Moralische Überheblichkeit in der Energiekrise
Nach Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine stand Deutschland vor einer doppelten Herausforderung: Die Preise für Gas drohten zu explodieren und gleichzeitig bestand die Gefahr einer Gasmangellage. Es war von zentraler Bedeutung, den Gasverbrauch zu senken – sowohl aus wirtschaftlichen als auch aus geopolitischen und klimapolitischen Gründen. Die Gesellschaft sollte zusammenstehen und gemeinsam den Energieverbrauch reduzieren. Doch welche Motive trieben die Menschen tatsächlich dazu, Gas zu sparen? Und wie wurden diese Motive von den Individuen selbst und von anderen eingeschätzt?
Eine gemeinsame Studie mit Christoph Feldhaus, Akademischer Rat an der Universität Bochum, Axel Ockenfels, Professor an der Universität zu Köln, und Matthias Sutter, Direktor des Max Planck Instituts für Gemeinschaftsgüter in Bonn, hat genau diese Fragen untersucht und fördert dabei ein psychologisches Phänomen zu Tage: moralische Überheblichkeit.
Einschätzungen moralischer Motivation
In zwei Untersuchungen mit insgesamt ca. 2.000 Haushalten in ganz Deutschland analysierten wir, welche Motive die Menschen zum Energiesparen bewegten. Dabei wurde nicht nur erfasst, warum Haushalte selbst Gas sparten, sondern auch, welche Beweggründe sie anderen zuschrieben. Ein durchgängiges Muster zeigte sich: Die Teilnehmenden bewerteten finanzielle Ersparnisse als das zentrale Motiv für ihre Energiesparbemühungen. Doch auch andere Beweggründe, etwa der gesellschaftliche Zusammenhalt oder der Klimaschutz, spielten eine Rolle.
Interessanterweise jedoch bewerteten die Teilnehmenden das finanzielle Motiv als weniger wichtig für sich selbst als für andere, während sie die nicht-finanziellen, moralischen Motive als bedeutender für sich selbst erachteten als für andere. Anders gesagt: Die eigene moralische Motivation zum Energiesparen wurde höher eingeschätzt als die moralische Motivation der Mitbürger. Dieses Wahrnehmungsmuster bezeichnen wir als moralische Überheblichkeit: Statistisch gesehen kann nicht jeder überdurchschnittlich moralisch handeln. Doch ein erheblicher Teil der Menschen neigt dazu, sich selbst als moralischer wahrzunehmen als ihre Mitmenschen.
Implikationen moralischer Überheblichkeit
Das Phänomen der moralischen Überheblichkeit wurde bereits in früheren psychologischen Studien beobachtet- hier wurde sie auch als Illusion der moralischen Überlegenheit bezeichnet. Menschen neigen dazu, sich selbst als überdurchschnittlich moralisch, gerecht oder altruistisch zu betrachten. Doch was sind die Implikationen dieses Befunds?
Wer sich selbst bereits als besonders moralisch wahrnimmt, könnte weniger empfänglich für moralische Appelle sein. Wenn man glaubt, bereits genug zur Gesellschaft beizutragen, fehlt die Bereitschaft, sich weiter einzuschränken oder auf zusätzliche Maßnahmen einzulassen. Dies kann problematisch sein, wenn es darum geht, Verhaltensänderungen zu bewirken, die für das Gemeinwohl notwendig sind. Denn wer ohnehin von sich glaubt, das Richtige zu tun, sieht wenig Anlass, auf moralische Appelle zu reagieren.
Interessanterweise erlaubt unsere Studie keine Rückschlüsse auf den einzelnen Teilnehmenden. Moralische Überheblichkeit lässt sich nur auf aggregierter Ebene nachweisen. Für das einzelne Individuum bleibt die tatsächliche Triebfeder des eigenen Handelns letztlich subjektiv und für Außenstehende nicht überprüfbar. Wenn die Mehrheit der Menschen jedoch zu dem Schluss kommt, moralisch stärker motiviert zu sein als der Durchschnitt, dann kann dies nur ein Trugschluss sein. Menschen dieses Konzept nun detailliert zu erklären, dürfte nicht erfolgversprechend sein, denn es ist unwahrscheinlich, dass die Einzelperson es auf sich selbst bezieht – vielmehr wird sie geneigt sein es auf „die anderen“ projizieren.
Moralische Überheblichkeit: Herausforderung für die Politik
Diese psychologische Dynamik stellt eine Herausforderung für politische Maßnahmen dar, die auf moralische Überzeugungsarbeit setzen. Unsere Ergebnisse legen nahe, dass finanzielle Anreize in vielen Fällen wirksamer sein könnten als moralische Appelle. Entscheidend dabei ist jedoch die Transparenz dieser finanziellen Anreize, wie wir in einer parallelen Studie gezeigt haben.
Wer an der Tankstelle den Benzinpreis sieht, erfährt unmittelbar, wie teuer eine Tankfüllung ist und wird sein Verhalten entsprechend anpassen. Beim Energieverbrauch zu Hause hingegen fehlt oft diese Transparenz – insbesondere, wenn die Gasabrechnung erst Monate oder gar ein Jahr später eintrifft. Ohne ein unmittelbares Feedback zu den eigenen Energiekosten bleibt der Anreiz zur Einsparung abstrakt. Eine Lösung könnten digitale Technologien wie Smart Meter sein, die eine direkte Rückmeldung zum Energieverbrauch ermöglichen.
Was sind also politische Implikationen unserer Studie? Letztlich zeigt sie, dass es nicht nur darauf ankommt, wie moralisch Menschen handeln, sondern auch, wie sie ihr eigenes Verhalten im Vergleich zu anderen bewerten. Wer glaubt, bereits überdurchschnittlich moralisch zu sein, wird sich schwerlich durch Appelle zu weiterem nachhaltigen Handeln bewegen lassen.
Es besteht wenig Hoffnung, das Problem der moralischen Überheblichkeit durch bessere Aufklärung lösen zu können. Dieses psychologische Element sollte in der Gestaltung von Transformationsprozessen und nachhaltiger Politik nicht unterschätzt werden. Wer nachhaltiges Verhalten fördern will, sollte nicht zu sehr auf moralische Appelle setzen, sondern stattdessen verständliche und transparente finanzielle Anreize schaffen.
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