Elektrifizierung oder Wasserstoff: Konkurrenz um die Energiewende?

Felix SchreyerPotsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK)

Die Energiewende ist in vollem Gange. Knapp die Hälfte der Stromerzeugung in Deutschland kommt inzwischen aus erneuerbaren Energien wie Windkraft, Solarenergie oder Bioenergie. Während die CO2-Emissionen im Stromsektor über die letzten Jahre bereits deutlich reduziert werden konnten, steckt die Transformation im Verkehr, beim Heizen oder in der Industrie noch in den Kinderschuhen.

Daher stellt sich die Frage, wie wir den erneuerbaren Strom nutzen können, um fossile Energieträger auch in diesen Sektoren nachhaltig und kostengünstig zu ersetzen. Hier gibt es grundsätzlich zwei denkbare Wege:

  • Erstens können wir auf elektrische Anwendungen umstellen, um Strom direkt zu nutzen – anstatt Kohle, Öl oder Gas zu verbrennen.  Diese sogenannte Elektrifizierung kann etwa im Verkehrssektor durch die Umstellung auf E-Autos oder im Wärmebereich durch die Umstellung auf elektrische Wärmepumpen erfolgen.
  • Zweitens können wir mit Hilfe der Elektrolysetechnologie Strom dazu verwenden, um Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff spalten. Der damit gewonnene so gennannte „grüne“ Wasserstoff ist nun ebenfalls ein Energieträger, der verbrannt oder in der Chemieindustrie stofflich weiterverwendet werden kann.

Welche Vorteile bringt Elektrifizierung?

Ein entscheidender Unterschied zwischen beiden Ansätzen besteht darin, wie effizient der verfügbare Strom genutzt wird. Langfristig wird dies maßgeblich über die Kosten der jeweiligen Option entscheiden, da die Stromkosten einen hohen Anteil an den Gesamtkosten der Anwendungen haben werden.

Insofern ist die Elektrifizierung dem Einsatz von Wasserstoff klar vorzuziehen, sofern die Umstellung auf elektrische Technologien für den jeweiligen Anwendungsbereich im relevanten Zeitraum der nächsten 20 Jahre möglich ist.

Felix Schreyer

Besonders eindeutig ist dies im Pkw-Bereich oder beim Heizen. Batterieelektrische Autos sowie elektrische Wärmepumpen sind bereits weitgehend ausgereifte und kommerzialisierte Technologien mit stetig steigenden Marktanteilen. Zwar ist der Anteil von E-Autos auf deutschen Straßen mit 2 Prozent noch gering, aber die Technologie ist ökonomisch klar anderen emissionsarmen Antriebsarten überlegen.

Darunter fallen sowohl wasserstoffbasierten Brennstoffzellenautos als auch der Einsatz von synthetischen Kraftstoffen (E-fuels). So würde beispielsweise bei der Produktion und dem Einsatz von wasserstoffbasierten E-fuels in Verbrennungsmotoren etwa fünf Mal so viel Strom wie bei einem Elektroauto benötigt, um dieselbe Strecke zurückzulegen.

Ähnlich ist es bei der elektrischen Wärmepumpe im Wärmesektor, die durch elektrische Energie der Umgebungsluft oder dem Boden Wärme entzieht und so den Strom besonders effizient für die Wärmeerzeugung nutzt. Beim Heizen mit Wasserstoff kommt hier zusätzlich zu den großen Effizienzverlusten hinzu, dass eine Umstellung der derzeitigen Gasverteilnetze auf Wasserstoff in Wohngebieten mit erheblichen Mehrkosten und Koordinationsaufwand verbunden ist.

Wo ist Wasserstoff relevant?

Allerdings gibt es Bereiche, in denen die Abkehr von fossilen Energieträgern keine attraktive elektrische Lösung in Aussicht hat. Auch wenn die Energiedichte von Batterien sich bisher stetig erhöht hat und weitere Verbesserungen zu erwarten sind, ist es unwahrscheinlich, dass Batterien in absehbarer Zeit großflächig etwa in der Luftfahrt oder Schifffahrt eingesetzt werden können.

Der große Vorteil von CO2-neutralen E-fuels, die aus grünem Wasserstoff und atmosphärischem Kohlenstoffdioxid synthetisiert werden, besteht darin, dass sie direkt in bisherigen Verbrennungsmotoren oder Boilern, die derzeit beispielsweise mit erdölbasiertem Diesel laufen, eingesetzt werden können. E-fuels werden teuer und ineffizient sein, aber können in bereits verwendeten Technologien genutzt werden.

Ähnlich verhält es sich im Bereich der chemischen Industrie. Ob für Kunststoffe, Farben, Lacke, Düngemittel oder Medikamente: Erdöl und Erdgas sind häufig die Ausgangsstoffe für die Herstellung der breiten Palette an chemischen Produkten, die wir heute verwenden.

Ein Großteil des fossilen Kohlenstoffs dieser Produkte landet am Ende als Kohlenstoffdioxid in der Atmosphäre, zum Beispiel durch die Verbrennung in Müllverbrennungsanlagen. Ein Umdenken ist daher auch in der chemischen Industrie wichtig. Grundsätzlich können die notwendigen Ausganschemikalien auch über die Synthese der Grundbausteine Wasserstoff und Kohlenstoff erzeugt werden. Erfolgt dies mit grünem Wasserstoff und atmosphärischen CO2 oder über die Verarbeitung von Biomasse, werden die entstehenden Produkte CO2-neutral.

Wasserstoff klar in der Nebenrolle

In der öffentliche Debatte – etwa um das EU-weite Verbrennerverbot oder das Gebäudeenergiegesetz – wird teilweise suggeriert, dass in vielen Bereichen ein offener technologischer Wettbewerb zwischen Elektrifizierung und Wasserstoff herrsche, der beiden Optionen als Konkurrenten um die zukünftige grüne Lösung darstellt. Dies stellt sich in der Energiesystemforschung allerdings deutlich anders dar.

Es ist vielmehr so, dass beide Strategien in unterschiedlichen Sektoren relevant und größtenteils komplementär sind – wobei Wasserstoff die klare Nebenrolle spielt und nur in Bereichen eingesetzt werden sollte, in denen Elektrifizierung nicht möglich ist.

Felix Schreyer

Eine gewisse Unsicherheit bezüglich der beiden Optionen besteht in einzelnen Segmenten wie etwa beim Lkw-Fernverkehr oder der Bereitstellung von industrieller Prozesswärme mit hohen Temperaturen. Es gibt allerdings zunehmend Hinweise, dass Elektrifizierung dort ebenfalls weitgehend möglich und ökonomisch ist, sodass Wasserstoff eher als Back-up-Lösung anzusehen ist.

Zentral für beide Strategien ist ein rascher Ausbau der erneuerbaren Energien in Deutschland und der EU. Die gilt insbesondere für Wind- und Solarenergie, deren Kosten sich stark reduziert haben und die grundsätzlich in großer Menge europaweit verfügbar und verteilbar wären. Das so entstehende Stromsystem würde anders funktionieren als das bisherige.

Wind und Solaranalagen erzeugen nicht in allen Stunden des Jahres Strom, sodass es Stromspeicher wie Batterien und Wasserstoff braucht. Zudem braucht es Anreize für Stromkunden, ihr E-Auto etwa dann zu laden, wenn gerade genug günstiger Strom im Netz ist. Dies benötigt smarte automatisierte Steuerungsmechanismen der Stromverteilung und Stromnachfrage. Dann könnten diese Mechanismen aber langfristig eine äußerst kostengünstige, importunabhängige und nachhaltigen Energieversorgung ermöglichen.

Was muss die Politik beachten?

Für politische Entscheidungen wird es wichtig sein, die unterschiedlichen Rollen von Elektrifizierung und Wasserstoff zu berücksichtigen. Sinnvolle Schritte in diese Richtung sind zum Beispiel das EU-weite Ende der Neuzulassungen von Verbrennern im PKW-Bereich ab 2035 oder die verpflichtende E-Fuel Quote im EU-Flugverkehr ab 2030.

Gleichzeitig benötigt es einen Markthochlauf für die Produktion von grünem Wasserstoff, der bisher nur in sehr geringen Mengen verfügbar ist, da Wasserstoff bisher hauptsächlich aus Erdgas hergestellt wird. In dieser unsicheren Anfangsphase können gezielte Subventionen durch die Politik als Übergangslösung hilfreich sein.

Mittelfristig ist jedoch vor allem ein steigender CO2-Preis zentral, der fossile Energie verteuert und so den Weg für erneuerbare Energien freimacht. Die Energiewende als Ganzes kann nur gelingen, wenn genügend ökonomischer Druck aufgebaut wird, der die Abkehr von fossilen Energien erzwingt. So kann über Elektrifizierung und in einzelnen Bereichen auch über Wasserstoff der Umstieg auf eine klimafreundliche und erneuerbare Energieversorgung erfolgen.

Literatur:

Die aktuelle Studie von Felix Schreyer et al.: Distinct roles of direct and indirect electrification in pathways to a renewables-dominated European energy system.

Silvia Madeddu et al.: The CO2 reduction potential for the European industry via direct electrification of heat supply

Jan Rosenow: Is heating homes with hydrogen all but a pipe dream? An evidence review

Patrick Plötz: Hydrogen technology is unlikely to play a major role in sustainable road transport

Agora Energiewende: Erdgaseinsparung und Klimaschutz in der Industrie

Ariadne Projekt: Durchstarten trotz Unsicherheiten. So müsste eine anpassungsfähige Wasserstoffstrategie aussehen

Weitere Beiträge zum Thema auf unserem Blog:

Wie Dekarbonisierung die Geografie der industriellen Produktion verändert von Laima Eicke et al., RIFS

Energiewende in Europa: Wasserstoff- und Stromnetze kombinieren von Dr. Fabian Neumann, TU Berlin

Wasserstoffwirtschaft: Chancen und Herausforderungen für die Nachhaltige Soziale Marktwirtschaft von Dr. Theiß Petersen, Bertelsmann Stiftung



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