Energiekrise = Energiewende?

Dr. Florian EgliETH Zürich

Bis zum offiziellen Winteranfang im Dezember dauert es noch. In den Chefetagen der Storm- und Energiekonzerne und in den Regierungszentralen hat der Winter gedanklich aber schon angefangen.

Die Kombination ausbleibender russischer Gaslieferungen und zur Wartung vom Netz genommener französischer Atomkraftwerke macht eine Gas- und Strom-Mangellage gegen Ende des Winters in Europa möglich.

Was ist die Reaktion?

Deutschland gewährte kurzzeitig Tankrabatte, Gasspeicher werden so schnell wie möglich aus Übersee gefüllt (knapp 90% voll) und neue Flüssiggasterminals im Norden gebaut.

Die Schweiz versucht, sich derweil Gaslieferungen über Verträge mit Nachbarländern zu sichern und mietet mobile Gaskraftwerke vom fossilen Energieriesen General Electric. Notfalls können diese auch mit Rohöl betrieben werden. Die Klimabilanz ist katastrophal, aber die mögliche Mangellage scheint alles zu rechtfertigen.

Gleichzeitig geraten große Stromkonzerne in Schieflage. Uniper, 2016 gegründet als Abspaltung des fossilen Geschäfts der e.on, ist mittlerweile verstaatlicht. In der Schweiz braucht axpo, der größte Stromkonzern, eine Kreditlinie des Bundes im Rahmen von 4 Milliarden Schweizer Franken aus einem Rettungsschirm, der bis vor Kurzem noch breit kritisiert wurde.

Der Strom ist auf der politischen Bühne angekommen

Plötzlich sind Raumplanungsgesetze, jahrelang das Hindernis Nummer eins in der Schweiz, veränderbar – großflächige Solaranlagen könnten bald möglich werden, auch in den Alpen. Zudem soll ab 2024 eine Solarpflicht für Neubauten gelten (vielleicht sogar in einigen Kantonen für größere Renovationen). Ein großes Klimainvestitionsprogramm im Rahmen des Gegenvorschlags zur Gletscherinitiative ist ebenfalls auf dem Weg.

Diese Trends spiegeln sich auch weltweit, Erneuerbare werden zum strategischen Asset: Noch nie floss so viel Kapital in Erneuerbare wie im ersten Halbjahr 2022.

Was also heißt die aktuelle Situation für die Energiewende?

Good or bad news? Wichtig in der Beurteilung dieser Reaktionen ist die Unterscheidung von kurz- und langfristig. Aufgrund der Versäumnisse im Ausbau der Erneuerbaren kann die Abhängigkeit der fossilen Energieträger nicht von heute auf morgen aufgehoben werden. Solarmonteure und Heizungsmonteure für Wärmepumpen sind ausgebucht.

Wir werden fossile Energieträger brauchen im Winter. Gewisse kurzfristige Investitionen in fossile Energieträger scheinen entsprechend unvermeidbar. Beunruhigender ist jedoch, dass auch längerfristige Investitionsentscheide in der aktuellen Krisenlage zu fossilen Energieträgern tendieren könnten – trotz des politischen Willens für die Energiewende.

Energiewende und Leitzins

Die Gründe liegen bei der Europäischen Zentralbank. Im September hat sie die stärkste Leitzinserhöhung seit ihrer Gründung bekannt gegeben. Steigende Zinsen als Mittel zur Inflationsbekämpfung. Dabei wird vergessen, dass Erneuerbare im Vergleich zu fossilen Energieträgern kapitalintensiver sind.

Ein Grossteil ihrer Kosten fällt im Bau an, weil Unterhalt und Betrieb sehr günstig sind. Entsprechend wichtig sind die Finanzierungskonditionen von Banken und anderen Kapitalgebern für günstige Erneuerbare.

Steigen die Zinsen, so verteuert sich Fremdkapital. Investitionen in der ganzen Wirtschaft werden weniger attraktiv, ein Kanal der Inflationsbekämpfung. Für die Energiewende heißt das aber nichts Gutes: Erneuerbare werden im Vergleich zu fossilen Energieträgern wieder teurer.

© Erik Mclean – unsplash.com

Weitere Faktoren erschweren die Energiewende

Sechs weitere Faktoren erschweren die Energiewende im aktuellen Marktumfeld (siehe Ausführungen im IIPP Blog):

1. Lieferketten

Lieferketten sind seit der Pandemie unterbrochen und Rohmaterialpreise steigen. Schlechte Neuigkeiten für kapitalintensive Technologien: Vestas zum Beispiel, einer der größten Windturbinenhersteller reagierte mit Preissteigerungen um 20 Prozent.

2. Marktpreis

Erneuerbare sind öfter dem Marktpreis ausgesetzt, während sie früher eine garantierte Einspeisevergütung erhielten. Dieses zusätzliche Preisrisiko erhöht die Investitionsrisiken und verteuert die Finanzierung. Gleichzeitig bieten die aktuell rekordhohen Elektrizitätspreise zusätzliche Anreize zum Bau von Erneuerbaren. Welcher Effekt überwiegt, muss sich noch weisen.

3. Technologien zur Dekarbonisierung

Zahlreiche Technologien zur Dekarbonisierung der Wirtschaft hängen zentral von günstigem Strom aus Erneuerbaren ab. Grüner Wasserstoff und CO2-neutrale synthetische Treibstoffe für Flugzeuge wird es nur geben, wenn Erneuerbare billig sind.

4. Grüne Blase

Investoren sehen eine grüne Blase am Horizont. In der Vergangenheit waren solche Finanzblasen wichtig für die Transformation der Wirtschaft, unter anderem weil sie die Finanzierungskosten senken, wie von Carlota Perez beschrieben. Steigen die Zinsen, werden Investoren voraussichtlich weniger auf grüne Firmenerfolge in der Zukunft wetten.

5. Innovationen sind pfadabhängig

Nach Schumpeter ist Innovation pfadabhängig. Firmen mit viel Erfahrung und Kapital können aktuelle und vergangene Profite reinvestieren. Neue Firmen der grünen Wirtschaft können dies weniger und eine sinkende Profitabilität im aktuell schwierigen Marktumfeld wirkt sich direkt negativ auf die Investitionsmöglichkeiten und die grüne Innovation aus.

6. Optimaler Zeitpunkt des Umbaus

Zuletzt können höhere Zinsen den optimalen Zeitpunkt des Umbaus von fossilen zu erneuerbaren Energieträgern hinauszögern. Besser noch die zukünftigen Kostensenkungen der Erneuerbaren abwarten und entsprechend den CO2 Preis erst später erhöhen. Der politische Effekt davon ist jedoch fatal, die Koalition um Erneuerbare wächst nicht schnell genug um einen hohen CO2 Preis in Zukunft auch zu halten.

Zentralbanken müssen Energiewende mitdenken

Damit die Energiewende funktioniert, müssen Zentralbanken die Effekte ihrer Zinspolitik auf Investitionen in Erneuerbare und neue emissionsarme Technologien mitdenken. Differenzierte Zinsen könnten ein Mittel sein, die EZB hat im Rahmen des „targeted longer-term refinancing operations (TLTROs)“ Programms schon damit experimentiert, für grüne Aktivitäten wurde die Option bisher aber erst besprochen, zum Beispiel von der Präsidentin Christine Lagarde.

Dazu braucht es eine schlaue Fiskalpolitik und gute Rahmenbedingungen.

Die Unabhängigkeit der Zentralbanken sollte nicht angetastet werden, die Politik kann aber mit günstigeren Rahmenbedingungen für Erneuerbare dem negativen Zinsumfeld entgegenwirken. Zum Beispiel kann das Planungsverfahren erleichtert werden, der CO2 Preis stärker anziehen, der Heizungsersatz subventioniert werden, eine Ausbildungsoffensive für Berufsgruppen in der Branche der Erneuerbaren gestartet werden oder sogar ein Obligatorium für Solarenergie bei Bauprojekten umgesetzt werden.

Entlastungspakete sollten nur kurzfristig gelten

Wenn Entlastungspakete gegen hohe Energiepreise für spezifische Bevölkerungsgruppen oder Industrien geplant sind, sollten diese nur kurzfristig gelten und aus Gewinnen anderer Industrien finanziert werden. Zum Beispiel mittels einer Beteiligung an Firmen über Rettungsschirme, anstatt der bedingungslosen Bereitstellung von Garantien.

Politisch können solche Pakete auch verknüpft werden. Die USA zeigen gerade, wie mit politischem Rebranding das größte Förderprogramm für die Energiewende unter dem Deckmantel der Inflationsbekämpfung (Inflation Reduction Act) durch den Kongress kommt. Jetzt wäre die Chance, den European Green Deal vor diesem Hintergrund voranzutreiben.

Ziel dabei ist die politische und makroökonomische Reaktion auf die Energiekrise für Erneuerbaren zu nutzen und zu vermeiden, dass steigende Zinsen zu einer ungewollten Verlangsamung der Transition führen.


Weitere Beiträge zum Thema auf unserem Blog: 

Wenn nicht jetzt, wann dann – wie die Energiewende gelingen kann von Dr. Berit Erlach und Dr. Cyril Stephanos, „Energiesysteme der Zukunft“ (ESYS)

Oberflächennahe Geothermie: Wärme aus dem Boden recyclen von Dr. Susanne Benz, Karlsruher Institute für Technologie

Maßnahmen zur Reduktion des Energieverbrauchs als Strategie gegen Energieversorgungsknappheit von Jonathan Barth  und Lydia Korinek ZOE Institut für zukunftsfähige Ökonomien



Kommentar verfassen