Strom

Industriestrompreise in Deutschland: Reformoptionen für wettbewerbsfähige Strompreise

Dr. Thieß PetersenBertelsmann Stiftung
Sven HellbuschIMW – Center for Mathematical Economics

Deutschlands Strompreise sind im Vergleich zu Ländern wie Kanada, den USA und China überdurchschnittlich hoch. Durch die Folgen des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine sind die Strompreise nochmals gestiegen.

Vor allem energieintensive exportorientierte Unternehmen würden durch niedrigere Industriestrompreise eine bessere internationale Wettbewerbsposition erhalten. Wie sich in Deutschland langfristig geringere Industriestrompreise erreichen lassen könnten, wird in einem aktuellen Focus Paper der Bertelsmann Stiftung untersucht.

Die Preise, die Unternehmen in Deutschland für Strom zahlen müssen, sind vor allem durch die steigenden Erdgaspreise im Zuge des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine spürbar gestiegen.

Immerhin erreichten sie im Durchschnitt des Jahres 2024 zumindest für Gewerbebetriebe wieder das durchschnittliche Niveau der Jahre 2014 bis 2020 (siehe Abb. 1). Gewerbebetriebe sind Unternehmen mit einer jährlichen Verbrauchsmenge von 160.000 bis 20 Millionen Kilowattstunden Strom.

Staatliche Strompreiskomponenten bereits weitgehend reduziert

Ein Blick auf die Zusammensetzung des Strompreises für gewerbliche Betriebe zeigt, dass der Preisrückgang seit 2022 maßgeblich auf die Verringerung der staatlichen Strompreiskomponenten zurückzuführen ist. In den Jahren 2017 und 2024 lag der durchschnittliche Preis für Gewerbekunden bei 17,09 Eurocent pro Kilowattstunde Strom.

2017 machte die Summe aus Steuern, Abgaben und Umlagen rund 53 Prozent dieses Preises aus. 2024 waren es weniger als 9 Prozent (siehe Abb. 2). Ein maßgeblicher Treiber dieser Entwicklung der staatlichen Strompreisanteile ist die Umstellung der Förderung der erneuerbaren Energien.

Bis 2022 zahlten die Stromkund:innen mit ihrer Stromrechnung auf Basis des Erneuerbare-Energie-Gesetzes (EEG) eine EEG-Umlage, die in der Spitze bei fast 7 Eurocent pro Kilowattstunde Strom lag. Seit Sommer 2022 ist die EEG-Umlage komplett abgeschafft, die erforderlichen Mittel kommen seitdem aus dem Bundeshaushalt. Die damit verbundenen Kosten lagen 2024 bei rund 18,5 Milliarden Euro.

Da also Steuern und staatliche Umlagen bei den Strompreisen für Unternehmen bereits weitgehend reduziert sind, bleiben mit Blick auf die staatlichen Strompreiselemente nur noch die Netzentgelte.

Netzentgelte als kurzfristige Stellschraube

Die Netzentgelte decken eine Reihe von Kostenarten ab, die mit dem Betrieb des Stromnetzes verbunden sind und die die Stromkunden:innen mit ihren Strompreisen bezahlen. Um hier eine schnelle Preisreduktion zu erreichen, könnte die Finanzierung dieser Kosten – so wie bei der Förderung der erneuerbaren Energien – über den Bundeshaushalt erfolgen. Ordnungspolitisch ließe sich dieses Vorgehen rechtfertigen, weil auch andere Netze wie das Straßen- und das Schienennetz aus dem Bundeshaushalt finanziert werden.

Die Folge wäre jedoch eine finanzielle Zusatzbelastung des Bundeshaushalts. Sie lässt sich grob abschätzen: Werden die durchschnittlichen Netzentgelte je Kilowattstunde Strom sowie die Jahresverbräuche für Gewerbe- und Industriekunden des Jahres 2024 herangezogen, ergäbe sich bei einer vollständigen Streichung der Netzentgelte für beide Gruppen ein Höchstbetrag von fast 19 Milliarden Euro. Würde das Netzentgelt bei den Gewerbekunden nur um 50 Prozent reduziert werden, lägen die jährlichen Mindereinnahmen bei rund 14 Milliarden Euro. In diesem Fall würde der Industriestrompreis für beide Abnehmergruppen um rund 4 Eurocent pro Kilowattstunde Strom sinken.

Diese Beträge sind jedoch lediglich eine grobe Überschlagsrechnung. Zu berücksichtigen ist beispielsweise, dass bestimmte energieintensive Unternehmen bereits jetzt ermäßigte Netzentgelte zahlen. Denkbar sind darüber hinaus weitere Differenzierungen, also beispielsweise Netzentgeltermäßigungen nur für Unternehmen oder Sektoren mit einem besonders hohen Stromkostenanteil oder einer hohen Exportorientierung. Diese zielgruppenspezifischere Entlastung reduziert die anfallenden Mindereinnahmen. Zudem sollten eventuelle Reduzierungen der Netzentgelte nur temporär gewährt werden.

Klimaneutralität braucht deutlichen Ausbau der erneuerbaren Energien

Deutschland hat das Ziel, bis 2045 klimaneutral zu werden. Ein zentrales Element zur Erreichung dieses Ziels ist ein klimaneutrales Stromsystem. Das verlangt eine spürbare Transformation des deutschen Stromsystems:

Stromerzeugung: Die Stromerzeugung wird langfristig nahezu vollständig mit erneuerbaren Energien erfolgen, also vor allem Sonne und Wind.

Flexibilisierung: Diese Form der Stromerzeugung ist naturgemäß wetter- und tageszeitabhängig. Damit das Stromangebot dennoch mit der Stromnachfrage übereinstimmt, braucht es eine Flexibilisierung der Stromnachfrage. Aktuell liegt die Flexibilität des Strommarktes noch auf der Angebotsseite. Dort fahren fossile Kraftwerke ihre Produktion hoch, wenn die Stromnachfrage dies verlangt.

Speicherkapazitäten: Eine Möglichkeit für diese Flexibilisierung ist der Ausbau der Stromspeicherkapazitäten sowie der Wärmespeicher. So kann überschüssiger Strom in Phasen mit einer geringen Stromnachfrage aufgenommen werden und im Fall eines zu geringen Stromangebots wieder in das System abgegeben werden.

Strombedarf: Die Elektrifizierung zahlreicher Wirtschafts- und Gesellschaftsbereiche ist ein weiterer Baustein auf dem Weg zur Klimaneutralität. Der Strombedarf wird daher in den nächsten zwei Jahrzehnten in Deutschland deutlich steigen – er wird sich voraussichtlich mindestens verdoppeln, möglicherweise sogar verdreifachen (siehe Abb. 3).

Ausbau des Stromnetzes: Um diese Strommengen transportieren zu können, ist der Ausbau des Stromnetzes Dazu gehört auch der Ausbau der Verbindungskapazitäten zwischen den nationalen Stromnetzen im gesamteuropäischen Stromnetz, um so Angebot und Nachfrage europaweit auszugleichen.

Langfristig niedrige Strompreise durch Ausbau der erneuerbaren Energien

Der Preis an den Strombörsen bildet sich mithilfe des so genannten Merit-Order-Prinzips. Die potenziellen Stromanbieter werden dabei entsprechend ihrer Stromerzeugungskosten geordnet. Der letzte Anbieter, der benötigt wird, um die Stromnachfrage zu einem bestimmten Zeitpunkt zu decken, bestimmt mit seinen Grenzkosten den zu zahlenden Strompreis. Grenzkosten sind die zusätzlichen Kosten, die die letzte hergestellte Einheit verursacht (siehe Abb. 4).

Typischerweise liefern erneuerbare Energien den billigsten Strom, weil sie keine Brennstoffe kaufen müssen. Fossile Kraftwerke benötigen hingegen Brennstoffe wie Kohle und Erdgas. Zudem müssen sie einen Preis für die von ihnen verursachten CO2-Emissionen zahlen.

Die Umstellung auf eine Stromerzeugung, die nahezu vollständig auf erneuerbaren Energien basiert, ist also nicht nur mit Blick auf die angestrebte Klimaneutralität geboten. Sie führt zudem langfristig auch zu den niedrigsten Strompreisen. Dies gilt insbesondere, weil die Preise für CO2-Emissionszertifikate zukünftig immer weiter steigen dürften.

Elemente einer umfassenden Langfriststrategie für wettbewerbsfähige Strompreise

Um die Industriestrompreise in Deutschland vor dem Hintergrund der bis 2045 angestrebten Klimaneutralität auf ein international wettbewerbsfähiges Niveau zu senken, ist zwischen kurz- und langfristigen Maßnahmen zu unterscheiden.

Maßnahmen, die wenig oder nicht sinnvoll sind

Kurzfristig bleibt nach den bereits erfolgten Senkungen anderer staatlicher Strompreiskomponenten letztendlich nur noch die Komponente der Netzentgelte. Eine schnelle Reduzierung dieses Strompreiselements könnte die Strompreise für Industrie- und Gewerbeunternehmen senken, was jedoch den Bundeshaushalt spürbar belasten würde. Wenn überhaupt, sollte so eine staatliche Unterstützung zeitlich begrenzt sein, um eine Dauersubventionierung zu vermeiden.

Zwei Maßnahmen, die zur Reduzierung der Energiekosten immer wieder in die Diskussion gebracht werden, sind die Nutzung von Atomkraft und von Schiefergas durch das so genannte Fracking. Beide Optionen sind unserer Einschätzung nach kein sinnvoller Weg.

Atomenergie ist vor allem zu teuer und hat zudem erhebliche ungeklärte Fragen (z.B. die Frage der Atommüllendlager und die Versicherung der mit der Atomenergie verbundenen Risiken).

Fracking wäre nur noch etwa zwei Jahrzehnte nutzbar und könnte in dieser Zeit nicht wirtschaftlich betrieben werden. So kommt auch das Umweltbundesamt zu der Einschätzung, dass eine „wirtschaftliche Förderung von Schiefergas in Deutschland … über realistische Planungs-, Genehmigungs- und Förderzeiträume … weiterhin nicht gegeben ist“.

Maßnahmen für ein langfristige Strategie

Vielversprechender ist eine umfassende und langfristig angelegte Gesamtstrategie mit folgenden Maßnahmen:

Zentrale Elemente sind der Ausbau der erneuerbaren Energien, der Stromnetze und der Speicherkapazitäten. Der Ausbau der Stromnetze sollte sich nicht auf die deutschen Trassen beschränken, sondern auch die Verbindungskapazitäten zwischen europäischen Regionen umfassen. Eine verstärkte Integration in den europäischen Strommarkt kann helfen, die Preise zu verringern und den Wettbewerb zu verbessern. So könnte beispielsweise künftig günstig im Ausland produzierter Strom aus erneuerbaren Energiequellen leichter nach Deutschland fließen.

Hilfreich ist zudem eine Aufteilung der deutschen Strompreiszone in 3 Teilzonen. So können regionale Preissignale gestärkt werden und Kosten, die mit dem zeitlichen bzw. regionalen Auseinanderfallen von Stromangebot und Stromnachfrage verbunden sind, reduziert werden.

Notwendig ist zudem eine Steigerung der Nachfrage nach Strom, damit die Produktionskapazitäten genutzt werden können. Das umfasst u.a. die Elektrifizierung im Straßenverkehr und bei der Wärmegewinnung, wo es bereits heute entsprechende technische Lösungen gibt. Schwieriger wird dies im Luft- und Schifffahrtsverkehr sowie in der Industrie. Teilweise lassen sich dort Antriebe und Prozesse direkt elektrifizieren, allerdings wird hier aller Voraussicht nach ein Restbedarf an Brennstoffen bleiben. Er könnte durch grünen Wasserstoff und synthetische Kraftstoffe gedeckt werden.

Alle diese Maßnahmen werden realistischerweise nicht ohne staatliche Unterstützungen – also vor allem Steuererleichterungen, Finanzhilfen und öffentliche Investitionen – erfolgen. Auch wenn das die öffentlichen Finanzen belastet, ist eine Verschiebung dieser staatlichen Ausgaben nicht sinnvoll: Das Zieldatum für die Klimaneutralität ist festgelegt. Je länger mit den notwendigen Transformationsmaßnahmen gewartet wird, desto größer sind die erforderlichen jährlichen Anpassungsmaßnahmen.

Weitere Beiträge zum Thema auf unserem Blog:

Deutschland im grünen Standortwettbewerb von Dr. Marcus Wortmann, Bertelsmann Stiftung

Industriestrompreis oder neue Technologie? Ein Beispiel aus der Batterieproduktion von Dr.-Ing. Florian Degen, Fraunhofer FFB

Megatrend-Report: „Neben den Klimazielen gibt es noch viele weitere Baustellen“ mit Prof. Dr. Jens Südekum, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf



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