Klassenkonflikt um die Transformation: Wenn Meinungen auseinandergehen

Judith KissUniversität Jena
Dr. Martin FritzUniversität Jena

Angriffe auf Politikerinnen und Aktivisten, Bauernproteste, das Erstarken der AfD und Demonstrationen für Demokratie, Energie- und Haushaltskrise und schließlich: Diskussionen um die Kriegstüchtigkeit der Bundeswehr als Reaktion auf den Überfall Russlands auf die Ukraine – immer deutlicher wird uns vor Augen geführt, dass wir in Zeiten des Umbruchs leben.

Vor der Corona-Pandemie, zu Hochzeiten der Klimabewegung, überwog bei vielen noch die Hoffnung, ein Umbruch in Form einer sozial-ökologischen Transformation könnte möglich sein und in eine klimafreundliche und sozial gerechte Zukunft führen. Heute hingegen scheint ein solcher Wandel eher auf Ablehnung zu stoßen und Unsicherheiten, teilweise sogar Wut zu erzeugen: Wen werden die Umbrüche besonders treffen? Lässt sich eine sozial-ökologischen Transformation angesichts des Widerstands aus vielen Bevölkerungsteilen überhaupt noch umsetzen?

Die Meinungen gehen auseinander

Die Forschungsgruppe “Mentalitäten im Fluss (flumen)” an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena liefert soziologische Erklärungen für die gesellschaftliche Konflikthaftigkeit und Möglichkeiten des (Nicht-)Gelingens einer sozial-ökologischen Transformation. In einer deutschlandweiten Umfrage hat sie 4.000 Menschen zu ihren Mentalitäten, also ihren Einstellungen, Sichtweisen und Gefühlslagen bezüglich gesellschaftlich-ökologischem Wandel sowie zu ihren Alltagsgewohnheiten und sozio-ökonomischen Situationen befragt.

Die Ergebnisse zeigen, dass die Einstellungen der Menschen in den Fragen, ob, wie schnell und in welcher Form eine sozial-ökologische Transformation notwendig sei, teils stark auseinandergehen – und dass diese Meinungen mit den sozialen Lagen der Menschen und ihren damit verbundenen Interessen zusammenhängen. Dies deutet flumen als einen sozial-ökologischen Klassenkonflikt. Anhand zweier Konfliktdimensionen können korrespondierende Mentalitäts- und Klassengegensätze beispielhaft veranschaulicht werden.

Der Abstraktionskonflikt

Der Abstraktionskonflikt besteht zwischen Menschen in niedrigen sozialen Lagen und besser situierten Bevölkerungsteilen und dreht sich um den Gegensatz zwischen Macht und Ohnmacht, Freiheit und Abhängigkeit.

Aus sozial-ökologischer Sicht besteht zunächst ein Verteilungskonflikt: Reichere verursachen durchschnittlich mehr Umweltschäden, sind weniger betroffen von ihnen und können sich Klimaschutz eher leisten. Dieser Klassengegensatz wird zwar von vielen als ungerecht wahrgenommen, daraus resultieren aber kaum Forderungen nach Umverteilung.

Vielmehr schiebt sich hier ein besorgniserregender mentaler Oben-Unten-Gegensatz in den Vordergrund: Menschen in unteren Lagen neigen dazu, den eigenen gesellschaftlichen Beitrag als zwecklos zu bewerten.

Sie misstrauen stärker gesellschaftlichen Institutionen wie Politik, Medien und Wissenschaft. Sozialen Wandel und Prozesse wie z.B. Digitalisierung und Globalisierung erleben sie als von außen bzw. oben aufgezwungene und abstrakte Anforderungen, die in ihren Alltag und ihr Privatleben unerwünscht eindringen. Sozial-ökologische Transformation wird als ebenso abstrakt erlebt und folglich als eine weitere Zumutung durch ‘die da oben’ in teils wütender Weise abgelehnt.

Demgegenüber empfinden sich die Bevölkerungsteile in höheren sozialen Positionen eher als wirksame, einflussreiche Teile der Gesellschaft. Sie stehen Wandel offener gegenüber und sehen neben den Problemen auch die Chancen, die sich durch gesellschaftlichen Fortschritt und Klimaschutz ergeben.

Gefahren des Risses

Dieser Riss zwischen den gegensätzlichen Erfahrungswelten privilegierter und benachteiligter sozialer Positionen droht sich beim Thema Klimaschutz dadurch zu vertiefen, dass – befeuert durch medial inszenierte parteipolitische Debatten – in ‘denen da oben’ einseitig grün-städtische Bildungseliten gesehen werden, die eine Politik wollten, in der für ‚normale Leute‘ alles nur teurer würde.

Tatsächlich zeigt die Umfrageauswertung, dass Preissteigerungen und Jobverluste, die im Zuge einer sozial-ökologischen Transformation entstehen, in der Tat von solchen meist besser situierten städtischen Bildungseliten eher in Kauf genommen werden. Diese arbeiten zudem häufiger im öffentlichen Sektor und seltener in der Privatwirtschaft, wo sie von den negativen Auswirkungen einer sozialen und ökologischen Modernisierung auch weniger betroffen sind. Dabei darf aber eines nicht übersehen werden: Diese Bevölkerungsteile sind durchaus bereit, selbst Abstriche zugunsten Benachteiligter zu machen.

Soziale Ausgleichsmaßnahmen und Umverteilung werden von anderen Akteuren blockiert, von solchen, die wirtschaftliche und politische Macht haben und Eigentumsinteressen vertreten. Dies bleibt ein gesellschaftspolitisch weitgehend ausgeblendetes Thema.

Der Lebensweisekonflikt

In der Verteidigung solcher partikular-privater Interessen, meist durch vermögende Gruppen, wird eine weitere Dimension des sozial-ökologischen Klassenkonflikts deutlich: der ‘Lebensweisekonflikt’.

Menschen, deren Status vor allem auf materiellem Eigentum fußt, die vorrangig in Berufen in der Privatwirtschaft tätig und die (gefühlt) weniger auf die Nutzung öffentlicher Infrastrukturen angewiesen sind, sprechen sich häufiger gegen staatlich-gesellschaftliche Eingriffe aus und bremsen dementsprechend sozial-ökologische Transformationsbemühungen, wenn diese ihre gewohnte Lebensweise in Frage stellen.

Auf der anderen Seite artikulieren Menschen, deren Status vorrangig auf Bildung basiert und die häufiger in zwischenmenschlichen Berufen in vorwiegend öffentlich finanzierten Bereichen arbeiten, eher allgemein-öffentliche Interessen. Sie priorisieren beispielsweise die Verbesserung öffentlicher Infrastrukturen in Verkehr, Gesundheitswesen und Bildung.

Im Kern geht es beim Lebensweisekonflikt also um die Verteilung des Reichtums zwischen Privathaushalten und öffentlicher Hand. Ökologisch relevant ist er, weil – wie im Bericht des Weltklimarates aus wissenschaftlicher Sicht deutlich wird – menschliche Bedürfnisse durch öffentliche Infrastrukturen effizienter und ökologischer gedeckt werden als wenn alle Individuen private Angebote nutzen (Stichwort: Schwimmbad vs. Privatpool).

Doch auch diese Fragen werden öffentlich noch unzureichend verhandelt; stattdessen wird so getan, als handle es sich um rein kulturelle Differenzen zwischen verschiedenen Lebensweisen (Stadt/Land, Alt/Jung etc.).

Mentalitäts- und Interessengegensätze

In den hier grob skizzierten Konfliktdimensionen stehen sich in der deutschen Gesellschaft drei Mentalitätsspektren mit je spezifischen Klassenlagen konflikthaft gegenüber:

  • das ökosoziale Spektrum, das zügige und entschlossene Transformation fordert
  • das konservativ-steigerungsorientierte Spektrum, das die gewohnte, auf Wachstum fixierte Lebens- und Wirtschaftsweise gegenüber Veränderung verteidigt
  • das defensiv-reaktive Spektrum, das geprägt ist von Resignation und Rückzug bis hin zu wütender Abwehr gegen ‘grüne’ und transformative Initiativen.

Der sozial-ökologische Klassenkonflikt zwischen den Mentalitätsspektren hat das Potenzial, die demokratisch-freiheitliche Ordnung sowie das Gelingen einer klima- und sozial gerechteren Ausgestaltung unserer Gesellschaft zu gefährden, sofern den darunterliegenden Mentalitäts- und Interessengegensätzen nicht genügend politisch-gesellschaftliche Beachtung geschenkt wird.

Denkanstöße: Und nun?

Dieses gesellschaftliche Stimmungsbild mag ernüchternd wirken. Doch enthält es auch Denkanstöße: Würden Menschen die sozial-ökologische Transformation eher mittragen, wenn sie durchleben würden, dass mit der sozial-ökologischen Transformation ihre Grundbedürfnisse gedeckt würden, ihre (Um)Welt sauberer, gerechter und sicherer würde?

Mentalitäten sind nicht fest in Menschen eingemeißelt, sie werden von Erfahrungen geprägt. Bezögen Entscheider:innen strukturelle Ungleichheiten mehr ein, könnten gesellschaftlich Entfremdete wieder eingebunden und Gesellschaft konkret erlebbar gemacht werden.

So ist es beispielsweise längst überfällig, die Arbeit in gesellschaftlich nützlichen, aber ökonomisch wenig profitablen Bereichen wie der Pflege, Bildung und Gesundheit aufzuwerten. Hilfreich wäre es auch, die oben angesprochene Umverteilung von oben nach unten und von privat zu öffentlich sowie höhere Investitionen in öffentliche Infrastrukturen anzugehen – mit dem Ziel, ein gutes Leben für alle innerhalb ökologischer Grenzen zu ermöglichen.

Dieser Beitrag erschien in einer ähnlichen Version zuerst auf dem Blog Rotunde der Evangelischen Akademie Tutzing.

Ein Buch mit ausführlicheren Hintergründen zur Methodik, zur Beschreibung der Mentalitätstypen und soziologischen Deutung erscheint im Sommer 2024 im Campus Verlag.

Weitere Beiträge zum Thema auf unserem Blog:

Ökologische Transformation und solide Finanzen dürfen kein Widerspruch sein von Prof. Dr. Silke Übelmesser, Friedrich-Schiller-Universität Jena

Konflikte der Transformation: Werden künftige Generationen ignoriert? von Dr. Johann Majer, Universität Hildesheim

Regionale Disparitäten in der Transformation von Prof. Dr. Jens Südekum, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und Daniel Posch, Bertelsmann Stiftung



Kommentare

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