Wirtschaftspolitik in Zeiten der Digitalisierung

Jun.-Prof. Dr. Gordon J. KleinWestfälische Wilhelms-Universität Münster

Die Digitalisierung ist in der ständigen Diskussion hinsichtlich der wirtschaftspolitischen Gestaltung in Deutschland. Diese Diskussion ist jedoch nicht neu, sondern besteht seit vielen Jahren, was zum Beispiel an der seit 2006 durchgeführten Digitalgipfelreihe der Bundesregierung zu sehen ist. Die allgemeine Diskussion scheint insgesamt jedoch oftmals sehr angstbehaftet geführt zu werden. Hierbei werden insbesondere Gefahren, die von augenscheinlich überlegenen Technologieriesen wie Amazon, Google, Apple, Facebook oder auch Huawei ausgehen, betont.

Grade in solchen Situationen ist es jedoch wichtig innezuhalten und wenig angstgetrieben die Handlungsdefizite und Handlungsoptionen abzuwägen. In diesem Umfeld ist die Politik oftmals gezwungen, Ergebnisse im Sinne von großen Würfen und großen Lösungen auf die Probleme und Herausforderungen der Zeit zu liefern. Demgegenüber steht das müßige Abarbeiten von einzelnen Problembereichen, die oftmals zu kleinteilig oder zu komplex sind, um wahrgenommen zu werden. Der folgende Beitrag diskutiert deshalb einige Teilideen, um diese Problematik zu beleuchten.

Ein großer Punkt der Diskussion ist die Abhängigkeit von großen Unternehmen, wie zum Beispiel Alphabet (Google). Diese führt zu verschiedenen politischen Aktivitäten, die durchaus vielschichtig, aber nicht zwingend umfassend erfolgreich waren. Aktuell legt der Wirtschaftsminister seine Digitalstrategie dar, bei der unter anderem geplant wird, die Europäische Cloudlösung „GAIA“ zu fördern [1]. Hierbei wird auch die Abhängigkeit von Anbietern aus Übersee als Problemfeld benannt, da Daten, so sie in den jeweiligen Ländern liegen, nicht dem europäischen Rechtsrahmen und Schutz vor Zugriff (auch von ausländischen Regierungen) unterliegen.

Grade letzterer Aspekt deutet hier auf eine große Vielschichtigkeit hin. Wie die Lösung nun jedoch im Detail ausgestaltet sein wird, wie die Förderung durchgeführt werden soll, oder auch wie die exakte Problemadressierung durchgeführt werden soll, ist hierbei noch unklar. Allerdings vermelden verschiedene Medien, dass es nicht um den staatlichen Betrieb einer Cloud, sondern vielmehr um das Schaffen von Rahmenverbindungen, Standardsetzung etc. geht [2].

Das „Lemons-Problem

Eine Aufgabe, die durchaus mit typischen durch Marktversagen motivierten ökonomischen Markteingriffstheorien kompatibel ist und im Einzelnen durch Koordinationsprobleme und/oder asymmetrisch verteilten Informationen zwischen verschiedenen Akteuren zu begründen sein mag. So ist es vorstellbar, dass Unternehmen hinsichtlich der Verlässlichkeit von neuen Cloud-Anbietern (verlässlich/weniger verlässlich) Ungewissheit haben, ob diese verantwortungsvoll oder eben weniger verantwortungsvoll mit den gespeicherten Daten umgehen. Wenn diese Ungewissheit vor Vertragsabschluss nicht gelöst werden kann, so kann es – unter verschiedenen Bedingungen und Annahmen – dazu kommen, dass es zu einem typischen „Lemons-Problem kommt [3].

Da die Kunden nicht wissen, von welchem Typ der Anbieter ist, haben Sie eine Zahlungsbereitschaft, die der erwarteten Qualität des Anbieters entspricht. Wenn diese Zahlungsbereitschaft dann unter den Kosten einer hohen Qualität eines vertrauensvollen Betriebs liegen, kann es zumindest für diesen Teil zu einem Marktzusammenbruch kommen, so dass der Staat durch Standards oder Garantien helfen kann, dass es eben nicht zu diesem Marktversagen kommt. Für eine Bewertung gilt es abzuwarten, wie das Projekt im Detail ausgestaltet sein wird, und ob es zielgenau Marktversagensproblematiken anvisiert.

© Markus Spiske – unsplash.com

Eine gewisse Vorsicht ist aber gerade bei ambitionierten, staatlich gesteuerten Projekten stets zu wahren. So sind diese Projekte oftmals sichtbar und stellen eine aktive Handlung des handelnden Politikers dar. Ein treffendes, wenngleich nicht mehr aktuelles Beispiel, ist die ursprünglich auch mit deutscher Kooperation geplante, aber maßgeblich von Frankreich initiierte Projektidee Quero [4]. Quero war auch als „Airbus von morgen“ [5] geplant. Ziel war es, Google ein staatlich gefördertes Pendant entgegen zu setzen. Die Idee war sehr ambitioniert und scheiterte hinsichtlich ihrer ursprünglichen Zielrichtung. Dies verdeutlicht ein typisches Problem, dass vor allem – aber nicht nur – in innovativen Märkten vorkommt. Tatsächlich ist es oftmals wenig erfolgreich, wenn der Staat direkt bestimmt, welches genaue Produkt oder welche genaue Firma im Markt erfolgreich ist.

Hier ist es oftmals wichtiger, dass die Idee des „Wettbewerbs als Entdeckungsverfahren“ (wie durch von Hayek postuliert) genutzt wird. Nämlich, dass es in diesem Prozess zur effizienten Allokation von Ressourcen und zum Aufdecken neuer Möglichkeiten in diesem Wettbewerbsverfahren kommt [6]. Das heißt, staatliche Festlegung auf ein Marktergebnis führt sehr häufig zu großen Kosten und nicht zwingend Gewinnen. Letztlich ist allerdings ein solcher Markteingriff zum Fördern eines Wettbewerbers sichtbarer, als das langwierige detaillierte Gestalten von Rahmenbedingungen.

Zu diesen Rahmenbedingungen gehört hingegen das Nutzen und Justieren typischer Marktmachtabwehrinstrumente. Marktmacht, die ausgenutzt wird, oder einfache persistente Marktmacht, kann zu negativen Marktergebnissen führen. Dies begründet den gesamten Bereich der wettbewerbsökonomischen/-rechtlichen Eingriffsmaßnahmen (ex-post Regulierung) oder respektive die der ex-ante Monopolregulierung. Tatsächlich ist dies ein Bereich, in dem bereits sehr aktiv, zum Beispiel durch die Europäische Kommission, mit den großen Spielern wie Alphabet (Google) umgegangen wird [7].

Frage der Marktabgrenzung

Wenngleich einer wettbewerbsrechtlichen Strafe durch die Kommission viel Aufmerksamkeit und von medialer Seite auch Wohlwollen entgegengebracht wird, ist die Analyse jedoch nicht trivial [8]. Es besteht die Frage, wie Märkte abzugrenzen sind und inwiefern das Wettbewerbsrecht aktuell verschiedene relevante Problembereiche umfasst. Diese Diskussion wird sowohl von amerikanischer wie von europäischer Seite geführt. So führt zum Beispiel der bekannte amerikanische Wettbewerbsökonom Shapiro in einem Artikel die Notwendigkeit, Defizite und die Komplexität von Wettbewerbsuntersuchungen großer Technologiekonzerne aus [9]. Wenngleich er von einer aktiveren Regulierung der Technologiefirmen in Europa spricht, zeigt sein Aufsatz aber grade auf, dass dieses Thema auch in den USA auf der Agenda steht.

Neben der oben genannten Kartellrechtsdurchsetzung durch die Kommission, wird insgesamt in Europa eine lebhafte Debatte geführt. So setzte die Bundesregierung die sogenannte Kommission Wettbewerbsrecht 4.0 ein, die ein ganzes Bündel an Maßnahmen, das zum einen Datenhoheit/Datenverfügbarkeit sowie Verhaltensverpflichtungen für marktbeherrschende Platformen vorschlug [10]. Gerade letzterer Teilbereich, der nach Angaben dieser Kommission sich unter anderem durch vermutete Marktmacht ergibt, ist hierbei besonders wichtig [11]. Die Diskussion zeigt auf, dass relevante Institutionen nach Strategien suchen und teils auch finden, um dem Missbrauch von potentieller Macht etwas entgegenzusetzen.

Weitere Handlungsbereiche für wirtschaftspolitische Eingriffe im Bereich der Rahmenbedingungen lassen sich ebenso leicht identifizieren. So wird die Netzverfügbarkeit sowohl im Breitbandfest- wie auch im (Breitband-)Mobilfunknetz als Grundlage für die erfolgreiche Digitalisierung angesehen und deren Ausbau seit Jahren diskutiert. Es wird dabei typischerweise davon ausgegangen, dass die Verfügbarkeit von Breitbandinternet positive Effekte auf die wirtschaftliche Entwicklung betroffener Regionen hat und auch, dass die Nutzung von Breitbanddiensten sich im Sinne positiver Netzwerkeffekte auf die Entwicklung neuer Dienste auswirkt. Wenn nun der Ausbau als Ziel definiert wird, dann ergibt sich die Frage, wie dies erreicht werden soll [12]. Soll es staatliche Förderung geben, oder muss der regulatorische Rahmen angepasst werden? Wie müssen Ausschreibungen für Frequenzen hinsichtlich ihrer Ausbauauflagen ausgestaltet sein?

Wichtig ist hier ebenso eine kluge Ausgestaltung der Rahmenbedingungen. Diese Rahmenbedingungen sind wesentlich, gerade für digitale Märkte. Eine kluge, ausdifferenzierte Ausgestaltung der Spielregeln für diese Märkte hat einen großen Einfluss und ist oftmals einer einfachen Förderung einzelner Marktteilnehmer vorzuziehen – wenngleich die Ausgestaltung verschiedener Stellschrauben mühsam und schwierig ist. Diese Ausgestaltung ist dabei oftmals komplex und muss sich mit Abwägungen auseinandersetzen, um Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche Digitalisierung zu schaffen. Diese Komplexität führt dann typischerweise auch nicht zu den anfangs angesprochenen großen Würfen. Das Justieren einzelner Stellschrauben mag müßig sein, jedoch führt es dazu, dass die Maschine der hiesigen Wirtschaft gut und erfolgreich läuft.

Literatur

[1] Süddeutsche Zeitung (2019). Eine Göttin soll Europas Daten schützen. https://www.sueddeutsche.de/digital/gaiax-altmaier-cloud-eu-digitalgipfel-1.4660662 (letzter Download: 04.11.2019)

[2] Heise online (2019). Digitalgipfel: Die datensouveräne Wollmilch-Cloud. https://www.heise.de/newsticker/meldung/Digitalgipfel-Die-datensouveraene-Wollmilch-Cloud-4571916.html (letzter Download: 04.11.2019)

[3] Akerlof, G. (1970). The Market for „Lemons“: Quality Uncertainty and the Market Mechanism. The Quarterly Journal of Economics, 84(3), 488-500.

[4] Siehe für eine Fallbeschreibung den Wikipedia Beitrag „Quaero“ https://de.wikipedia.org/wiki/Quaero.

[5] Spiegel Online (2006). Vergoogelt. https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-45624816.html (letzter Download: 04.11.2019)

[6] Siehe für ähnlich gelagerten Argumentation, Klein (2019). Über Aufgaben und Grenzen moderner Industriepolitik. Wirtschaftliche Freiheit. http://wirtschaftlichefreiheit.de/wordpress/?p=25377 und Klein (2019), Münster Practice and Policy: Einer zahlt immer – eine Nachbetrachtung zum Wettbewerbsfall Siemens/Alstom.  https://www.wiwi.uni-muenster.de/fakultaet/sites/fakultaet/files/mpp_4_12032019_0.pdf

[7] Europäische Kommission (2018). Antitrust: Commission fines Google €4.34 billion for illegal practices regarding Android mobile devices to strengthen dominance of Google’s search engine  https://europa.eu/rapid/press-release_IP-18-4581_en.htm (letzter Download: 04.11.2019)

[8]Siehe hierzu auch eigene Beiträge: Klein, G. (2017) Der Fall Google – Nicht so einfach wie es aussieht. Wirtschaftliche Freiheit. http://wirtschaftlichefreiheit.de/wordpress/?p=21300  Klein, G. (2018), Der Fall Google – 2. Runde. Wirtschaftliche Freiheit.  http://wirtschaftlichefreiheit.de/wordpress/?p=23783 (letzter Download: 04.11.2019)

[9] Shapiro, C. (2019). „Protecting Competition in the American Economy: Merger Control, Tech Titans, Labor Markets.“ Journal of Economic Perspectives, 33 (3): 69-93.

[10]Kommission Wettbewerbsrecht 4.0 (2019), Ein neuer Wettbewerbsrahmen für die Digitalwirtschaft, Bericht der Kommission Wettbewerbsrecht 4.0, Berlin 2019. https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Publikationen/Wirtschaft/bericht-der-kommission-wettbewerbsrecht-4-0.html (letzter Download: 04.11.2019)

[11] Ebd, S. 31.

[12] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (2018). Von der digitalen in die Gigabit-Gesellschaft. https://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Dossier/Breitbandausbau/breitbandausbau.html (letzter Download: 04.11.2019)



Kommentar verfassen