Ressourcen und Klima – die zukünftigen Herausforderungen der Bauwirtschaft
Im September 2020 stellte Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission, in ihrer viel beachteten Rede das Ziel der Etablierung einer vollständigen Kreislaufwirtschaft innerhalb der Europäischen Union (EU) vor. Explizit ging sie auf die Verantwortung des Bauwesens ein, das nach Angaben der Kommission aus dem Jahr 2019 für 50 Prozent des Primärrohstoffverbrauchs und gleichzeitig für 36 Prozent des Festmüllaufkommens innerhalb der Union verantwortlich ist.
Der Grund ist in unserem gewohnten, linearen Denk- und Wirtschaftsmodell zu suchen: Rohstoffe werden aus den etablierten natürlichen Kreisläufen entnommen, daraus hergestellte Produkte und Güter werden verbraucht und anschließend entsorgt. Dieser nach wie vor dominierende lineare Ansatz hat tiefgreifende Konsequenzen für unseren Planeten.
Gebaute Umwelt als Rohstofflieferant
So verändern wir in gravierender Weise bestehende Ökosysteme. Sand, Kupfer, Zink oder Helium werden bald technisch, ökologisch und ökonomisch nicht mehr vertretbar aus natürlichen Quellen zu gewinnen sein. Im Gegensatz zu diesem linearen Konzept der Rohstoffzerstörung steht das von der EU eingeforderte Ziel, in geschlossenen, intelligent geplanten und mit Voraussicht entworfenen Materialkreisläufen zu operieren.
Hierbei kommt unserer gebauten Umwelt eine zentrale Schlüsselrolle zu. Sie muss sowohl als zukünftiger Rohstofflieferant als auch als Materiallager betrachtet werden. In diesem Sinne betrachtet das sogenannte „Urban Mining“ das anthropogene Rohstofflager als ein eigentlich unpassendes Konstrukt, aus dem nur Fragmente der ursprünglichen Materialien und Bauteile unter großer Kraftanstrengung und hohem Energieeinsatz zurückgewonnen werden können. Unpassend deshalb, weil das heute existierende Lager nicht für den Rückbau und die Wiederverwendung entworfen und konstruiert wurde.
Ziel muss es jedoch sein, ein wirklich sortenreines und einfach rückbaubares Materiallager aufzubauen. Es müssen neue Technologien, Fügungsprinzipien, Verbindungsmittel und auch Materialien entwickelt werden, um den zukünftigen Baubestand in eine neue Generation qualitativ nachhaltiger, das heißt ökologisch unschädlicher, technisch sortenreiner, einfach rückbaubarer und ökonomisch attraktiver – weil endlos in Kreisläufen nutzbarer – Bauwerke zu überführen.
Vom Energie- zum Emissionsproblem
Doch neben der Etablierung eines geschlossen Materialkreislaufs und damit der Frage nach einer zukünftigen Ressourcengerechtigkeit stellt die Klimakrise die Hauptherausforderung des Baugewerbes dar.
Seit den 1970er Jahren und der ersten Ölkrise bis weit in die Nullerjahre des 21. Jahrhunderts sprach man nicht wirklich über die Auswirkungen unsere Energiebereitstellungssysteme auf unser Klima, sondern hautsächlich über die Versorgungssicherheit und die Bezahlbarkeit von Energie.
Dabei haben und hatten wir nie ein Energieproblem. Die von der Sonne bereitgestellte Energie in der Form von Strahlung stellt das einzig offene System auf unserem Planeten dar. Wir bekommen sogar sämtliche auf diesen Planeten auftreffende Energie umsonst, sie ist gewissermaßen eine geschenkte Dienstleistung unseres Ökosystems, in dem wir leben.
Was wir jedoch haben, ist ein Emissionsproblem, das durch die Ablehnung dieses Geschenkes und den viel zu lange anhaltenden Gebrauch fossiler Energieträger entstanden ist.
Dirk Hebel
Die Angriffe Russlands auf die Ukraine im Jahr 2014 und 2022 und die daraus abgeleiteten wirtschaftlichen Sanktionen gegenüber dem Aggressor haben Europa nach einer Ölabhängigkeit auch eine Erdgasabhängigkeit aufgezeigt. So sprechen wir mittlerweile nicht mehr von einer Energiewende und meinen ausschließlich die Produktion elektrischer Energie aus Erneuerbaren, sondern haben mittlerweile erkannt, dass die Wärme- und auch Kältewende das weitaus größere Problem darstellt, wie in den neusten Erlassen zur Gebäuderichtlinie der Bundesrepublik Deutschland und die Energieversorgung von Neubauten und Renovierungsprojekten ab dem Jahr 2024 zu erkennen ist.
Wir haben zudem erkannt, dass ohne die Energiefrage alle anderen Sektoren wie Transport, Verkehr, Industrie und auch das Bauen nicht dekarbonisiert werden können. Die besagte Gebäuderichtlinie verlangt zudem, dass wir zukünftig nicht mehr nur die Betriebsphase von Gebäude in Bezug auf deren Treibhausgasemissionen betrachten, sondern auch die verbauten Materialien, deren Abbau, Herstellung und Einbau – die sogenannte graue Energie, bzw. die ausgestoßenen Treibhausgase, für die unsere baulichen Strukturen verantwortlich sind.
Die Dekarbonisierung von Beton
Beton stellt nach wie vor das meistgenutzte Baumaterial weltweit dar. Doch nicht nur, dass die benötigten Zuschlagsstoffe wie Kies und Sand in einigen Regionen der Welt (auch bei uns) knapp werden und mittlerweile aus weit entfernten Gebieten importiert werden müssen (sogar arabische Länder importieren Bausand aus Australien), die Freisetzung von CO2 in der Zement-Produktion stellt das Hauptproblem der Beton-Nutzung dar.
Die Nutzung von grünem Wasserstoff zur Bereitstellung benötigter Prozesswärme in der Zement- oder Stahlindustrie wird hierbei oft genannt. Doch wird es noch Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauern, bis diese Technologie und der grüne Wasserstoff in ausreichendem Maß zur Verfügung stehen.
Das weitaus herausfordernde Problem ist zudem die Freisetzung von CO2 in der chemischen Reaktion in der Zementherstellung, bei der heute hauptsächlich aus Kalkstein (Calciumkarbonat) Calciumoxid gewonnen wird. Um dieses CO2 nicht in die Atmosphäre entweichen zu lassen, beschäftigen sich eine Vielzahl von Forschungsprojekten mit dem sogenannten Carbon Capturing, also dem Einfangen des CO2.
Die Frage bleibt, was mit diesem CO2 geschehen soll. Einige Verfahren zielen darauf ab, das CO2 wieder der Zementmischung zuzuführen und Anteile wiederum darin chemisch zu binden. Andere Technologien zielen auf das Speichern des CO2 in geologisch geeigneten tiefen Sedimentschichten oder im Verpressen in nicht abbaubare Kohleflöze. Im ersten Fall wird Salzwasser, im zweiten Fall Methan verdrängt, die Umweltauswirkungen sind noch nicht abzuschätzen.
Auch andere Verfahren, wie das Herstellen von Carbonaten aus Silikaten der Erdkalimetalle sind technisch machbar, dauern aber sehr lange und sind aufwendig. Diese Umwandlung ist auch in situ, das heißt in entsprechenden tiefen Gesteinsschichten möglich, mehrere Forschungsprojekte in Island und Norwegen laufen hierzu bereits. Aber es ist wichtig, der Frage nach der Entnahme und Speicherung bzw. Umwandlung des CO2 aus unserer Atmosphäre weiter zu erforschen, ohne dabei die Verursacherseite aus den Augen zu verlieren.
Besser, weniger, anders bauen
Es bleibt daher die Erkenntnis, dass wir an mehreren Punkten ansetzen müssen. Auf den Werkstoff Beton gänzlich zu verzichten, wird nur sehr schwierig möglich sein, denkt man an den Tiefbau oder Regionen der Welt, die keine Möglichkeiten biologischer Alternativen wie Holz haben.
Wir müssen daher einerseits die Zementmischungen besser machen, in dem wir beispielsweise weniger Calciumkarbonat und mehr Tone (Siliciumdioxid und Aluminiumoxid) und ungebrannten Kalk einsetzen, ein Verfahren, welches unter dem Namen LC3 bekannt ist und von Karen Scrivener an der Ecole Polytechnique in Lausanne entwickelt wurde. Bis zu 30 Prozent CO2 können bei diesem Verfahren gegenüber herkömmlichen Zementproduktionen eingespart werden.
Wir müssen aber auch wesentlich weniger des Materials einsetzen und nur dort, wo unbedingt notwendig. Beispiele hierfür gibt es genügend, unter anderem von Philippe Block an der ETH Zürich, der neuartige Deckensysteme für den Hochbau entwickelt, bei denen bis zu 70 prozent Materialeinsparung möglich ist.
Und wir müssen anders bauen, in dem wir wieder traditionelle Materialien betrachten und deren Potential auch mit der Hilfe der Digitalisierung neu entdecken. Moritz Dörstelmann am KIT in Karlsruhe forscht hier an tragenden Wand- und Deckensystemen aus Weideruten und Lehm, welche CO2 speichern.
Das nachhaltigste Haus ist das, welches bereits schon steht
Vor allen Dingen müssen wir jedoch die Strukturen, welche bereits existieren, weiter nutzen und nicht achtlos vernichten. Hier ist sicherlich der größte Ansatz, der noch viel zu wenig betrachtet und gesellschaftlich gefordert wird. Viel Strukturen der 1950iger und 60iger Jahre sind Betonskelettbauten, welche durch intelligente Um- und Weiterbaumaßnahmen zu erhalten wären und damit die Emissionen für einen Neubau eingespart werden könnten.
Wir brauchen neue Wertesysteme, auch von politischer Seite, die den Abriss nur unter Auflagen erlauben, wir brauchen einfachere Verfahren zum Erhalt unserer Strukturen und zur schnelleren Änderung Jahrzehnte alter Bebauungspläne, um die große Masse an Bestandsgebäuden in Materiallager zu überführen und nicht abzuschaffen.
Die Gebäude der Zukunft existieren entweder schon oder müssen neu gedacht und emissionsfrei über das ganze System des Bauwerks sein.
Dirk Hebel
Darin kann auch Beton eine gezielte Rolle spielen, wenn sein CO2-Fussabdruck durch andere Maßnahmen oder auch verbaute biologische Materialien im gleichen Gebäude kompensiert werden kann.
Siehe zu diesem Artikel auch die ersten beiden Bände der Reihe „Besser, Weniger, Anders Bauen“, Dirk E. Hebel und Felix Heisel, Birkhäuser Verlag, 2022/23: „Kreislaufgerechtes Bauen und Kreislaufwirtschaft“ mit Ken Webster, 2022, sowie „Energiewende und Digitale Transformation“ mit Andreas Wagner und Moritz Dörstelmann, 2023.
Weitere Beiträge zum Thema auf unserem Blog:
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