Stagnierende Produktivität bei kleinen und mittleren Unternehmen gefährdet Deutschlands Wohlstand
Kleine und mittlere Unternehmen (KMU) spielen traditionell eine besondere Rolle in Deutschland, wie Prof. Dr. Friederike Welter vor kurzem auf diesem Blog hervorhob. 99,4 Prozent aller deutschen Unternehmen sind KMU, beschäftigen also weniger als 250 MitarbeiterInnen. Damit sind sie hierzulande Arbeitgeber für 52 Prozent der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten. Doch dieses „Rückgrat“ der deutschen Wirtschaft droht den Anschluss zu verlieren: Die gerade veröffentlichte Studie des IfM-Bonn und der Bertelsmann Stiftung zeigt, dass die KMU hinsichtlich der Arbeitsproduktivität immer stärker den großen Unternehmen (GU) hinterherhinken.
Zwischen 2012 und 2016 ist die Arbeitsproduktivität großer Firmen um zwölf Prozent stärker gewachsen als die von kleineren Arbeitgebern (s. Abbildung 1). Dies ist insbesondere auf die Entwicklung der jeweils hochproduktiven Unternehmen in beiden Unternehmensgruppen zurückzuführen. Hier ist die Schere zwischen KMU und GU schon seit Beginn der Finanzkrise deutlich auseinandergegangen.
Produktivitätsdivergenz zwischen KMU und Großunternehmen entsteht im Produzierenden Gewerbe
Auch auf regionaler und sektoraler Ebene lassen sich teils erhebliche Unterschiede feststellen. So sind nicht nur KMU im Westen Deutschlands produktiver als KMU im Osten. Es existiert außerdem ein deutliches Süd-Nord-Gefälle. Grundsätzlich treten Unterschiede bezüglich der Arbeitsproduktivität von KMU im Vergleich zu GU auch bei Berücksichtigung regionaler und siedlungsstruktureller Differenzen auf. Die Differenz ist also nicht darauf zurückzuführen, dass KMU relativ zu GU häufiger in schwächer besiedelten Gegenden oder in wirtschaftlich nicht so erfolgreichen Regionen angesiedelt sind.
Sehr wohl können allerdings branchenspezifische Unterschiede ausgemacht werden. Größenspezifische Produktivitätsunterschiede zeigen sich vor allem im Produzierenden Gewerbe. Seit 2012 ist die Produktivität von GU in diesem Sektor um 8 Prozent stärker gewachsen als die von KMU (s. Abbildung 2). Im Tertiären Sektor ist die Arbeitsproduktivität von KMU und GU im Durchschnitt und über den Zeitverlauf gleich hoch.
Diese Entwicklungen geben Anlass zur Sorge. Ein Auseinanderdriften der Produktivität von KMU und GU, aber auch sektorale und regionale Unterschiede, können zu einer Divergenz der Löhne und damit zu einer ungleicheren Wohlfahrtsverteilung in Deutschland führen. Und nicht nur das: Sollten die KMU angesichts einer zunehmend globalisierten und digitalisierten Welt den Anschluss verlieren, dürften auch die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft und letztlich viele Arbeitsplätze auf dem Spiel stehen.
Probleme bei Investitionen und Innovationen
Die entscheidenden Faktoren für die Entwicklung der betrieblichen Arbeitsproduktivität sind die Kapitalausstattung je Arbeitnehmer (Kapitalintensität) sowie erfolgreich durchgeführte Innovationen. Die Kapitalintensität wird primär von den getätigten Investitionen beeinflusst. Hier sind die GU den KMU weit voraus. Sie investieren – umgerechnet auf Vollzeitäquivalente – in etwa die fünffache Summe. Die Investitionen dürfen jedoch nicht pauschal betrachtet werden. So können sich verschiedene Investitionsarten sehr unterschiedlich auf die Arbeitsproduktivität auswirken. Hier sind vor allem die Investitionen in Wissenskapital sowie Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) herauszuheben.
Auch hier agieren die KMU deutlich zurückhaltender als GU. Zuletzt investierten etwa doppelt so viele GU wie KMU in IKT. Die totale Faktorproduktivität kann in erster Linie durch erfolgreiche Prozess- und Produktinnovationen erhöht werden. Auch hier ist der Anteil der innovierenden GU annähernd doppelt so hoch wie bei den KMU. Zudem beschränken sich KMU oft auf inkrementelle Innovationen. Entsprechend ist der Abstand bei den besonders bedeutsamen Prozess- und grundlegenden Produktinnovationen noch größer (annähernd Faktor 3).
Als wesentliche Ursachen für eine stagnierende Produktivität bei KMU lassen sich zwei Faktoren identifizieren: hohe Kosten und ein zunehmender Mangel an Fachkräften. Am häufigsten nennen Betriebe im Rahmen der jährlichen Befragung durch das IAB-Betriebspanel zu hohe Investitionskosten als Grund für ausbleibende Innovationen. Außerdem macht sich der Fachkräftemangel bemerkbar: Zwischen 2006 und 2016 ist der Anteil der Betriebe, die den Fachkräftemangel als Innovationshemmnis angeben, signifikant gestiegen (s. Abbildung 3). Von rund 21 Prozent bei den KMU und 13 Prozent bei den GU (jeweils 2006) hat er sich bei allen Unternehmenstypen auf über ein Drittel erhöht (2016).
Politische Stellschrauben und mehr Offenheit
Einflussnahmen auf betriebswirtschaftliche Entscheidungen durch staatliche Fördermaßnahmen sind im Allgemeinen kritisch zu sehen, da sie häufig mit erheblichen Mitnahmeeffekten verbunden sind. Dies gilt auch für die gerade beschlossene steuerliche Forschungsförderung, die explizit auch große Unternehmen nicht von der Förderung ausschließt. Insbesondere hier ist fraglich, ob die Förderung zu einer Zunahme von Innovationsausgaben führen wird, da diese aufgrund von Größenvorteilen geringeren Finanzierungsbeschränkungen ausgesetzt sind als KMU. Im Sinne der Effizienz sollte eine steuerliche Forschungsförderung, wenn sie eingesetzt wird, deshalb so weit wie möglich auf KMU fokussiert sein. Ob dies mit dem neuen Gesetz gelungen ist, bleibt abzuwarten. Immerhin wurde auch die Möglichkeit der Auftragsförderung eingeräumt, sollten kleinere Unternehmen keine eigenen Abteilungen unterhalten.
Die Politik sollte darüber hinaus an den Stellen ansetzen, die jenseits der Einflusssphäre der Unternehmen liegen, insbesondere an den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Sie kann beispielsweise für eine bessere Ausstattung von Hochschulen und Forschungseinrichtungen sorgen, um den technischen Fortschritt voranzubringen. Dies würde auch kleineren Unternehmen zu Gute kommen, die mit Hochschulen Forschungskooperationen eingehen. Doch auch in den Ausbau des allgemeinen Bildungssystems sollte der Staat deutlich mehr investieren.
Das dient einerseits der Vermittlung der in der modernen Arbeitswelt erforderlichen Basisfertigkeiten, die eine Voraussetzung für die Realisierung einer hohen Arbeitsproduktivität darstellen. Andererseits ist aber auch wichtig, alle Kinder – unabhängig von ihrer sozialen oder kulturellen Herkunft – zu unterstützen. Gerade vor dem Hintergrund eines immer stärkeren Fachkräftemangels ist die deutsche Volkswirtschaft darauf angewiesen, auch Kinder aus sogenannten „bildungsferneren Schichten“ mitzunehmen und fit für die moderne Gesellschaft zu machen.
Des Weiteren könnte die Politik die Zuwanderung von qualifizierten Fachkräften erleichtern oder Markteintrittsregulierungen abbauen, wie es jüngst auch der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in seinem Gutachten gefordert hat. Politische Maßnahmen könnten auch die indirekte Unterstützung von IKT-Investitionen fördern, etwa durch den konsequenten Ausbau der digitalen Infrastruktur gerade im ländlichen Raum. Letztlich sind auch die Unternehmen (insbesondere KMU) bzw. ihre Führung selbst gefragt, offen für die Möglichkeiten der Digitalisierung zu sein und dementsprechend in ihre Betriebe, die Aus- und Weiterbildung ihrer Mitarbeiter sowie das gesamte Wissenskapitel zu investieren.
Die diesem Beitrag zugrundeliegende Studie finden Sie hier.
Dieser Beitrag ist auch auf https://makronom.de/ erschienen.
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