Produktivitätsdialog: Das „Geschäftsmodell Deutschland“ in der Energiekrise

Claudia WiggenbrökerFreie Wirtschaftsjournalistin

Am Donnerstag fand der vierte Produktivitätsdialog statt – und damit der dritte in Krisenzeiten. In diesem Jahr sei die „Ausnahmesituation“ die Energiekrise, so „Wirtschaftsweiser“ Achim Truger zum Auftakt der Veranstaltung. Das Gutachten „Wettbewerbsfähigkeit in Zeiten geopolitischer Veränderungen“ betont unter anderem, dass die deutsche Wettbewerbsfähigkeit „entscheidend“ davon abhängen wird, ob es gelingt, die Abhängigkeiten in den Liefer- und Wertschöpfungsketten zu reduzieren.

An der Rezession vorbeigeschrappt

Es sei eine Zeit „sich überlagernder Krisen“, sagte auch auch Staatssekretär Dr. Jörg Kukies in einer Keynote. Deutschland habe aber, unter anderem mit Entlastungspaketen, gut darauf reagiert und es geschafft, 2022 eine Rezession zu vermeiden. Auch die Ausblicke für die beiden folgenden Jahre seien vorsichtig optimistisch. Auch der Arbeitsmarkt verzeichne Beschäftigungsrekorde.

„Die harten Fakten sehen gar nicht so schlecht aus.“

Staatssekretär Dr. Jörg Kukies

Nun dürfe man aber langfristige Wachstumsdynamiken nicht aus den Augen verlieren. Dazu gehöre vor allem, mehr in Innovationen, Forschung und Start-ups zu investieren. Ein weiterer wichtiger Punkt sei die Stärkung der Resilienz. Während Corona habe man gesehen, wie Lieferketten zusammenbrachen. Man wolle nicht protektionistisch werden, aber unabhängiger.

Es sollen mehr Freihandelsabkommen geschlossen, aber die eigenen Standards – zum Beispiel zur Umwelt – dabei nicht aus den Augen verloren werden. Ferner wolle man die Zuwanderung von qualifizierten Fachkräften erleichtern, unter anderem dadurch, dass der Zugang zu Visa erleichtert wird. Zugleich wolle man mehr Frauen für MINT-Berufe begeistern und mehr Hauptschulabgänger in Ausbildungen bringen. Diese Ineffizienzen im Arbeitsmarkt müssten beseitigt und Potentiale genutzt werden.

Energieversorgung in der Industrie

Was machen die hohen Energie-Preise mit der deutschen Industrie, mit dem „Geschäftsmodell Deutschland“? Diese Frage stellte Sachverständige Monika Schnitzer zu Beginn eines Impulsvortrags. Zwar werden sich die Preise 2024 einpendeln, so Schnitzer – allerdings auf höherem Niveau.

Um mit dieser Veränderung umzugehen und die Produktivität zu steigern, brauche es langfristig vor allem Instrumente der Innovationspolitik, so Schnitzer. Unter anderem könnten für innovative Produkte höhere Preise verlangt werden. Zudem müssten technologische Umstellungen in der Industrie unterstützt und regulatorische Hürden für neue Produkte abgebaut werden.

Neben einem niedrigeren Energieverbrauch sei auch ein höheres Energieangebot nötig. Man müsse Anreize für mehr Energieeffizienz bei Unternehmen und privaten Haushalten setzen, beispielsweise auch über den CO2-Preis. Es dürfe dann aber nicht passieren, dass Menschen auf grünen Strom umsteigen wollen und diesen dann nicht erhalten können.

„Wir müssen dafür sorgen, dass diese Lenkungswirkung nicht ins Leere läuft.“

Prof. Dr. Dr. Monika Schnitzer, Sachverständigenrat

Wie steht es um den Ausbau der Energieinfrastruktur?

„Es ist vieles auf den Weg gebracht worden“, so Klaus Müller, Präsident der Bundesnetzagentur. „Aber es reicht nicht.“ Man werde darauf angewiesen sein, Gas-Zuflüsse aus anderen Ländern wie Belgien auszubauen. Zudem gelte nach wie vor das „Mantra“, den Energie-Verbrauch um 20 Prozent zu senken.

„Der Ausbau der Erneuerbaren muss in einem Tempo stattfinden, wie wir es bisher nicht kennen“, forderte Kerstin Andrae. Sie ist  Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft. Aber: Man habe enorme Sorgen in Bezug auf ausreichende Flächen, Materialien und Fachkräfte.

Der Sachverständigenrat fordert für den Ausbau der Energieinfrastruktur vor allem ein gemeinsames Vorgehen der EU-Mitgliedsstaaten. So sollten europäische Kooperationen bei der Förderung von Erneuerbaren ausgeweitet und Planungsprozesse innerhalb der EU zusammengeführt werden.

Ferner sei die Zertifizierung von Strom oder Wasserstoff als erneuerbar oder grün
bislang zu kompliziert. Der Aufbau eines Wasserstoffnetzes scheitere zudem an der Finanzierung und einer sinnvollen, einheitlichen Regulierung.

Lieferketten und Abhängigkeiten

Für die Sicherung der zukünftigen Wettbewerbsfähigkeit dürften die Anpassung bestehender sowie die Entwicklung neuer strategischer Allianzen von zentraler Bedeutung sein

Aktuelle Herausforderungen für die deutsche Wettbewerbsfähigkeit, so Wirtschaftsweise Veronika Grimm, seien unter anderem eine Importabhängigkeit bei vielen Produkten. Vor allem bei Produkten aus dem Technologie- und Gesundheitsbereich gebe es Abhängigkeiten sowie bei kritischen Rohstoffen. Vor allem von China sei man hier abhängig.

Deutschland müsse mehr diversifizieren und sich aus Abhängigkeiten herausarbeiten, so Grimm. Zudem könnten auch innerhalb von Deutschland Rohstoffe abgebaut werden. Ferner müsse Recycling stärker in den Fokus rücken.

Um die Herausforderungen der Zeit anzugehen, würden Kooperationen generell immer wichtiger – auch mit „unfreundlichen“ Staaten. Man dürfe sich nicht erneut in Abhängigkeiten begeben. Europa müsse seine strategische Autonomie stärken. Dazu sollten die Nationen auch untereinander verstärkt Kooperationen eingehen und gemeinsam auf dem Beschaffungsmarkt agieren.

Hintergrund zum Produktivitätsdialog

Vor dem Hintergrund stagnierender Produktivitätsentwicklung in fast allen entwickelten Volkswirtschafen wurde auf Vorschlag der Europäischen Kommission in jedem Land der Eurozone ein so genanntes „National Productivity Board“ eingerichtet.

In Deutschland hat der SVR diese Rolle übernommen. Seither wird der herkömmliche Jahresbericht des SVR durch einen Produktivitätsbericht ergänzt. Dessen Ergebnisse werden beim jährlichen „Nationalen Produktivitätsdialog“ präsentiert und diskutiert.

Weitere Beiträge zum Thema auf unserem Blog:

Energiekrise = Energiewende? von Dr. Florian Egli, ETH Zürich

Maßnahmen zur Reduktion des Energieverbrauchs als Strategie gegen Energieversorgungsknappheit von Jonathan Barth und Lydia Korinek, ZOE

Produktivitätsdialog: Die Corona-Krise und der Strukturwandel von Claudia Wiggenbröker, freie Journalistin



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