Energiekrise: „Energiearmut stand lange nicht auf der Agenda“
Im Zuge der derzeitigen Energiekrise kommt der Begriff Energiearmut häufiger auf. Doch was bedeutet er genau? Und helfen die Entlastungspakete des Bundes den Betroffenen?
Dr. Katja Schumacher ist stellvertretende Leiterin des Bereichs Energie & Klimaschutz am Öko-Institut in Berlin. Im Interview erläutert sie, was gegen Energiearmut getan werden sollte.
Was beinhaltet der Begriff Energiearmut genau?
Der Begriff wurde in Großbritannien geprägt. Man versteht darunter, dass Haushalte nicht in der Lage sind, ihre Energie-Bedürfnisse zu decken. Zum Beispiel, weil sie ihre Wohnung nicht angemessen heizen können. Oder weil sie nicht genug Strom nutzen können, um zu kochen, zu waschen oder ihren Medienbedarf zu stillen. Die Folge ist meist, dass Haushalte sich verschulden, nicht angemessen heizen können oder sogar Gas- und Stromsperren erfahren.
Sind manche Bevölkerungsgruppen eher von Energiearmut betroffen als andere?
Haushalte, die von Energiearmut betroffen sind, befinden sich häufig in einer finanziell angespannten Situation. Aber: Man kann Energiearmut dennoch nicht auf den Aspekt Einkommen beschränken. Das würde zu kurz greifen. Denn nicht alle Haushalte mit finanziellen Problemen sind auch gleichzeitig energiearm. Neben dem Einkommen spielen noch folgende Fragen eine Rolle:
- Leben die Betroffenen in energie-ineffizienten Gebäuden?
- Haben sie einen hohen Verbrauch? Zum Beispiel, weil sie viel Zuhause sind? Oder weil sie energie-ineffiziente Geräte nutzen? Oder ihr Warmwasser dezentral über einen Durchlauferhitzer oder Boiler aufbereiten?
- Steigen die Energiepreise?
Energiearmut stand lange in Deutschlannd nicht auf der Agenda, weil wir ein gutes Transferleistungssystem haben. Unter den Betroffenen gibt es aber viele Haushalte mit geringem Einkommen, die einen Anspruch auf Transferleistungen hätten – und diese nicht beantragen. Wohngeld beispielsweise wird oftmals nicht in Anspruch genommen.
Daher ist das Thema Energiearmut, verstärkt durch die Energiekrise, in Deutschland relevant.
Dr. Katja Schumacher
Weil die Hürden, um Transferleistungen zu beantragen, teils hoch sind: Man muss wissen, dass man die Leistungen beantragen kann. Man muss verstehen, was von den Ämtern gewünscht wird und die nötigen Informationen bereitstellen. Auch Sprachbarrieren und Scham spielen eine Rolle.
Darüber hinaus gibt es viele Haushalte, die gerade so viel verdienen, dass sie keine Transferleistungen beziehen können, aber eben doch zu wenig Geld haben, um ihre Bedürfnisse bei steigenden Kosten zu decken.
Zu den konkreten Gruppen, die häufig von Energiearmut betroffen sind, zählen vor allem auch Rentner und Alleinerziehende. Gerade Rentner und Rentnerinnen haben oftmals wenig Geld, verbringen viel Zeit zu Hause und haben ein größere Wärmebedürfnis.
Wie beurteilen Sie bislang vom Bund ergriffene Hilfsmaßnahmen in der Energiekrise?
Wir haben gerade eine Analyse zu den Verteilungswirkungen der Entlastungspakete gemacht. Die Frage war, ob sie als sozial gerecht und nachhaltig eingeschätzt werden können. Die ersten beiden Entlastungspakete wurden dafür kritisiert, dass sie nicht zielgerichtet genug waren. Darauf wurde im dritten Entlastungspaket reagiert. Beispielsweise mit Zuschüssen für Rentner, Studierende oder Transferleistungsempfangende.
Aber das meiste Geld fließt nach wie vor in Hilfen, die sehr pauschal wirken. Zum Beispiel die Mehrwertsteuersenkung auf Gas. Durch solche Maßnahmen werden Gelder für Haushalte ausgegeben, die durch die höheren Kosten nicht sonderlich betroffen sind und eigentlich keine Entlastungen brauchen. Ähnlich sieht es bei der Strom- und Gaspreisbremse aus. Davon profitieren Haushalte mit hohem Verbrauch, die zumeist auch viel Einkommen haben. Zwar müssen die Hilfen ab einem gewissen Einkommen versteuert werden, aber die Grenze ist hier hoch. Die Haushalte, die wenig verbrauchen, profitieren dagegen weniger. Dabei wäre es essentiell für sie, da für sie die Belastung sehr hart ist.
Auch die EU hat bereits kritisiert, dass die deutschen Entlastungen nicht zielgerichtet und effizient stattfinden. Dabei haben andere Länder recht ähnliche Ansätze gewählt. Aber: Sie entlasten viel weniger. Nach Recherchen des Instituts Bruegel wird innerhalb der EU mit rund 573 Milliarden Euro entlastet, allein 264 Milliarden Euro davon entfallen auf Deutschland. Es gab auch Kritik daran, dass deutsche Unternehmen Hilfen erhalten werden. Sie haben dadurch gegenüber anderen EU-Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil.
Kritisch sehen wir, dass die Erhöhung der CO2-Bepreisung verschoben wurde. Das ist ein falsches Signal für den Klimaschutz und bewirkt wenig in Bezug auf Entlastungen. So fehlen zudem Gelder – der CO2 Preis führt zu Einnahmen, die an HH zurückverteilt werden und sozialen Ausgleich schaffen können.
Was sollte man stattdessen tun?
Der Schwerpunkt sollte mehr auf Energieeffizienz und dem Wechsel der Energieträger hin zu erneuerbaren Energien gelegt werden, um den Verbrauch zu senken. Denn nur wenn wir weniger verbrauchen, können wir resilienter gegenüber Energiepreisschwankungen werden.
Zumal jede nicht-verbrauchte Kilowattstunde die günstigste ist. Für das Portemonnaie, aber auch für das Klima. Doch von einer Senkung des Verbrauchs war nur im ersten Entlastungspaket konkret die Rede. Beispielsweise wurde darin die Kampagne zur Energieeffizienz angekündigt.
Es wäre aber wichtig, dass alle Entlastungspakete eine sichere, nachhaltige und kostengünstige Energienutzung anregen.
Dr. Katja Schumacher
Die Gas- und Wärmekommission, die im Rahmen des dritten Entlastungspakets gebildet wurde, hat dies in ihrem Abschlussbericht aufgegriffen, bezeichnet Energiesparen sehr treffend als „sinnvollste Energiequelle“ und formuliert konkrete Vorschläge zur Energieeinsparungen.
Wenn wir diese Punkte schon vor Jahren angegangen wären, wie aus Klimaschutzsicht gefordert, dann hätten wir jetzt keine Belastungskrise. Das gilt unter anderem auch für den Gebäudesektor. Er hat das Sektorziel 2021 aus dem Klimaschutzplan um 2 Millionen Tonnen CO2 verfehlt.
Also sind energetische Sanierungen das Mittel gegen Energiearmut?
Sie sind ein wichtiger Punkt. Hier sind die wichtigste Stellschrauben, um sowohl etwas für den Klimaschutz als auch gegen Energiekostenbelastung zu tun, Mindesteffizienz-Standards für Gebäude. Die Gebäude mit dem schlechtesten Standard müssten dann zuerst saniert werden – „worst first“.
Auch die Umstellung von Heizungen spielt eine wichtige Rolle. Es gibt Bestrebungen, dass jede neu eingebaute Heizung ab 2024 mit einem Mindestanteil von Erneuerbaren Energien heizen muss.
Wir müssen nun Sanierungsprogramme, die schon lange existieren, schneller in die Umsetzung bringen. Hier fehlen allerdings Fachkräfte. Daher brauchen wir Qualifikationsprogramme.
Es gibt noch ein weiteres Problem: 90 Prozent der einkommensschwache Haushalte wohnen zur Miete. Sanieren Vermieterinnen und Vermieter energetisch, können 8 Prozent der Kosten nach aktuellem Mietrecht jährlich auf die Miete umgelegt werden. Zwar sinken die Energiekosten, aber nicht immer im gleichen Maße. Um die Kosten für Mietende zu begrenzen, sind möglicherweise Hilfsmaßnahmen nötig.
Ein wichtiger Aspekt ist, dass die Miete nicht so stark steigt, wenn Vermietende Förderungen in Anspruch nehmen. Denn diese sind von den umlegbaren Kosten abzuziehen. Allerdings ist das oftmals wenig attraktiv für Vermietende. Hier fehlen Anreize, die Förderantragsbürokratie anzugehen. Ferner müssen mehr Anreize gesetzt werden, überhaupt zu sanieren – und zwar auf einem ambitionierten Niveau.
Gibt es Lösungen in anderen Ländern, an denen wir uns ein Beispiel nehmen können?
Wir sind im Hinblick auf zielgruppenspezifische Programme in Deutschland bisher sehr dünn aufgestellt. Wir streuen Hilfsangebote sehr in die Breite. Aber energiearme Haushalte müssen zugeschnittener beraten werden. Wir brauchen also Programme, die gezielt Haushalte mit wenig Einkommen ansprechen. Vor allem weil wir wissen, dass Haushalte mit wenig Einkommen eher in älteren Gebäuden leben. Und das sind, sofern sie noch nicht saniert, zumeist die Gebäude mit hohem Energieverbrauch. Da gibt es in anderen Ländern schon mehr Ansätze.
In Österreich gibt es zum Beispiel das Programm „Sauber Heizen für Alle„. Damit werden in Haushalten mit geringem Einkommen energieeffiziente Heizungen mit hohen Sätzen gefördert Oder das Programm MaPrimeRénov‘ Sérénité in Frankreich, das Haushalte mit wenig Einkommen nicht nur durch höhere Förderung unterstützt, sondern gleich auch Beratung und Hilfestellung bei der Durchführung bietet.
Ein anerkanntes und spezifisches Programm gibt es in Deutschland aber: den Stromspar-Check. Er wird vom Caritasverband und den Energie- und Klimaschutzagenturen Deutschlands durchgeführt und durch die Nationale Klimaschutzinitiative gefördert. In dem Programm werden Langzeitarbeitslose zu Energieberatenden ausgebildet. Sie gehen dann in einkommensschwache Haushalte, um Tipps zum Strom-, Wärme- und Wassersparen zu geben. Teils sind Energiekosteneinsparungen von bis zu 200 Euro im Jahr möglich. Die Berater bringen auch Soforthilfen mit, zum Beispiel LED-Lampen, Steckerleisten oder Thermostopps.
Das Problem ist, dass die Förderungen jeweils zeitlich begrenzt ist. Es ist also schwierig, die Fortsetzung der Programme zu garantieren. Wenn diese gesichert, die Programme sogar ausgeweitet würden – dann wäre das ein echter Gewinn zur Begrenzung von Energiearmut in Deutschland.
Weitere Beiträge zum Thema auf unserem Blog:
Energiekrise = Energiewende? von Dr. Florian Egli, ETH Zürich
Wenn nicht jetzt, wann dann – wie die Energiewende gelingen kann von Dr. Berit Erlach und Dr. Cyril Stephanos, ESYS
Maßnahmen zur Reduktion des Energieverbrauchs als Strategie gegen Energieversorgungsknappheit von Jonathan Barth und Lydia Korinek, ZOE
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