Energie

Dynamische Stromtarife für private Haushalte: ein Ausdruck von Hilflosigkeit?

Prof. em. Dr.-Ing. Markus LöfflerWestfälisches Energieinstitut

Im Juli 2024 veröffentlichte das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz das Dossier Strommarktdesign der Zukunft: Optionen für ein sicheres, bezahlbares und nachhaltiges Stromsystem. Eingeführt werden soll ein Kapazitätsmarkt zur Finanzierung künftig nur unwirtschaftlich zu betreibender Gerätschaften, zum Beispiel thermischer Kraftwerke. Zudem sollen die Stromverbraucher mittels dynamischer Stromtarife dazu motiviert werden, einem wettergeführten Stromversorgungssystem als Regelglied zu dienen.

Durch Befassung mit dem Thema Dynamische Stromtarife und mit weiteren Themen der Energiewende komme ich zu dem Schluss, dass es sich hierbei um kaschierte Stromrationierungsmaßnahmen handelt; ein klarer Hinweis auf strukturelle Probleme im deutschen Energiesektor. Doch welche Probleme der Energiewende könnten hiermit überhaupt gelöst werden? Und welchen Anteil könnten private Haushalte dabei haben?

Deutschlands Primärenergiebedarf

Sei zunächst der für das Jahr 2045 erwartete Primärenergiebedarf Deutschlands mittels einiger Circa-Eckwerte betrachtet:

  • Bruttostrombedarf: 1000 TWh/Jahr (davon 170 TWh/Jahr für nationale Wasserstofferzeugung)
  • Wasserstoffbedarf:  900 TWh/Jahr davon 110 TWh/Jahr aus nationaler Erzeugung
  • Sonstiges, z.B. Umweltwärme, Holz: 400 TWh/Jahr (eigene Schätzung)

In der Summe betrüge der Primärenergiebedarf 2045 somit 2.300 TWh im Jahr.

Diesem Primärenergiebedarf stünde ein projektierter Strombedarf privater Haushalte von 165 TWh/Jahr gegenüber. Dies sind 7,7 Prozent des gesamten Primärenergiebedarfs. Sollten sich 15 bis 30 Prozent des Haushaltsstromes strompreismotiviert um einige Stunden verschieben lassen, ließen sich mit dieser Maßnahme vielleicht 1,1 bis 2,2 Prozent des künftigen Gesamtenergiebedarfs händeln.

Welche Probleme könnten hiermit gelöst werden?

Genannt werden Probleme des Netzausbaus und der Stromspeicherung. Bekannt ist, dass das Stromnetz inklusive aller Apparate auf allen Ebenen leistungsmäßig mindestens verdoppelt werden muss. Dies liegt daran, dass statt der Spitzenlast von derzeit 80 GW eine Spitzenlast von über 150 GW im Jahr 2045 zu erwarten ist. Dies lässt sich durch dynamische Stromtarife auch dann nicht vermeiden, wenn sich der gesamte Stromverbrauch, private Haushalte zuzüglich Gewerbe, Dienstleistungen, Handel, Industrie und Verkehr, flexibilisieren ließe.

In meiner Studie zeige ich anhand grundsätzlicher Leistungsbetrachtungen, dass der Eingriff in Lebens- und Arbeitsabläufe durch wetterkonformes Handeln so gravierend sein dürfte, dass die Stromverbraucher „freiwillig“ auf Speicherlösungen zurückgreifen werden, individuell oder über entsprechende Entitäten.

Derartige Speicherlösungen, im Netzentwicklungsplan 2025 werden bereits 380 GWh Kleinbatteriespeicher und 280 GWh Großbatteriespeicher antizipiert, sind allein schon zur Abfederung der zu erwartenden 260 GW Spitzeneinspeisung durch PV-Anlagen erforderlich. Aufgrund Ressourcenmangels – Personal, Material, Budget – dürfte all dies bis 2045 kaum bewältigbar sein. Darüber hinaus wird das erforderliche Energiewende-Gesamtbudget je nach Couleur auf 5 bis 11 Billionen Euro geschätzt.

Beschaffung von Wasserstoff

Problematisch ist auch die externe Beschaffung von 790 TWh/Jahr Wasserstoff. Das Ausland müsste hierfür grünen Strom von 1.200 TWh/Jahr generieren, der anschließend in Wasserstoff umgesetzt würde. Also mehr als Deutschland für seinen eigenen grünen Strom erzeugen will. Entsprechende Investoren sind unbekannt.

Ich halte zur Wasserstoffspeicherung mindestens 100 TWh Wasserstoffspeicher für erforderlich. Hieraus sind dann 140 GW Wasserstoff-Kraftwerke zu versorgen, sofern deren Leistung nicht durch andere Kraftwerke bereitgestellt wird. Soll noch, wie bisher, eine nationale Energie- bzw. Wasserstoffreserve für 90 Tage vorgehalten werden, ergäben sich weitere 200 TWh. Gemäß Nationalem Wasserstoffrat fassen sämtliche deutschen Kavernenspeicher lediglich 33 TWh Wasserstoff. Der zwingend erforderliche Zubau an Wasserstoffspeichern ist nicht begonnen. Mit heute verfügbaren Firmen wird der Zubau vielleicht bis zum Jahr 2100 komplettiert werden können.

Keine unabhängige Energieversorgung in Sicht

Die Behauptung, dass man ab 2045 eine vom Ausland unabhängige Energieversorgung hätte, verfängt nicht. Kommen künftig nahezu sämtliche Rohstoffe, Halbzeuge und Vollapparate zur Darstellung von Windkraft-, PV-, Batterieanlagen und deren umfangreichen Peripherien sowie der Wasserstoff und seine Derivate aus dem Ausland, kann keinesfalls davon gesprochen werden.

Die Ambition, sich von Importen aus Russland zu lösen, führt zu neuen Abhängigkeiten. Der Ausschluss dieses potenten Anbieters mit entsprechender Angebotsverknappung dürfte kaum zur Verbesserung der globalen Wettbewerbssituation in Sachen Energiewende beitragen.

Problematische Abwicklung

Weitere Probleme ergeben sich aus der Abwicklung des Projekts Energiewende. Aus einer unveröffentlichten Studie des Autors ergeben sich z.B. folgende Auffälligkeiten:

  • unrealistische Zeit-/Budgetplanung
  • fehlende Präzision/Kohärenz bei der konkreten Umsetzung der Energiewende-Ziele
  • mangelhafte Kommunikation
  • unklare Zuständigkeiten
  • hohes Niveau der Missverständnisse zwischen isoliert agierenden Akteuren
  • Defizite bei der Rohstoffsicherung, Versorgungssicherheit und den sozialen Auswirkungen
  • ständiger Scope Creep, also eine schleichende Erweiterung des Projektumfangs
  • personelle Engpässe
  • Verwendung alter/unzulänglicher Tools
  • überbordende Verwaltungs-/Genehmigungsprozesse
  • Mangel an klaren Schnittstellen usw.

Jeder dieser Negativpunkte stellt für sich schon ein KO-Kriterium für die Energiewende als zielstrebiges, zeit- und budgetlimitiertes Projekt dar. Nach meiner Auffassung werden diese gravierenden Management-Defizite zur weiteren Verteuerung der Energiewende führen. Eine deutliche Verlängerung des Zeithorizonts über das Jahr 2045 hinaus ist unvermeidbar.

Verzettelt im Energiewende-Chaos

Bereits vor diesen Hintergründen stellt sich die Stromtarif-Dynamisierung lediglich als weiteres Mosaiksteinchen im skizzierten Energiewende-Chaos dar. Private Haushalte werden dieses durch wetterangepasste Stromverbräuche nicht beseitigen können.

Inwieweit die Stromverbrauchsflexibilisierung das Stromnetz ohne weitere Maßnahmen entlasten könnte, erschließt sich mir nicht: Nimmt man modellhaft an, dass zur Mittagszeit der niedrigstmögliche Stromtarif auftritt, werden zu diesem Zeitpunkt sämtliche Stromverbraucher ihren Vorteil wahrnehmen wollen und gleichzeitig ihre sämtlichen sinnvoll einsetzbaren Gerätschaften einschalten.

Wurden diese Gerätschaften bisher über den Tag oder über die Woche verteilt eingeschaltet, geschieht dies nunmehr synchron. Der entsprechende Gesamtstrombedarf steht dann gleichzeitig statt über einen bestimmten Zeitraum verteilt an. Tendenziell wird das Stromverteilnetz hierdurch ohne weitere Maßnahmen sogar eher über- statt entlastet.

Aufgrund der angerissenen Probleme stelle ich fest, dass die zu Beginn der Energiewende aufgrund mangelhafter Projektplanung nicht eingeplante Maßnahme Dynamische Stromtarife ein weiterer Hinweis darauf ist, dass sich die Energiewende-Akteure als Ausdruck ihrer Hilflosigkeit weiterhin verzetteln.

Die Frage „Und was nun?“ kann ich derzeit allerdings nur mit resigniertem Schulterzucken beantworten. Bestenfalls kann ich eine deutliche Entschleunigung der Energiewende empfehlen; dies mit dem Zeithorizont 2080 und darüber hinaus.

Weitere Beiträge zum Thema auf unserem Blog:

Regionalisiertes Klimageld: Entlastung in ländlichen Räumen, doch Probleme bleiben von Dr. Renke Schmacker und Kolleg:innen, DIW

Öffentliche Stromerzeugung 2024: Deutscher Strommix so sauber wie nie von Prof. Dr. Bruno Burger, Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme

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