, die in den Szenarien unterstellt wird. Prinzipiell wird Wasserstoff in den Szenarien als notwendig erachtet, um Klimaneutralität zu erreichen.

Eine gewisse Menge an Wasserstoff ist notwendig für eine vollständige Dekarbonisierung des Energiesystems.

Matia Riemer und Johannes Eckstein

Ab einem Schwellenwert von 80 Prozent THG-Reduktion gegenüber 1990 wird Wasserstoff in allen Szenarien eingesetzt. In weniger ambitionierten Minderungsszenarien bleibt die Wasserstoffnachfrage im Vergleich sehr begrenzt. So zeigt sich, dass Wasserstoff in Zukunft zwar ein wichtiger, aber kein dominierender Energieträger sein wird. Weltweit beziffert sich der Wasserstoffbedarf im Jahr 2050 auf 4 bis 11Prozent (14-55 EJ bzw. 4-15 PWh) des Endenergieverbrauchs (25-75% Quartil). Einige Szenarien sehen als Ausreißer bedeutend höhere Werte von bis zu 23 Prozent Anteil (79 EJ bzw. 22PWh).

In Europa ist die Bedeutung von Wasserstoff mit 4 bis 14 Prozent Anteil am Endenergieverbrauch (1-4 EJ bzw. 0.3-1 PWh) im Vergleich zum Anteil in China mit bis zu 4 Prozent der Endenergienachfrage (2-4 EJ bzw. 0.6-4 PWh) höher.

Wasserstoff im internationalen Verkehr gefragt

Die höchste Wasserstoffnachfrage kommt aus dem Verkehrssektor: In allen Regionen hat der Verkehrssektor den größten Wasserstoffbedarf, anteilig am Gesamtenergiebedarf im Sektor und absolut. In der EU ist der mittlere Wasserstoffanteil (Median) an der Energienachfrage im Verkehr im Jahr 2050 wesentlich höher als in den anderen Regionen (28 Prozent gegenüber 14 bis 16 Prozent in China bzw. der Welt).

Der Verkehrssektor weist für die Wasserstoffnachfrage unter allen Sektoren aber auch die größte Bandbreite und damit Unsicherheit auf. In Europa liegt der Wasserstoffanteil an der Nachfrage im Sektor in den Studien zwischen 13 bis 36 Prozent, in China zwischen 10 und 19 Prozent und weltweit zwischen 10 und 19 Prozent.

In der Analyse der Szenarien wurden unter anderem folgende Punkte identifiziert, die die Bandbreite der Wasserstoffnachfrage im Verkehrssektor beeinflussen:

  • Wasserstoff bzw. seinen Derivaten (bspw. Methan, Methanol, Ammoniak) wird eine zentrale Rolle in schwer zu dekarbonisierenden Verkehrsmodi wie dem Flug- und Seeverkehr zugesprochen (IRENA 2021; Wietschel et al. 2021). Der internationale Luft- und Schiffsverkehrs wird jedoch in unterschiedlichen Studien verschieden berücksichtigt. Dennoch kann der unterschiedliche Sektorrahmen die Differenzen in den Nachfrageprojektionen nur teilweise erklären. Es gibt auch Studien, welche die Nachfrage im internationalen Verkehr ausklammern und dennoch höhere Wasserstoffanteile aufweisen als Studien, die diesen Sektor ausdrücklich berücksichtigen.
  • Im Verkehrssektor bestehen auch in den anderen Verkehrsmodi erhebliche Unsicherheiten hinsichtlich des Einsatzes von Wasserstoff. Insbesondere bei Pkw gibt es durch batterieelektrische Autos eine marktgängige Alternative zu Wasserstoff (SRU 2021), weshalb hier die Prognosen weit auseinander liegen. Auch der mögliche Einsatz von Wasserstoff in Lkw wird kontrovers gesehen (Plötz 2022).

Nachgefragt in bestimmten Sektoren der Industrie

Der Industriesektor weist im Vergleich mit dem Verkehrssektor einen niedrigeren Wasserstoffbedarf auf. Die globalen Studien gehen von einem Wasserstoffanteil in der Industrie von 2 bis 9 Prozent aus, mit Maximalwerten von 22 Prozent. In Europa prognostizieren die Studien auch in diesem Sektor einen höheren Anteil mit einer Bandbreite zwischen 3 und 16 Prozent, mit Maximalanteilen von bis zu 38 Prozent in 2050. Für China werden 1 bis 4 Prozent für 2050 mit Maximalwerten von 7 Prozent abgeschätzt. Auch im Industriesektor lässt sich die Bandbreite erklären:

  • Wie im Verkehrssektor ist auch hier ist der gesetzte Sektorrahmen ein Einflussfaktor: Viele Studien haben den Einsatz von Wasserstoff und Syntheseprodukten als Rohstoff beispielsweise in der Grundstoffchemie nicht in ihre Projektionen einbezogen. Jedoch wird insbesondere die Verwendung von Wasserstoff als stofflicher Rohstoff und Reaktant als eine sogenannte „no-regret“ Anwendung ohne alternative Dekarbonisierungsoption gesehen (Agora Energiewende 2021).
  • Weiterhin gibt es im Industriesektor für bestimmte Anwendungsbereiche alternative Dekarbonisierungsoptionen, die mit Wasserstoff in Konkurrenz stehen. Beispielsweise gilt der Einsatz von Wasserstoff für die industrielle Wärmeerzeugung als unsicherer.

Der Industriesektor weist neben „no-regret“ Anwendungen also auch hohe Unsicherheiten bei der Wasserstoffnachfrage auf.

Kleine Rolle im Gebäudesektor

Wasserstoff kommt im Gebäudesektor keine große Bedeutung zu. Wasserstoff konkurriert hier unter anderem mit der Direktelektrifizierung (bspw. mit Wärmepumpen) (SRU 2021). Der Median wird in allen Regionen auf weniger als 2 Prozent der Gebäudeenergie in 2050 geschätzt.

Es handelt sich außerdem um den Sektor mit der geringsten Unsicherheit hinsichtlich der Projektionen, da die Bandbreiten (1 bis 2 Prozent weltweit) relativ gering sind. Die Maximalwerte hingegen unterscheiden sich zwischen den Studien und die höchsten Wasserstoffanteile lassen sich auch hier in den Europäischen Szenarien finden.

Klimapolitische Rahmenbedingungen notwendig

Da Wasserstoff aber ein knappes und teures Gut bleiben wird, muss sein Einsatz zielgerichtet erfolgen – dort, wo aus technischen oder wirtschaftlichen Gründen weitere Dekarbonisierungsoptionen ausgeschlossen sind. Dies betrifft insbesondere den internationalen Flug-und Seeverkehr sowie den Einsatz in bestimmten Industriesektoren wie der Grundstoffchemie oder der  Stahlherstellung. Hierbei müssen klimapolitische Maßnahmen steuernd unterstützen, um einen zielführenden Aufbau des Wasserstoffmarktes zu gewährleisten.

Literatur

Agora Energiewende, A. I. (2021): 12 Insights on Hydrogen.

IRENA (2021): A Pathway to Decarbonise the Shipping Sector by 2050. International Renewable Energy Agency.

Plötz, P. (2022): Hydrogen technology is unlikely to play a major role in sustainable road transport. In: Nature Electronics, 5 (1), pp. 8–10.

Quarton, C. J.; Tlili, O.; Welder, L.; Mansilla, C.; Blanco, H.; Heinrichs, H.; Leaver, J.; Samsatli, N. J.; Lucchese, P.; Robinius, M.; Samsatli, S. (2020): The curious case of the conflicting roles of hydrogen in global energy scenarios. In: Sustainable Energy & Fuels, 4 (1), pp. 80–95.

Riemer, M.; Zheng, L.; Eckstein, J.; Wietschel, M.; Pieton, N.; Kunze, R. (2022): Future hydrogen demand: A cross-sectoral, global meta-analysis. HyPat Working Paper 04/2022. Karlsruhe: Fraunhofer ISI.

SRU (2021): Wasserstoff im Klimaschutz. Klasse statt Masse. Stellungnahme. Sachverständigenrat für Umweltfragen.

Wietschel, M.; Zheng, L.; Arens, M.; Hebling, C.; Ranzmeyer, O.; Schaadt, A.; Hank, C.; Sternberg, A.; Herkel, S.; Kost, C.; Ragwitz, M.; Herrmann, U.; Pfluger, B. (2021): Metastudie Wasserstoff – Auswertung von Energiesystemstudien. Studie im Auftrag des Nationalen Wasserstoffrats. Karlsruhe, Freiburg, Cottbus.

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Fernwärme – bedeutender Baustein für die Wärmewende von Dr. Veit Bürger, Öko-Institut

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