Freiheit zu Suffizienz: Das können wir uns alle leisten 

Dr. Benjamin BestWuppertal Institut

Suffizienz stellt die Frage nach dem richtigen Maß und ist eine zentrale Nachhaltigkeitsstrategie, die für das Überleben der menschlichen Spezies auf dem Planeten entscheidend ist.

Am Wuppertal Institut definieren wir Suffizienz als Strategie zur Reduktion von Konsum- und Produktionsniveaus durch die Veränderungen sozialer Praktiken. Ziel ist, einerseits durch Vermeiden von Exzess und Überfluss ökologische Grenzen einzuhalten und andererseits allen Menschen die Befriedigung ihrer Grundbedürfnisse zu ermöglichen.

Suffizienz ist ein Booster zur Erreichung von Klimaschutzzielen

In der Wissenschaft nimmt die Evidenz zu, dass Verbrauchsreduktion durch Verhaltensänderungen ein hohes Klimaschutzpotenzial innewohnt. Nach dem IPCC – Intergovernmental Panel on Climate Change besteht hohe Gewissheit, dass damit 40 bis 70 Prozent der Treibhausgas-­Emissionen im Vergleich zu 1990 werden reduzieren können.

Autor:innen des IPCC haben in einer umfassenden Meta-Studie das Potenzial einzelner Aktivitäten zusammengetragen. Zu den effektivsten Maßnahmen zählen:

  • Autofreies Leben, im Schnitt 2 Tonnen weniger Treibhausgase pro Kopf.
  • Weniger Fliegen, im Mittel 1,9 Tonnen Treibhausgase weniger pro Kopf
  • Vegane Ernährung, im Mittel 0,9 Tonnen Treibhausgase weniger pro Kopf

Es gibt sie bereits, die Trends hin zur pflanzlichen Ernährung, zu fahrrad- und fußgängerfreundlichen Städten und regionalem Tourismus. Um die Pariser Klimaschutzziele einzuhalten, müssen diese Trends aber durch politische Instrumente beschleunigt und forciert werden.

Die Politik ist am Zug – Suffizienz ist mehr als Verhaltensänderungen

Um suffiziente Aktivitäten zu ermöglichen, steht in erster Linie die Politik in der Pflicht – sie schafft die Rahmenbedingungen, die ein gutes Leben im Alltag überhaupt erst ermöglicht. Das Wuppertal Institut hat dazu ein Diskussionspapier veröffentlicht, in dem für die Bereiche Gebäude, Verkehr, Kreislaufwirtschaft, Energie und Konsum jeweils fünf wichtige Suffizienz-Politikinstrumente vorgeschlagen werden.

Insbesondere infrastrukturelle Maßnahmen sind notwendig, um suffizientes Handeln in sozial gerechter Weise zu ermöglichen: Ein besserer und schnellerer ÖPNV macht Menschen ohne eigenes Auto mobiler und ermöglicht anderen, mehr Wege mit Bus und Bahn zurückzulegen – oder gleich ganz aufs eigene Auto zu verzichten.

Ein weiteres Beispiel ist die partizipative Quartiersentwicklung durch unkommerzielle, gemeinschaftliche Aktivitäten und Räume, etwa Gemeinschaftsgärten, Repair-Cafés oder Quartierswerkstätten. Diese Beispiele sind nicht nur in sich selbst suffizient – sie lehren vor allem, zeitintensive, ressourcenarme und erfüllende Handlungen als sinnvolle Alternativen zu schnellen, ressourcenintensiven Aktivitäten zu betrachten.

Eine vieldiskutierte Möglichkeit zur politischen Umsetzung von Suffizienz ist die Einführung persönlicher Konsumbudgets. In einem Papier der Bertelsmann Stiftung wurde die Policy-Idee einer „Klimakreditkarte“ ausgearbeitet . Diese kann persönliche, subventionierte Kontingente für lebensnotwendige Güter festschreiben und so dabei helfen, ein angemessenes Konsumniveau für alle zu garantieren, individuelle Freiheiten zu wahren und zugleich durch Sparanreize zur Bewahrung der ökologischen Lebensgrundlagen beizutragen.

Gerechtigkeitsdimension berücksichtigen

Suffizienz heißt, Überkonsum zu reduzieren und zugleich Armut zu bekämpfen. Die Treibhausgas-­Emissionen steigen mit dem Einkommen: Die ärmsten 50 Prozent der Bevölkerung verursachen in Deutschland gut ein Viertel der Emissionen. Das reichste Prozent ist verantwortlich für knapp zehn Prozent – pro Kopf mehr als das 17-­fache.

Bei Reichen und Superreichen ist eine Reduktion des Energieverbrauchs und der Emissionen daher am einfachsten herbei zu führen, da sie z.B. am flexibelsten auf Preis­signale reagieren können. Progressive Tarife wären daher ein mächtiger Hebel, um Verbräuche zu reduzieren. Im Gegenzug werden niedrige Verbräuche z. B. von Strom, Gas und Wasser vergünstigt, beispielsweise indem sie von fixen Kosten befreit werden. Bei höheren Verbräuchen nimmt der Anteil der Fixkosten stärker zu.

Damit Suffizienz nicht zur Belastung wird, ist es wichtig, die Genderdimension zu berücksichtigen. Besonders Menschen, die Sorge-Arbeit leisten, z.B. Kinderbetreuung oder Krankenfürsorge, haben höhere Hürden für entschleunigte Suffizienz. Bei der Sorge-/Kümmer-/Care-Arbeit, die vor allem von Frauen geleistet wird, werden typischerweise viele Aktivitäten in komplexen Abläufen organisiert und Wege miteinander verbunden.

Um hier zur Entlastung beizutragen, braucht man die Überwindung gender-differenzierter Arbeitsteilung und multifunktionale Räume, die unterschiedliche Bedürfnisse unterschiedlicher Menschen aufgreifen – zum Beispiel von kleinen Kindern und Eltern – und dabei speziell die weibliche Perspektive berücksichtigen.

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