Wie das Suffizienzprinzip Unternehmen helfen kann, wirtschaftliche Krisen durchzustehen
Die schlechten Nachrichten zur wirtschaftlichen Situation Deutschlands bestimmen derzeit die Schlagzeilen: Inflation, Krise an den Finanzmärkten, Trumps Zollpolitik. Die Lage ist angespannt – vor allem für Unternehmen mit globalen Absatzmärkten und komplexen Lieferketten.
Unternehmen, die auf lokale Produktion und regionale Absatzmärkte setzen, sind womöglich nicht ganz so krisenanfällig. In der Forschung werden sie als suffizienzorientierte Unternehmen bezeichnet.
Suffizienzorientierte Unternehmen: weniger krisenanfällig
Suffizienzorientierte Unternehmen stellen die Gemeinwohlorientierung über die reine Gewinnorientierung und richten ihr Geschäftsmodell auf ein maßvolles Wirtschaften aus. Das bedeutet, dass sie die Produktion und das Angebot an Gütern und Dienstleistungen auf das notwendige Maß beschränken und Rahmenbedingungen für ressourcenschonende Lebensstile schaffen.
Ziel ist es, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen wirtschaftlichem Erfolg und ökologischen und sozialen Zielen zu finden. Im Vordergrund stehen dabei nicht das Streben nach Wachstum und Profit, sondern Gemeinwohl und Gemeinschaftsorientierung.
Wie gehen suffizienzorientierte Unternehmen vor?
Sie operationalisieren die Prinzipien „weniger, langsamer, gemeinwohlorientierter und regionaler“ in ihrem Geschäftsmodell. Dabei kann zwischen internem und externem Verantwortungs- und Wirkungsbereich unterschieden werden.
Intern geht es darum, Suffizienz in allen Unternehmensbereichen zu verankern. Beispiele sind die Begrenzung von Gewinnerwartungen und Wachstumszielen, eine Beschränkung des Produktionsvolumens oder die Entscheidung für eine nicht-gewinnorientierte Eigentümerstruktur.
Extern fokussieren sich Unternehmen auf die Förderung suffizienzorientierter Lebensstile. Hierzu gehören Angebote für Reparatur, Wiederverwendung und Nutzungsdauerverlängerung oder Maßnahmen zur Sensibilisierung für kritischen Konsum und der Verzicht auf verkaufsfördernde Marketing- und Werbekampagnen. Auch die Produktgestaltung entlang von Suffizienzkriterien ist wichtig, da langlebige, ressourcenschonende oder modulare Produkte länger genutzt bzw. weitergegeben werden können als Wegwerfprodukte.
In Deutschland ist der Outdoor-Ausrüster Vaude ein bekanntes Beispiel. Das Unternehmen wurde 2024 für seine Nachhaltigkeit und Fairness in der Lieferkette mit dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis ausgezeichnet. Vaude unterstützt das Suffizienzprinzip „langsamer“ durch die Verwendung umweltfreundlicher Materialien, lange Haltbarkeit und Reparierbarkeit seiner Produkte. Am Ende des Produktlebens fördert Vaude die Reparatur durch Ersatzteile, Anleitungen, einen Reparaturservice sowie einen Mietservice.
Strategien zur Förderung von Suffizienz in der Praxis
In einer aktuellen Online-Befragung unter rund 300 nachhaltigen Unternehmen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz wurde untersucht, welche Strategien zur Förderung von Suffizienz in der Praxis bereits umgesetzt werden. Es hat sich gezeigt, dass eine Mehrheit der befragten Unternehmen Entscheidungen für maßvolles Wirtschaften auf der Ebene von Geschäftsführung und Organisationskultur fördert. Auch die kontinuierliche Reduktion des Ressourcenverbrauchs in allen Bereichen des Unternehmens und die Anpassung des Produktionsvolumens an die tatsächliche Nachfrage sind weit verbreitet.
Unter den Strategien zur Förderung suffizienzorientierter Lebensstile sind Kommunikation und Bildungsarbeit zur Sensibilisierung für kritischen Konsum und zur Reflektion tatsächlicher Konsumbedürfnisse als auch der Verzicht auf Rabattaktionen im Rahmen des Marketings weit verbreitet. Aufgrund der großen Anzahl von Dienstleistungsunternehmen in der Befragungsstichprobe stechen die kommunikationsbezogenen Maßnahmen besonders hervor. Aber auch produktbezogene Strategien wie langlebige und modulare Produkte oder verlängerte Garantiedauern kommen in vielen Unternehmen zur Anwendung.
Vorteile und Herausforderungen
Nach den Vorteilen dieser Art des Wirtschaftens gefragt, geben die Unternehmen an, dass es identitätsstiftend für Mitarbeitende und Führungskräfte ist und ihnen das Gefühl gibt, das Richtige zu tun. Aus strategischer Sicht bestehen Vorteile in der Wettbewerbsdifferenzierung und strategischen Positionierung des Unternehmens.
Nicht überraschend erwarten die befragten Unternehmen zudem einen Beitrag zur Verringerung ökologischer und sozialer Auswirkungen ihrer Geschäftstätigkeit. Finanzielle Vorteile wie der Zugang zu Finanzmitteln oder ein Beitrag zur Kostenreduktion werden als weniger relevant eingeschätzt.
Im Vergleich zur Gesamtwirtschaft stellen suffizienzorientierte Unternehmen aber eine Ausnahme dar – zu groß ist der Wachstumsdruck des gegenwärtigen Wirtschaftssystems. Sie stehen in Konkurrenz mit konventionellen Unternehmen, die auf Expansion, Gewinne und Abverkauf setzen. Diese kurzfristige Denkweise ordnet Ziele wie Nachhaltigkeit, Gemeinwohlorientierung und Resilienz den Gewinnerwartungen und Wachstumszielen unter.
Die meiste Zustimmung gibt es zu der Aussage, dass sie als Wachstumsstrategie die Verbreitung ihrer nachhaltigen Geschäftsidee und deren Wirkung und nicht die Erhöhung ihres Profits fördern. Solange sich die Rahmenbedingungen des Wirtschaftens nicht grundlegend ändern, ist es für viele Unternehmen aber schwer, den strukturellen Barrieren etwas entgegenzusetzen.
Gerade für kleinere und jüngere Unternehmen ist Wachstum oft zunächst notwendig, um eine stabile Position am Markt zu erreichen. Entsprechend geben die Unternehmen in der Befragung auch an, dass sie lediglich moderat wachsen oder den Fokus auf das Wachstum von immateriellen Werten legen, wie der Zufriedenheit der Mitarbeitenden oder dem Wissensaufbau.
Da suffizienzorientierte Geschäftsmodelle noch neu sind, gibt es wenig Erfahrung sowie kaum Daten zur Messung ihrer Erfolge. Das Projekt „Maßvoll Wirtschaften“ schließt diese Wissenslücke und will unter anderem gute Fallbeispiele und konkrete Empfehlungen in einem Playbook für Unternehmen zusammenstellen. Das Projekt wird von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt gefördert und von der Technischen Universität und der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg durchgeführt.
Weitere Informationen finden Sie in dem Buch Sufficiency in Business.
Weitere Beiträge zum Thema auf unserem Blog:
Freiheit zu Suffizienz: Das können wir uns alle leisten von Dr. Benjamin Best, Wuppertal Institut
Wildling: Ein faires Spielfeld für wertorientierte Unternehmen mit Anna Yona, Wildling
Greenwashing: Ein Konzept zur Messung auf Unternehmensebene von Prof. Dr. Sebastian Utz, Universität Augsburg und Prof. Dr. Gregor Dorfleitner, Universität Regensburg
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