Aerosole

Transformation: Der Blick auf CO2 allein genügt nicht

Dr. Dominik StolzenburgTechnische Universität Wien

Jährlich sterben rund 9 Millionen Menschen weltweit an schlechter Luft. Dazu kommen global geschätzt bis zu 100 Millionen Hitzetote bis ins Jahr 2100 durch die Folgen des Klimawandels. Klimaschutz und Luftreinhaltung sind durch Reduktion anthropogener Emissionen gleichzeitig möglich.

Es braucht gezielte Strategien und umfassende weitere Forschung, um diese Transformation zu begleiten, denn Luftqualität und Klimawandel sind hochgradig verschränkt. Ein Beispiel für diese Herausforderungen ist die Aerosolbildung.

Aerosole: Wolkenkeime und Luftschadstoffe

Aerosolpartikel, kleine feste oder flüssige Schwebeteilchen in der Luft, sind ein entscheidender Bestandteil unseres Atmosphärensystems. Wolken würden ohne Aerosole nicht entstehen, denn der Wasserdampf in der Luft benötigt ein Keimteilchen zur Bildung eines Wassertropfens.

Die Anzahlkonzentration von Aerosolpartikeln beeinflusst Eigenschaften von Wolken wie ihre Reflektivität und Lebensdauer, was sich direkt auf das Klima auswirkt. Laut dem aktuellen Weltklimabericht läge der globale Temperaturanstieg ohne die vom Menschen veränderten Aerosolkonzentrationen bereits bei 1.6 anstatt bei den derzeit gemessenen 1.1 Grad Celsius. Der Klimawandel würde noch schneller voranschreiten.

Gleichzeitig sind Aerosolpartikel vor allem in urbanen Räumen eine Belastung für die menschliche Gesundheit. Es besteht ein eindeutiger Zusammenhang zwischen der Feinstaub-Belastung und akuten sowie chronischen Atemwegs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Die Quellen für Luftverschmutzung reichen vom Verkehr, der Industrie bis hin zu Emissionen von Lösemitteln aus Farben, Reinigungsmitteln oder Hygieneprodukten.

Luftverschmutzung wird gerade im Globalen Norden oft als ein bereits „gelöstes Problem“ angesehen. Jedoch wird immer deutlicher, dass die Gesundheitsbelastung nicht allein durch eine Reduktion der Aerosolmasse (PM2.5 bzw. PM10) eliminiert wird. Auch die Anzahlkonzentration und die chemische Zusammensetzung der Aerosole sind wesentlich für die Wirkung auf unsere Gesundheit.

Win-Win oder Win-Lose?

Ein einfaches Beispiel für die Verknüpfung von Klimaschutz und Luftreinhaltung betrifft den Gebäude-Sektor. Eine erhöhte Energieeffizienz durch verbesserte Wärmedämmung und effizientere Heizsysteme ist eine klassische Win-Win-Strategie, da sowohl CO2-Emissionen als auch der Ausstoß von Ruß und Stickoxiden reduziert werden.

Dem entgegen steht der Trend zu mehr Heizen mit Biomasse, die Kehrtwende zurück zum heimeligen Holzofen. Zwar ist der CO2-Fußabdruck von Biomasseverbrennung unter Umständen geringer, jedoch entsteht eine große Bürde für die Luftqualität durch freigesetzten Ruß.

Auch die Verwendung modernster Öfen oder Partikelfilter hilft wenig, denn eine wichtige Quelle für Luftverschmutzung in diesem Zusammenhang sind sekundäre Aerosole: Schwebeteilchen, die sich erst in der Luft durch die Anlagerung zuvor gasförmiger Moleküle bilden, die nicht durch Partikelfilter eingefangen werden können.

Sekundäre Aerosolbildung: Trade-Offs und ungelöste Fragestellungen

Gerade diese sekundäre Aerosolbildung ist eine der größten Herausforderungen in zielgerichteten Klimaschutz- und Luftreinhaltemaßnahmen.

Schwefeldioxid: Trade-Off zwischen Luftqualität und Klimawirkung

Ein unvermeidbarer Trade-Off zwischen Luftqualität und Klimawirkung war die massive Senkung der Schwefeldioxid (SO2) Emissionen seit den 1990er Jahren. Die Reduktion des Schwefelgehalts in fossilen Brennstoffen und die Abscheidung von SO2 aus Kraftwerksabgasen führten zu einer notwendigen Verbesserung der Luftqualität und weniger saurem Regen in Europa.

Die aus der SO2 Oxidation in der Atmosphäre resultierende Schwefelsäure bildet jedoch sehr effizient neue Aerosolpartikel. Dieser Mechanismus lieferte einen signifikanten Beitrag zur Anzahlkonzentration von Wolkenkeimen. Die SO2-Reduktionen haben folglich den anthropogenen Beitrag zum Klimawandel demaskiert, da der kühlende Effekt der vermehrten Wolkenbildung weg fiel. Dies ist vermutlich ein Grund, warum sich das Klima gerade seit den 2000er Jahren immer schneller zu verändern scheint.

Feinstaub-Belastung durch organische Verbindungen

Da die Aerosole bei der sekundären Bildung erst durch chemische Umwandlung der emittierten Vorläufer-Gase in der Luft entstehen, ist eine effiziente Regulation herausfordernder, insbesondere wenn die Vorläufer-Gase chemisch vielfältiger sind als SO2.

Gerade organische Verbindungen tragen entscheidend zu einer Belastung durch sekundärem Feinstaub bei. Hier sind die Entstehungsprozesse aber wesentlich komplexer, was es erschwert, eindeutige Win-Win-Strategien zu identifizieren.

Ein Beispiel dafür ist die politische Forcierung von Dieselfahrzeugen Anfang der 2000er. Gewünscht war, durch den geringeren CO2-pro-km-Ausstoß von Dieselfahrzeugen im Vergleich zu Benzinern eine Reduktion der CO2-Emissionen zu erreichen. Der Effekt auf die Luftqualität ist schwerer abzuschätzen. Alte Dieselmotoren emittierten mehr Aerosole und Stickoxide als Benzinmotoren, doch strengere Regulatorien konnten dies zumindest für Neuzulassungen reduzieren. Eine eindeutige Schlussfolgerung mit Bezug auf die Bildung von sekundären Aerosolen für den Vergleich der verschiedenen Antriebsarten ist aber aufgrund der Komplexität der sekundären Aerosolbildung noch immer ausstehend.

Forschung nötig: Feedback-Mechanismen verstehen

Wo sind also die Win-Win-Strategien in Bezug auf Emissionen von organischen Verbindungen? Um Antworten geben zu können, müssen breitere Forschungsansätze implementiert werden, wie sie über die letzten Jahrzehnte im finnischen Nadelwald entwickelt wurden.

Dort wurde eine Forschungsstation aufgebaut, die ganzheitlich versucht, die Atmosphäre-Ökosystem-Wechselwirkungen zu verstehen. Bis zu 1600 verschiedene Parameter werden gleichzeitig gemessen, vom Wachstum der Baumnadeln bis hin zur Stärke der sekundären Aerosolbildung. Dieser Ansatz erlaubte das Zusammenspiel der Bio- und der Atmosphäre gezielt aufzudecken: Steigende Temperaturen durch den Klimawandel bewirken zum Beispiel einen Anstieg der Emissionen der dort vorherrschenden Nadelbäume. Der Geruch des Waldes wird intensiver.

Diese organischen Verbindungen führen in der Atmosphäre zu erhöhten Ozonkonzentrationen, die das Pflanzenwachstum hemmen und zu Ernteverlusten führen können. Zum anderen tragen diese organischen Verbindungen auch zu einer stärkeren sekundären Aerosolbildung bei, wenn sie in der Atmosphäre oxidieren. Dies erhöht die diffusive Strahlung über dem Wald und steigert damit wiederum die Bioaktivität, was zu erneut höheren Bioemissionen führt.

Um die verschränkten Probleme von Klimaschutz und Luftreinhaltung gezielt anzugehen, braucht es mehr ganzheitliche Betrachtungen, die Feedback-Mechanismen in unserem Erdsystem ins Blickfeld rücken und sich nicht allein auf atmosphärische Messdaten stützen. Ein globales Erd-Observatorium mit einer Vielzahl von verschränkten Messstationen, die Langzeit-Daten für verschiedene exemplarische Ökosysteme liefern, sollte unser Ziel sein. Dazu gehört insbesondere auch ein verstärkter Ausbau im Globalen Süden, wo die Verschränkung von Luftqualität und Klimawandel wiederrum andere Herausforderungen bereithält. Denn für eine nachhaltige Zukunft unserer Atmosphäre braucht es mehr Win-Win-Strategien.

Weitere Beiträge zum Thema auf unserem Blog:

Megatrend-Report: „Neben den Klimazielen gibt es noch viele weitere Baustellen“ mit Prof. Dr. Jens Südekum, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

Ressourceneffiziente Ökonomie und die richtigen Instrumente von Prof. Dr. Friedrich Thießen, Technische Universität Chemnitz

Nachhaltigkeit und Smart City von Tobias Schock, Gemeinde Kirchheim



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