Weniger Ungleichheit, aber mehr Umweltschäden? Wie Einkommensumverteilung den Verlust der Biodiversität beeinflusst
Die Menschheit erlebt einen dramatischen und sich beschleunigenden Verlust der globalen Biodiversität. Etwa ein Viertel aller Pflanzen- und Tiergruppen sind derzeit vom Aussterben bedroht und etwa eine Million Arten werden in den nächsten Jahrzehnten voraussichtlich aussterben.
Verlust von Ökosystemleistungen und seine ökonomischen Folgen
Biodiversität beschreibt die Vielfalt von Ökosystemen, Tier- und Pflanzenarten sowie Genen. Sie ist von fundamentaler Bedeutung, um die Bestände des Naturkapitals und die damit verbundenen Ökosystemleistungen zu erhalten.
Ökosystemleistungen umfassen beispielsweise das Aufrechterhalten von Wasser und Nährstoffkreisläufen, das Bereitstellen von (Gen-)Material für Medikamente oder das Eindämmen von Krankheiten. Bereits der Verlust einzelner Arten in einem Ökosystem kann substantielle ökonomische Folgen haben: Beispielsweise führte das Aussterben der Geier in Indien zu einer vier Prozent höheren Sterblichkeit und jährlichen Schäden von rund 70 Milliarden US-Dollar.
Kann ökonomische Umverteilung den Druck auf die Natur abmildern?
Zur gleichen Zeit erleben wir ein hohes Maß an ökonomischer Ungleichheit weltweit, aber auch in Deutschland. So ist die Einkommensungleichheit Anfang der 2000er in Deutschland stark gestiegen und verharrt seitdem auf diesem Niveau.
Eine Frage, die sich angesichts dieser beiden Trends aufdrängt, ist, ob durch ökonomische Umverteilung, etwa durch ein progressiveres Steuersystem oder Transferzahlungen, der Druck auf die Natur abgemildert werden kann. Schließlich konsumieren Haushalte mit hohem Einkommen mehr als solche mit niedrigerem und haben so einen größeren individuellen Biodiversitätsfußabdruck.
In Wirklichkeit ist die Antwort allerdings komplexer. Um uns der Frage anzunähern, haben wir in einer ZEW-Studie den strukturellen Zusammenhang zwischen dem Einkommen von Haushalten und deren Biodiversitätsfußabdruck untersucht. Der Biodiversitätsfußabdruck eines Haushaltes misst dabei dessen konsumbedingten Verbrauch von Biodiversität entlang der gesamten globalen Wertschöpfungskette. Darauf aufbauend können wir Rückschlüsse ziehen, welche Rolle die Einkommensumverteilung für den aggregierten „Biodiversitätsfußabdruck“ aller Haushalte spielt.
Anders als möglicherweise erwartet, finden wir, dass Umverteilung von reichen zu ärmeren Haushalten zu einem erhöhten Biodiversitätsverbrauch führt, wenn nicht mit geeigneten Maßnahmen entgegen gewirkt wird. Eine wesentliche Ursache ist eine erhöhte Landnutzung. Die Hintergründe liegen in einem ansteigendem Fleischkonsum, für den mehr Weide- und Anbaufläche benötigt wird.
Haushaltseinkommen, Umverteilung und Biodiversität
In unserer Studie haben wir Daten von über 200.000 US-Haushalten aus den Jahren 1996 bis 2022 ausgewertet. Wir haben den Konsum dieser Haushalte mit sogenannten Biodiversitätsintensitäten verknüpft, insbesondere die benötigte Landfläche des Konsums.
Ein Beispiel: Wenn ein Haushalt im Jahr 100 Dollar für Rindfleisch ausgibt und für die Herstellung von 1 Dollar Rindfleisch 43 m2 Land benötigt werden, dann beträgt der Fußabdruck 4300 m2. Die Summe über alle Produkte ergibt den gesamten Fußabdruck des Haushalts.
Landnutzung im Landwirtschafts- und Forstsektor ist dabei ein guter Indikator für die Auswirkungen auf die Artenvielfalt, da Landnutzung der Haupttreiber für Biodiversitätsverlust ist und die Sektoren für 98 Prozent der Landnutzung verantwortlich sind. Unsere berechneten Fußabdrücke berücksichtigen zudem dass Güter aus verschiedenen Länder importiert werden und dort unterschiedlich viel Land in der Herstellung nutzen.
Darauf aufbauend können wir analysieren, wie sich der Biodiversitätsfußabdruck mit dem Haushaltseinkommen verändert. Entscheidend für den Effekt von Umverteilung auf den aggregierten Biodiversitätsfußabdruck ist die relative Änderung der Fußabdrücke zwischen Haushalten. So finden wir, dass der Fußabdruck von ärmeren Haushalten stärker ansteigt (z.B. +375m2), als der von reicheren Haushalten sinkt (-223m2), wenn der ärmere 1000 Dollar mehr und der reichere die gleiche Summe weniger an Einkommen besitzt (progressive Umverteilung).
Diesen Effekt kann man sich folgendermaßen veranschaulichen: Verdoppelt man das Einkommen eines Haushalts, dann wird er zwar mehr Fleisch konsumieren, aber weniger als doppelt so viel (Sättigungseffekt). Das restliche Einkommen wird gespart oder für weniger biodiversitätsintensive Produkte verwendet.
Der Effekt wird mit ansteigendem Einkommen immer stärker. Wenn der reiche Haushalt 1000 US-Dollar verliert, reduziert er seinen Fleischkonsum somit weniger stark, als der arme Haushalt ihn mit 1000 US-Dollar zusätzlichem Einkommen ausweitet. In der Ökonomie spricht man in diesem Fall von einem „normalen“ Gut.
Einkommensgleichheit würde Landnutzung erhöhen
Wir schätzen, dass eine vollständige Einkommensgleichheit in den USA die durchschnittliche Landnutzung um 3,2 Prozent erhöhen würde, was rund 189.000 Quadratkilometern und damit mehr als das Dreifache der Fläche von Niedersachsen entspricht. Schätzungen für z.B. Treibhausgasemissionen und lokaler Luftverschmutzung gehen in eine ähnliche Richtung.
Die Ergebnisse können von der Tendenz auch auf Deutschland und andere europäische Industriestaaten übertragen werden, da der grundsätzliche Zusammenhang zwischen Konsumverhalten und Einkommen in westlichen Industrieländern vergleichbar ist und ähnliche Technologien und globale Wertschöpfungsketten dahinterstehen.
Was dem Effekt entgegen wirken könnte
Der betrachtete konsumbezogene Ansatz ist nur einer von vielen Kanälen, wie Umverteilung Biodiversität beeinflussen kann. Mindestens kurzfristig ist der beschriebene negative Effekt auf die Biodiversität aber sehr plausibel. Langfristig ist dagegen etwa denkbar, dass in einer gleicheren Gesellschaft nachhaltigere Lebensweisen übernommen werden oder Artenschutz politisch leichter umsetzbar ist, was dem Effekt entgegen wirken würde.
Zudem wurden die Einkommensreichsten 2 Prozent aufgrund von Datenunsicherheit in unserer Studie nicht mitberücksichtigt. Es gibt Hinweise darauf, dass sich ab einem bestimmten Einkommensniveau der Zusammenhang wieder umkehrt, sodass ein Einkommenszuwachs mit einem überproportionalen Anstieg des Biodiversitätsfußabdrucks einhergeht. Dies würde bedeuten, dass sich die Umverteilung von den oberen 2 Prozent nach unten positiv auf die Biodiversität auswirkt. Wo in der Einkommensverteilung die Umverteilung stattfindet, ist demnach entscheidend.
Was bedeuten die Ergebnisse für politische Maßnahmen?
Wir haben gesehen, dass Umverteilung negative Auswirkungen auf die Biodiversität haben kann. Bedeutet das, dass soziale Gerechtigkeit und Naturschutz unvereinbar sind? Natürlich nicht! In diesem Zusammenhang ist es sinnvoll, sich eine klassische ökonomische Regel zu vergegenwärtigen: Sie besagt, dass für jedes ökonomisches Ziel ein separates Instrument herangezogen werden sollte (s.g. Tinbergen-Regel).
Wir sollten also Politikmaßnahmen ergreifen, die den Schutz der Biodiversität sicherstellen, unabhängig von sozialpolitischen Maßnahmen, welche auf die gesellschaftlich gewünschte Einkommensverteilung abzielen.
Der Globale Biodiversitätsrahmen von Kunming-Montreal aus dem Jahr 2022 ist dahingehend ein Schritt in die richtige Richtung. Das Abkommen formuliert unter anderem die Ziele, dass 30 Prozent der Land- und Meeresfläche bis 2030 unter Naturschutz gestellt werden (30×30 Ziel) und dass sich weltweit 30 Prozent der degradierten Ökosysteme in der Wiederherstellung befinden.
Solche (Unter-)Grenzen können sicherstellen, dass ein festgelegter Anteil der globalen Flächen geschützt beziehungsweise ein bestimmtes Niveau an Biodiversität „abgesichert“ ist – unabhängig von anderen sozioökonomischen Entwicklungen und Politiken. Nun geht es darum, diese Ziele auch wirklich umzusetzen. Die Europäischen Wiederherstellungsverordnung, welche seit 2024 in Kraft ist, verpflichtet die europäischen Mitgliedstaaten flächenscharfe Pläne zur Wiederherstellung von Ökosystemen vorzulegen.
Die vorliegende Studie zeigt, dass angesichts steigender Biodiversitätsfußabdrücke möglicherweise noch stringentere Maßnahmen erforderlich sind, wenn zeitglich die Einkommensungleichheit reduziert wird.
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