Wachstum und Ressourceneffizienz – Trivialitäten und trügerische Gewissheiten

Prof. Dr. Hans DiefenbacherUniversität Heidelberg

In der Beurteilung der öko-sozialen Marktwirtschaft gibt es etliche Grundüberzeugungen, die in der Regel als unverrückbar erscheinen: Dazu gehört eine fast uneingeschränkt positive Haltung zur Erhöhung der Ressourceneffizienz.

Nicht ganz so verbreitet, aber ebenfalls dominant ist eine ebensolche Einstellung gegenüber dem Wirtschaftswachstum. Auf den ersten Blick ist daran ja auch nichts auszusetzen: Was sollte auch von Nachteil sein, wenn wir insgesamt mehr und das auch noch mit einem verhältnismäßig geringeren Aufwand produzieren?

Geringerer Ressourcenverbrauch, höhere Nachfrage

Jedoch ist es zunächst einmal angebracht, an das Phänomen des so genannten Rebound-Effekts zu erinnern, der zum ersten Mal im Jahre 1865 von einem der Begründer der neoklassischen Wirtschaftstheorie, William Stanley Jevons, beschrieben wurde.[1] Eine Steigerung der Effizienz bei der Verwendung von Ressourcen hat oft zur Folge, dass die Produkte und Dienstleistungen billiger werden können.

Das wiederum kann die Nachfrage steigern – und am Ende werden die Effizienzsteigerungen zum Teil wieder wettgemacht, weil mehr Güter oder Dienstleistungen dieser Art verbraucht werden als zuvor.

Im Extremfall erscheint der Rebound- sogar als Backfire-Effekt, nämlich dann, wenn diese Nachfragesteigerung so hoch ausfällt, dass in der neuen Situation für die Herstellung der in Frage stehenden Produkte sogar mehr Ressourcen aufgewendet werden müssen als vor der Effizienzsteigerung.

Indirekte Rebound-Effekte

Die Sache wird noch unübersichtlicher, denn zu den beschriebenen direkten Rebound-Effekten treten die indirekten Rebounds. Das durch die gesunkenen Produktpreise infolge der Effizienzsteigerung gesparte Geld kann ja nun für andere Produkte ausgegeben werden, deren Herstellung ebenfalls Ressourcen verbraucht.  Im Rahmen einer solchen Gesamtbetrachtung kann es sich zeigen, dass womöglich ein noch deutlich größerer Teil der ursprünglichen Einsparung kompensiert wird.

Durch Effizienzsteigerungen werden außerdem Prozesse eingeleitet, die zu einem makroökonomischen Strukturwandel führen, an deren Ende die ursprünglichen Absichten, die mit dem technologischen Wandel verbunden waren, gar nicht mehr trennscharf zu erkennen sind.

Die volkswirtschaftliche Gesamtwirkung hatte Jevons jedenfalls schon 1865 vorausgesehen: „Anzunehmen, dass die wirtschaftliche Nutzung von Brennstoffen mit einem geringeren Verbrauch einhergeht, ist eine völlige Begriffsverwirrung. Das Gegenteil ist der Fall.“

Widerstandsfähigkeit von Ökonomie und Ökologie

Letztlich sind jedoch zwei volkswirtschaftliche Überlegungen entscheidend, die als Rahmenbedingungen für die geschilderten Prozesse anzusehen sind. Das ist zum einen die Frage nach der Resilienz von Wirtschaftsstrukturen, verstanden als Toleranz und Widerstandsfähigkeit der Volkswirtschaften gegenüber Störungen und Krisen.

Aus unternehmerischer Sicht kann die Produktion bestimmter Güter und Dienstleistungen optimal und mit einem Höchstmaß an technologisch erreichbarer Effizienz gestaltet sein; aus einer volkswirtschaftlichen Perspektive kann das jedoch gefährlich werden, wenn es sich in einer – vielleicht sogar schwer vorhersehbaren – Situation erweist, dass von diesen Gütern oder Dienstleistungen schnell mehr oder auf andere Weise produziert werden sollte.

Eine solche „Bevorratung“ von Produkten oder Produktionskapazitäten war zuvor in der anderen Sichtweise als ineffizient angesehen worden. Die Corona-Pandemie hat dafür so manche Anschauungsbeispiele gegeben.

Es wird deutlich, dass die Übertragung der Logik der Effizienz dazu führen kann, dass die Resilienz von ökologischen Systemen, aber auch von Wirtschaftsstrukturen gefährdet ist, was zum Teil durch eine Globalisierung von Produktionsschritten hervorgerufen wurde, die sich nun als problematisch erweist.

Sinnvolle Balance halten

Der Nobelpreisträger Joseph Stiglitz forderte vor einiger Zeit, „den Kapitalismus vor sich selbst zu retten“[2]. Vor dem Hintergrund der These, dass „Wachstumsschwäche und Zunahme der Ungleichheit … zwei Seiten derselben Medaille“ seien, identifizierte er die Kürzung öffentlicher Ausgaben vor allem in Bildung und Infrastruktur sowie in Grundlagenforschung als langfristige Gefährdung des Lebensstandards.

Zu dieser Aussage korrespondiert der Befund, dass in Deutschland die Nettoinvestitionen seit Jahren im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt auf sehr niedrigem Niveau sind. Der Neoliberalismus habe „dem Unterschied zwischen den Quellen individuellen und gesamtgesellschaftlichen Wohlstands nicht ausreichend Beachtung geschenkt … Individuen können es dadurch zu Reichtum bringen, dass sie andere übervorteilen oder gar ausbeuten.“[3]

Um die Resilienz eines Systems zu gewährleisten, müssen aus volkswirtschaftlicher Sicht genügend Ressourcen zur Verfügung stehen, darf nicht jedes Sparpotential für Effizienzsteigerungen genutzt werden. Hier eine sinnvolle Balance zu halten ist nicht einfach.

Bequeme Verführbarkeit

Zum anderen bestimmt sich die Effizienz einer Produktion eigentlich auf der Ebene der Nutzung eines bestimmten Produkts und nicht in erster Linie als Maß der Produktion.  Damit werden Konsum- und Lebensstile und deren häufig allzu bequeme Verführbarkeit in Richtung Wachstum entscheidend.

Um ein Beispiel zu geben: Durch eine verbesserte Technologie bei Kraftfahrzeugmotoren wäre es möglich, mit der neuen Technik nunmehr mit weniger Treibstoff auszukommen. Damit könnte man eine bestimmte Strecke also mit weniger Treibstoff zurücklegen – soweit die Steigerung der Ressourcenproduktivität.

Aber da es so preiswert geworden ist, wird man zusätzliche und vielleicht weitere Strecken mit dem Kraftfahrzeug zurücklegen. Und schließlich wird man den Kauf eines Neuwagens ins Auge fassen, der einen stärkeren Motor hat und deswegen schneller fahren kann und der bequemer ist und dessen besserer Komfort ein höheres Fahrzeuggewicht erfordert.

So ist es zu erklären, dass der technische Fortschritt bei Personenkraftwagen sich in den letzten zehn Jahren nicht in einem Rückgang des durchschnittlichen Kraftstoffverbrauchs niedergeschlagen hat.

Bei Fahrzeugen mit Benzinmotor sank der Durchschnittsverbrauch zwischen 2010 und 2019 nur von 7,9 auf 7,8 Liter pro 100 Kilometer, bei Dieselmotoren war hingegen sogar ein leichter Anstieg von 6,8 auf 7,0 Liter pro 100 Kilometer zu verzeichnen.

Sensibilität erhöhen

Als vorläufiges Fazit kann festgehalten werden: Alle Anstrengungen sind zu begrüßen, um technisch die Ressourcenproduktivität zu erhöhen. Dann aber muss mit hoher Sensibilität vorgegangen werden, um die negativen Folgen dieses Weges abzufedern oder gar nicht erst entstehen zu lassen.

Eine Studie des Umweltbundesamtes[4] hat unlängst vorgeschlagen, ordnungsrechtliche Vorgaben für Energieeffizienz von vornherein so anspruchsvoll festzulegen, dass trotz Rebound-Effekten eine angestrebte Verringerung des Energieverbrauchs eintritt.

Rebound-Effekte ließen sich außerdem verringern, wenn Kostensenkungen durch Effizienzgewinne über Umweltabgaben zum Teil neutralisiert werden. Als letztes, aber durchaus realisierbares Mittel stünde die Festlegung absoluter Obergrenzen beim Verbrauch von Ressourcen zur Verfügung, wobei die Verteilung der Mengen für Produzenten über Handelssysteme gesteuert werden könnten, etwa nach der Art der Emissionshandelssysteme. Aber das erscheint in der gegenwärtigen Diskussion (noch) als Zukunftsmusik.

Literatur

[1] Jevons, William Stanley (1865): The Coal Question – An Inquiry Concerning the Progress of the Nation, and the Probable Exhaustion of Our Coal Mines. London: Macmillan & Co.

[2] Stiglitz, Joseph (2020): Der Preis des Profits – wir müssen den Kapitalismus vor sich selbst retten. München: Siedler.

[3] Ebenda, Vorwort zur deutschen Ausgabe, S. 9.

[4] Ostertag, Katrin et al. (2021): Optionen für ökonomische Instrumente des Ressourcenschutzes. Dessau: Umweltbundesamt, Texte 31/2021.



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