Gemeinwohlorientierte Mehrwertsteuerreform auf Lebensmittel
Das globale Ernährungssystem – also alles, was vom Hof bis zum Teller passiert – ist weder gesund noch nachhaltig. Es macht ein Drittel aller menschgemachten Treibhausgasemissionen aus. Eine schlechte Ernährung ist für circa ein Viertel aller vorzeitigen Todesfälle verantwortlich. Auch in Punkto Biodiversitätsverlust, Flächen- und Wasserverbrauch ist unser Ernährungssystem ein maßgeblicher Treiber.
Die jährlichen externen Kosten des globalen Ernährungssystems ab 2030 sind mit 3 Billionen US-Dollar immens. Dabei gäbe es eine relativ einfache Lösung: weniger tierische und mehr pflanzliche Produkte essen. Der Staat hat hierfür die Hebel in der Hand – denn eine mögliche Lenkungswirkung könnte auch durch eine differenzierte Besteuerung erzielt werden.
Besteuerung ist gängige Praxis
In vielen Bereichen ist eine solche Verhaltenssteuerung, wie zum Beispiel bei der Tabak- oder Alkoholsteuer, schon lange erfolgreiche Praxis. Nahrungsmittel, als Gegenstände des täglichen Bedarfs, werden hingegen überwiegend mit einem ermäßigten Mehrwertsteuersatz belegt. Dabei werden alle Arten von Lebensmitteln mehr oder weniger über einen Kamm geschert.
Bestehende Unterschiede sind eher auf polit-ökonomische Aspekte zurückzuführen und eine Differenzierung etwa nach gesunden und nachhaltigen Lebensmitteln erfolgt bisher nicht. Dabei wäre eine solche Differenzierung administrativ und politisch leichter umzusetzen, als eine komplett neue Steuer einzuführen, wie etwa eine Fleisch- oder CO2-Steuer auf Lebensmittel.
Mehrwersteuersätze im EU-Binnenmarkt
Während eine Anhebung der Mehrwertsteuer für Nahrungsmittel administrativ unproblematisch ist, ist eine signifikante Absenkung der Steuer für viele EU-Staaten erst seit kurzem möglich. Denn obwohl die Mehrwertsteuer von den einzelnen Regierungen festgelegt wird, existieren EU-weit harmonisierte Mindestsätze, um das ordnungsgemäße Funktionieren des Binnenmarkts und einen fairen Wettbewerb zu gewährleisten.
Für den regulären und ermäßigten Satz liegt die Untergrenze bei jeweils fünfzehn Prozent und fünf Prozent. Erst ab 2025 ist durch eine Novellierung des EU-Rechts, die dem Green-Deal und der Farm to Fork-Strategie Rechnung trägt, eine Mehrwertsteuer von null Prozent auf bestimmte Produkte wie etwa Nahrungsmittel erlaubt.
Für Fleisch und Milch liegt der Mehrwertsteuersatz im europäischen Durchschnitt bei acht Prozent und für Obst und Gemüse bei neun Prozent. Die Steuersätze variieren jedoch auch hier von Land zu Land stark. Während in Malta kaum Steuern auf Lebensmittel erhoben werden, sind es in Dänemark 25 Prozent. Mehr als die Hälfte der betrachteten Länder haben ähnlich hohe Steuern auf tierische und pflanzliche Produkte. Mehr als ein Drittel der Länder erheben sogar höhere Steuersätze für pflanzliche Produkte. Auch in Deutschland ist die Mehrwertsteuer auf pflanzliche Nahrung mit knapp neun Prozent höher als für tierische Nahrungsmittel, die mit sieben Prozent besteuert werden.
Debatte um gemeinwohlorientierte Anpassungen
Gemeinwohlorientierte Anpassungen der Mehrwertsteuer wurden bereits in Deutschland und anderen europäischen Ländern diskutiert. Die Zukunftskommission für Landwirtschaft (ZKL) sieht laut einem Eckpunktepapier aus 2024 großes Potential in einer umfassenden Mehrwertsteuerreform, bei der Fleisch teurer und Obst und Gemüse günstiger wird, um die Agrar- und Ernährungswirtschaft nachhaltiger zu gestalten. Dieser Konsens ist bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass bei der ZKL neben Wissenschaft und NGOs auch die Nahrungsmittelwirtschaft sowie der Bauernverband vertreten ist.
Eine solche umfassende Reform findet auch beim Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, Cem Özdemir, Zuspruch, was er bei mehreren Gelegenheiten betont hat. Auch wenn diese Reform eine breite Unterstützung findet, konnte bisher noch keine politische Mehrheit gefunden werden.
Obwohl das Thema heiß diskutiert wird, fehlt bislang eine umfassende Politikfolgenabschätzung einer gemeinwohlorientierten Mehrwertsteuerreform. Ein Umstand auf den auch schon das Europäische Parlament hingewiesen hat. Wir haben in unserer Studie versucht, diese Lücke zu schließen und untersucht wie sich verschiedene Mehrwertsteuerreformen auf Nahrungsmittel auf Umwelt, Gesundheit und Ökonomie auswirken würden.
Auswirkungen verschiedener Steuerreformen
Am meisten Erfolg verspricht, die Mehrwertsteuer auf pflanzliche Produkte zu verringern und gleichzeitig die Mehrwertsteuer auf tierische Produkte zu erhöhen. Dieses Szenario impliziert einen Anstieg der Nachfrage nach Obst und Gemüse um eine Portion pro Woche, wenn deren Mehrwertsteuer auf null gesetzt wird. Die Nachfrage nach Fleisch und Milch würde hingegen um eine Portion pro Woche zurück gehen, wenn deren Mehrwertsteuer auf den regulären Satz angehoben wird.
Gemäß diesem Szenario würden die Umweltauswirkungen um sechs Prozent sinken, beispielsweise würde Deutschland etwa zehn Millionen Tonnen weniger Kohlendioxid ausstoßen. Das entspricht ungefähr den gesamten jährlichen Emissionen von Lettland. Europaweit wären es sogar 63 Millionen Tonne weniger, was den jährlichen gesamten Kohlendioxid Ausstoß Ungarns entspricht.
Ferner gäbe es drei Prozent weniger vorzeitige Todesfälle, in Deutschland entspräche das etwa 20.000 Toten weniger und 160.000 in Europa. Die Steuereinnahmen würden um 45,6 Milliarden US-Dollar steigen, in Deutschland etwa um sieben Milliarden US-Dollar. Die Kosten für die Gesellschaft durch Krankheiten und Klimaschäden würden um 37,3 Milliarden US-Dollar sinken, in Deutschland um etwa sechs Milliarden US-Dollar.
Fazit
Wenn es um Lebensmittel geht, sind die Mehrwertsteuersysteme in der EU derzeit nicht zweckmäßig. Ein modernes Steuersystem, das auch die vorliegenden Gesundheits- und Umweltprobleme des Ernährungssystems im Blick hat, ist dringend angeraten. Eine gemeinwohlorientierte Anpassung der Mehrwertsteuersätze auf Lebensmittel enthält so gut wie keine Zielkonflikte und bietet gleichzeitig Vorteile für die öffentliche Gesundheit, die Umwelt und sogar die Staatseinnahmen.
Darüber hinaus hat die von uns skizierte Steuerreform eine klare, evidenz-basierte und gemeinwohlorientierte Intention und basiert nicht auf klienteldienlichen Überlegungen wie etwa eine Steuererleichterung für das Hotel und Gaststättengewerbe.
Während eine Mehrwertsteuerreform einem Teil der externen Kosten des Ernährungssystems Rechnung trägt, sollten idealerweise noch andere fiskalische Maßnahmen ergriffen werden. Eine Reform der Agrarsubventionen stellt einen weiteren Hebel dar, den die Politik nutzen sollte, um das europäische Ernährungssystem nachhaltiger zu gestalten. Aktuell stützen die Subventionen im Rahmen der Gemeinsame Agrarpolitik der EU überwiegend den tierischen Sektor und sind nicht geeignet den Klima- und Ernährungsproblemen angemessen entgegenzuwirken.
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