Netzausbau: Ein Konflikt zwischen Bundesländern

Prof. Dr. Simon FinkUniversität Göttingen

Der Stromnetzausbau in Deutschland ist einer der wichtigsten Bausteine der Transformation des Energiesystems. Viele Bereiche der Dekarbonisierung – man denke an die Verkehrs- oder die Wärmewende – benötigen ein robustes und effizientes Stromnetz, das den neuen Herausforderungen an Flexibilität bei Erzeugung und Verbrauch gewachsen ist.

Auch für den europäischen Strommarkt ist das deutsche Übertragungsnetz alleine aufgrund der geographischen Lage Deutschlands von zentraler Bedeutung.

Netzausbau geht nur langsam voran

Der Netzausbau geht aber nur schleppend voran. Die Monitoringerichte der Bundesnetzagentur zeigen zwar stetige, aber doch nur langsame Fortschritte.

Ein Grund dafür könnte sein, dass die Positionen von deutschen Parteien im Mehrebenensystem nicht einheitlich sind. Einer klassischen Sichtweise zufolge sind deutsche Parteien vertikal gut integriert und kohärent. Mit anderen Worten: Die Position eines SPD Ortsverbandes ist so ähnlich wie die Position des Landesverbandes, die wiederum so ähnlich wie die Position der Bundes-SPD ist.

Es ergibt häufig Sinn, im landläufigen Gebrauch von „Der Position der SPD“ zu sprechen, und damit die Position der SPD auf allen Ebenen – Kommune, Landkreis, Bundesland, Bund – zu meinen. Beim Stromnetzausbau ist diese Einheitlichkeit aber nicht gegeben.

Positionen zum Netzausbau: Profiteure vs. Nicht-Profiteure

Zwei Studien über Parteipositionen zeigen, dass die Positionen deutscher Parteien zum Ausbau der Stromnetze systematisch voneinander abweichen, und zwar weniger zwischen den Parteien, sondern zwischen verschiedenen Bundesländern und verschiedenen Landkreisen.

Auf Bundesebene gibt es zwischen fast allen Parteien einen Konsens über die Notwendigkeit des Stromnetzausbaus. Eine Analyse der Wahlprogramme zeigt kaum große Unterschiede. Aber dieser Konsens ist nicht mehr zu erkennen, wenn man in die Bundesländer schaut.

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Parteien aus Bundesländern, die vom Netzausbau profitieren – wie beispielsweise Niedersachsen – sind für den Ausbau der Stromnetze. Dies gilt unabhängig von ihrer sonstigen ideologischen Ausrichtung.

CDU, FDP, Grüne und SPD in Niedersachsen sind sich relativ einig, dass der Stromnetzausbau beschleunigt werden muss. Die entsprechenden Passagen in den Wahlprogrammen lesen sich so ähnlich, dass kaum unterscheidbar ist, welche Absätze von welcher Partei kommen.

Umgekehrt sind Parteien in Bundesländern, die vor allem die Kosten des Stromnetzausbaus tragen, ohne davon zu profitieren – Thüringen ist hier ein Beispiel – eher skeptisch gegenüber dem Ausbau der Netze. Mit anderen Worten: In Thüringen haben CDU, FDP, Grüne und SPD sehr ähnliche Positionen, und zwar alle eher kritisch gegenüber dem Netzausbau. Wieder gilt: Liest man die Positionen der Thüringer Parteien zum Netzausbau, kann man aus den Formulierungen kaum schließen, welche Position von welcher Partei kommt.

Auch in Niedersachsen ist die Parteienlandschaft gespalten

Das selbe Muster setzt sich fort, wenn man im deutschen Mehrebenensystem noch weiter hineinzoomt und in die Landkreise hineinschaut. In puncto Netzausbau ist Niedersachsen quasi eine Bundesrepublik im Kleinen: Einige Landkreise im Norden profitieren vom Netzausbau, weil sie Windstrom generieren und dringend ins Netz einspeisen wollen. Landkreise in Südniedersachsen dagegen haben von den großen Übertragungsnetzleitungen kaum Vorteile, sondern müssen die politischen Kosten in Form von Protesten tragen.

Daher ist auch innerhalb Niedersachsens die Parteienlandschaft gespalten, aber eben nicht zwischen den Parteien, Grüne vs. CDU oder SPD vs. FDP. Stattdessen sind in den nordniedersächsischen Landkreisen die lokalen Parteien unisono für einen Netzausbau, während die lokalen Parteien in Südniedersachsen ebenso unisono kritisch gegenüber dem Netzausbau sind.

Der Streit über die Stromnetze ist also in Deutschland weniger ein Konflikt zwischen Parteien, sondern zwischen Bundesländern – und auf kleinerer Ebene zwischen Kreisen und Kommunen.

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Da der Netzausbau letztlich alle Ebenen betrifft, ist dies zunächst einmal keine gute Nachricht für den Netzausbau: Unabhängig vom Ausgang von Wahlen werden wir immer diese Konflikte haben, da eben, egal welche Regierung am Ruder ist, einige Bundesländer immer vom Netzausbau stärker profitieren als andere, und sich dies in der Position aller Parteien dieser Bundesländer niederschlägt.

Plakativ formuliert: Auch wenn es über den ganzen Verlauf von SuedLink grüne Landesregierungen, grüne Landrät*innen, grüne Bürgermeister*innen gäbe, würde dies den Bau von SuedLink nicht wesentlich beschleunigen. Weil die Positionen der Parteien von ihrer geographischen Lange beeinflusst werden, und damit von der Frage, ob der Landkreis oder das Bundesland unmittelbare Vorteile vom Netzausbau hat.

Mittel, um Konflikte im Netzausbau zu bekämpfen

Die etwas optimischere Folgerung ist, dass das deutsche föderale System Mittel hat, um solche Konflikte zu bekämpfen. Der deutsche Föderalismus hat eine lange Tradition des Ausgleichs zwischen den Bundesländern und der Herstellung von gleichwertigen Lebensverhältnissen.

Es müssten also Lösungen gefunden werden, wie die Landkreise und Bundesländer, in denen die Übertragungsnetze vor allem dem Stromtransit dienen – die also unmittelbar keinen Vorteil haben – dafür entschädigt werden. Ob dies als fair empfunden wird, und wie dies umgesetzt werden kann, ist eine komplexe Frage. Auf jeden Fall würde es die Konflikte zwischen den Gewinnern und Verlierern des Stromnetzausbaus verringern.

Literatur

Fink, Simon, Hendrik Teichgräber and Mareike Wehling. 2022. „Der Ausbau der deutschen Stromnetze: Kohärente Parteienideologie oder Sollbruchstelle entlang lokaler Interessen?“ Zeitschrift für Vergleichende Politikwissenschaft 15 (1): 617–639. https://doi.org/10.1007/s12286-021-00494-5

Fink, Simon, Jan-Eric Bartels, Winona Hagendorf and Niklas Klinger. 2019. „Determinants of subnational party positions on electricity grid expansion in Germany: Economic over political interests.“ Utilities Policy (58): 145-157. https://doi.org/10.1016/j.jup.2019.05.007 .

Weitere Beiträge zum Thema auf unserem Blog:

5-Punkte-Plan für mehr Tempo bei der Transformation von Prof. Dr. Manfred Fischedick, Wuppertal Institut

Energiekrise = Energiewende? von Dr. Florian Egli, ETH Zürich

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