Wärmewende

Schlafende Riesen wecken: Digitale Schnittstellen und ihr Potenzial für die Wärmewende  

Christoph Speiser-TochtropWuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie
Aileen ReichmannWuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie
Prof. Dr. Christa LiedtkeWuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie

Die Wärmewende hinkt hinterher. Während die Stromwende sichtbare Fortschritte erzielt hat, besteht im Wärmesektor weiterhin großer Handlungsbedarf, um fossile Energieträger zu ersetzen und den Energiebedarf zu dekarbonisieren und zu dematerialisieren.

In der aktuellen Umsetzungsphase der Energiewende geht es dabei nicht allein um technische Innovation – für die Umsetzung einer sozial-ökologischen Transformation sind Akzeptanz, Transparenz und Teilhabe entscheidend. Daher gilt es, Nutzende frühzeitig zu beteiligen und ihre Perspektiven einzubringen.

Im Forschungsprojekt Smart User Interfaces untersuchten wir gemeinsam mit der Technischen Hochschule Köln und dem Europäischen Bildungszentrum der Wohnungswirtschaft (EBZ), wie digitale Nutzendenschnittstellen die Wärmewende in Wohngebäuden unterstützen können. Dabei legten wir einen Fokus auf den Mietsektor.

Smarte Technik und digitale Heizenergie-Feedbacks im Alltagstest

Im Rahmen des Projekts wurde ein Living Lab in einem Mehrfamilienhaus aufgebaut – dabei wurden smarte Thermostate verbaut, welche Raumklimadaten und Informationen zu Heizzeiten erhoben. Diese wurden gemeinsam mit Heizkosteninformationen als Feedback an die Mietenden zurückgespielt. Ergänzend wurden zwei Onlinebefragungen im Februar 2024 und April 2025 unter Mietenden in Deutschland durchgeführt.

Die Ergebnisse des Projekts zeigen: Digitale Feedbacksysteme sind ein wichtiger Schlüssel für die partizipative Wärmewende – sie eröffnen Nutzenden neue Mitbestimmungsmöglichkeiten, stellen aber gleichzeitig Anforderungen an Bedienbarkeit und Transparenz.

So müssen etwa Aspekte wie Nachtabsenkung, die Vermeidung von Überversorgung in allen Räumen und eine klare Verbrauchstransparenz berücksichtigt werden, damit Nutzende aktiv am System teilnehmen können, statt es frustriert zu meiden.

Dies verdeutlicht den Bedarf, Mensch-Technik-Schnittstellen gezielt zu gestalten, damit die eingesetzte Technologie intuitiv, nachvollziehbar und nutzerfreundlich ist.

Mensch-Technik-Schnittstellen als Schlüssel zur Effizienz

Neben der Technik zur Wärmeerzeugung – die heute noch überwiegend auf Gas basiert – liegt großes Potenzial auf der Verbrauchsseite. Selbst die effizienteste Heiztechnik kann ihre Wirkung nicht entfalten, wenn sie in einem System eingesetzt wird, das ihre Effizienz nicht unterstützt.

Die Nutzenden sind dabei eine zentrale Akteursgruppe, doch nicht die einzige: Designer:innen, Herstellende, Handwerker:innen und Nutzende tragen gemeinsam zur Systemeffizienz bei.

Digitale Feedbacksysteme setzen an der Schnittstelle zwischen Mensch und Technik an. Sie helfen Endverbraucher:innen, den eigenen Energieverbrauch besser zu verstehen und gezielt mit der Technik zu interagieren. Gleichzeitig fördern sie die Abstimmung zwischen allen Beteiligten, sodass das gesamte System effizienter und nachhaltiger arbeitet.

Energiefeedback verständlich gestalten

Ein wesentliches Problem in der Gestaltung von Energiefeedback: Information über Energieverbrauch wird heute aus einer vorwiegend technischen Perspektive betrachtet bzw. aus Gründen der Abrechnung durchgeführt – die Aufbereitung der Informationen ist nicht bedarfsgerecht für die Menschen, die sie nutzen sollen und intendiert auch keine Hinweise für effektiveres oder effizienteres Verhalten.

Die Rückmeldung über den Heizenergieverbrauch eines Haushaltes erfolgt jährlich und in starren Angaben wie Kilowattstunden. Es gibt wenig bis keine Informationen, ob dies nun ein besonders hoher Energieverbrauch ist und welche Maßnahmen umgesetzt werden könnten, diesen eventuell zu optimieren.

Mit der unterjährigen Verbrauchsinformation (UVI) gibt es Ausnahmen. Laut unseren Umfrageergebnissen bekommen nur rund 27 Prozent der Mietenden eine UVI. Wie leicht verständlich und handlungsermächtigend diese dann ist, bleibt allerdings fraglich.

Besonders Mietende in Mehrfamilienhäusern haben nur begrenzte Eingriffsmöglichkeiten, etwa bei Gebäudedämmung oder Heizanlagen. Heizenergie ist für sie selten ein Thema des Alltags – solange es warm, genug und bezahlbar ist, fehlt der Anstoß zur vertieften Auseinandersetzung. Hier bedarf es einer intuitiven Darstellung, welche Handlungsspielräume im Nutzendenverhalten in der täglichen Interaktion stecken und dass das Nutzen der Spielräume einen signifikanten Einfluss auf den Energieverbrauch hat.

Die wiederholt hervorgebrachte Behauptung, Mietende hätten wenig Interesse, ihren Energieverbrauch anzupassen, bestätigte sich in unseren Umfragen nicht: Dort zeigte sich, dass Energiekosten ein relevantes Thema für die überwiegende Mehrheit sind. Ziel der Gestaltung von Energiefeedback muss daher sein, Energieinformationen leicht verständlich und alltagstauglich aufzubereiten – ohne dabei an Substanz zu verlieren.

Automatisierung oder Selbstwirksamkeit?

Smarte Thermostate können, im Zusammenspiel mit der optimierten Einstellung der Heizungsanlage, die Heiztechnik um bis zu 30 Prozent effizienter machen (im Mittel 10 bis 15 Prozent). In der Praxis werden diese Potenziale jedoch häufig nicht genutzt – manchmal steigt der Verbrauch sogar.

Rebound-Effekte entstehen zum Beispiel, wenn zuvor unbeheizte Räume tagsüber automatisch erwärmt oder die Heizung aus der Ferne hochgedreht wird, statt erst bei Ankunft. Technologien allein sind also nicht der Schlüssel: 

Um die Effizienzpotenziale der Wärmewende zu realisieren, müssen Nutzende ihre Handlungsmöglichkeiten kennen, sodass sie ihr Verhalten teilweise anpassen und neue, bedarfsgerechte sowie nachhaltige Routinen entwickeln können.

In den Befragungen zeigt sich, dass die sogenannte Selbstwirksamkeit hierbei ein Schlüsselmoment darstellen kann: Wer sich selbstwirksam fühlt, also überzeugt ist, durch eigenes Verhalten Einfluss zu nehmen, ist eher bereit, energiesparende Maßnahmen umzusetzen.

Automatisierung sollte daher unterstützen, nicht ersetzen. Interfaces müssen nachvollziehbar bleiben und Handlungsspielräume aufzeigen – so wird aus Information Transformation.

Lebensrealitäten anerkennen

Wärmebedarf variiert – je nach Lebensstil, Geschlecht, persönlichen Vorlieben, Arbeitszeitmodell oder Haushaltsstruktur. So beeinflussen etwa Schichtarbeit, Homeoffice oder ein 9‑to‑5‑Rhythmus das Heizverhalten erheblich.

Feedbacksysteme müssen diese Unterschiede abbilden und individuelle Einstellungen ermöglichen. Ziel ist kein „normiertes Idealverhalten“, sondern ein bedarfsgerechtes Raumklima mit möglichst geringem Energieverlust.

Maßgeblich ist, ob sich die Nutzenden im Raum wohlfühlen – erst dann kann der Service als wirklich energie- und ressourceneffektiv gelten. Neben dem physikalischen Blick auf Wärmeübertragung und -isolierung lohnt daher auch die Perspektive auf die Nutzung: Trägt die eingesetzte Energie zum Wohlbefinden der Mietenden bei oder geht sie am Bedarf vorbei und ist damit „verloren“?

Zwischen Pragmatismus und Inspiration

Feedbacksysteme sind auch Kommunikationsmittel. Sie beeinflussen, wie Menschen Informationen aufnehmen, interpretieren und ob sie sich angesprochen fühlen. Ein funktionales, nüchternes Interface bietet Klarheit, aber oft wenig emotionale Ansprache. Umgekehrt kann eine inspirierende Gestaltung Identifikation fördern.

Die ideale Lösung kombiniert Prägnanz mit visueller Attraktivität. So wird nachhaltiges Verhalten sowohl rational begründet als auch emotional verankert.

Zwischen Verständlichkeit und Genauigkeit: Zusammenspiel von Technik, Kommunikation und Nutzenden

Digitale Heizenergie-Feedbacks sollen den Nutzenden nicht nur zeigen, wie viel Energie sie verbrauchen, sondern auch, welchen Spielraum sie zur Veränderung haben. Dabei entsteht ein Spannungsverhältnis:

Nutzendenzentrierte Betrachtung:  Einfach zu verstehendes Feedback mit kurzen Informationen und Nutzende, die informierte Entscheidungen selbstständig treffen.

Technische Optimierung: Ein auf der technischen Ebene optimierter Prozess, der Feedback beschränkt sich auf die Zusammenfassung von Daten. 

Ein Beispiel: Balkendiagramme sind leicht zu verstehen und haben einen hohen Wiedererkennungswert. Aber ihre Aussagekraft ist recht beschränkt: Sie können meist nur die Botschaft übermitteln, ob jemand mehr oder weniger verbraucht hat.

Komplexere Abbildungen, Grafiken oder Diagramme können mehr Informationen vermitteln, sind aber häufig komplizierter und erfordern Zeit zum Erschließen und manchmal auch Expert:innenwissen für die Interpretation. Die Lösung liegt in einem modularen Design: einfache Übermittlung der wichtigsten Informationen für alle, welche optional durch vertiefende Inhalte für Interessierte ergänzt werden.

Ressourceneffizienz bei digitalen Lösungen

Digitale Technik verursacht Ressourcenverbrauch – durch Sensorik, Steuerung und eventuell zusätzliche Displays. Dieser „digitale ökologische Rucksack“ ist nicht zu vernachlässigen. Gleichzeitig ermöglichen genau diese Systeme erhebliche Energieeinsparungen.

Deshalb gilt: So wenig Technik wie möglich, so viel wie nötig. Der ökologische Mehrwert entsteht nicht durch maximale Digitalisierung, sondern durch gezielte, zweckgebundene Lösungen.

Digitalisierung als Chance – aber nicht ohne Vertrauen

Digitale Services basieren auf Daten – doch Vertrauen in deren Nutzung ist entscheidend. Die Projektergebnisse zeigen: Akzeptanz hängt stark vom Datenschutzempfinden ab. Wird der Umgang mit Daten als intransparent oder übergriffig empfunden, sinkt die Offenheit drastisch.

Besonders sensible Raumklimadaten aus Wohnräumen können – bei geschickter Interpretation – Rückschlüsse auf Tagesabläufe, Gewohnheiten oder Anwesenheit erlauben. Deshalb sind Datensparsamkeit, transparente Verarbeitung und echte Nutzungsrechte zentrale Voraussetzungen für digitale Energiedienste.

Tabelle 1: Tabelle 1: Die drei Dimensionen des normativen Kompasses und Kriterienvorschläge (übernommen aus Wohlstand in Zeiten des Übergangs, S. 430: Quellen dort benannt: WBGU 2019: S. 35 ff.; nachhaltig digital agieren 2021: S. 8)

Zielkonflikte verstehen und Lösungswege gestalten

Das Projekt Smart User Interfaces zeigt beispielhaft, wie komplex die Anforderungen an digitale Nachhaltigkeitslösungen sind. Schnittstellen sind keine neutralen Werkzeuge – sie sind Aushandlungsorte für ökologische, soziale und technische Ziele.

Tabelle 2: Beispielhafte Zielkonflikte

Diese Konflikte lassen sich nicht auflösen – aber gestalten. Genau darin liegt das transformative Potenzial digitaler Interfaces. Optimalerweise fördern digitale Interfaces zwischenmenschliche Beziehungen. Anstatt die Heizungssteuerung durch Automatisierung vom Menschen zu entkoppeln, können sie den Austausch unterstützen – etwa indem Mitbewohner*innen oder Besucher*innen ihre Wärmebedürfnisse aufeinander abstimmen.

Fazit: Schnittstellen für eine gerechte Transformation

Die Wärmewende braucht mehr als neue Heizsysteme – sie braucht soziale Innovation. Digitale Schnittstellen können Menschen motivieren, informieren und zur aktiven Mitgestaltung befähigen. Unsere Forschung zeigt: Wenn digitale Systeme nicht nur technisch funktionieren, sondern auch menschlich anschlussfähig sind, werden sie zu Werkzeugen einer nachhaltigen und gerechten Zukunft.

Digitale Schnittstellen dienen dann nicht nur der Informationsübertragung, sondern verbinden Menschen in einer sozialen und ökologischen Gesellschaft, in der Wohlstand gemeinsam gestaltet wird.

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