Vergütung von Führungskräften: Welche Rolle Nachhaltigkeit spielt

Stefanie EhmannUniversität Tübingen
Prof. Dr. Patrick KampkötterUniversität Tübingen
Raphael MoritzUniversität Tübingen

Die Integration von Umwelt-, Sozial- und Governance-Kennzahlen (ESG) in die Vergütung von Führungskräften wird zunehmend als Weg gesehen, Unternehmen stärker auf Nachhaltigkeitsziele auszurichten. Trotz der zunehmenden Verbreitung solcher Vergütungsmodelle bleibt ihr tatsächlicher Einfluss auf das Verhalten von Führungskräften jedoch gering.

Eine Untersuchung von 674 Vorstandsmitgliedern aus 73 börsennotierten europäischen Unternehmen zeigt, dass ESG-Kennzahlen oft nur einen kleinen Anteil der variablen Vergütung ausmachen und kaum das Verhalten der Führungskräfte beeinflussen können. Dies wirft die Frage auf, ob ESG-gebundene Vergütungen wirklich nachhaltige Praktiken fördern oder hauptsächlich dem Zweck der Imagepflege dienen.

ESG-Kennzahlen: Treiber für nachhaltige Transformation?

In den letzten Jahren haben viele Unternehmen ESG-Kennzahlen in die Vergütung ihrer Führungskräfte aufgenommen, um ihr Engagement für Nachhaltigkeit zu betonen. Dabei stehen Ziele wie die Reduzierung von Emissionen oder die Förderung von Diversität in der Belegschaft im Vordergrund. Ziel ist es, Nachhaltigkeit stärker in die Unternehmensführung zu integrieren und aktiv gesellschaftliche Herausforderungen anzugehen.

Dieser Ansatz wird als Teil eines Wandels hin zu einem „verantwortungsvollen Kapitalismus“ gesehen, bei dem Unternehmen Rentabilität mit sozialer und ökologischer Verantwortung verbinden. Investoren und Regulierungsbehörden unterstützen diese Entwicklung, da sie erwarten, dass ESG-gebundene Vergütung Fortschritte bei globalen Herausforderungen wie dem Klimawandel und der sozialen Gerechtigkeit beschleunigt. Diese Erwartungen haben die Verbreitung von ESG-Kennzahlen in Vergütungsplänen, insbesondere bei großen börsennotierten Unternehmen in Europa und den USA, stark vorangetrieben.

Zweifel an der Wirksamkeit von ESG-gebundener Vergütung

Trotz dieser Entwicklung bestehen Zweifel an der Effektivität von ESG-gebundenen Vergütungen. Kritiker argumentieren, dass ESG-Kennzahlen oft mehr symbolischen als praktischen Wert haben. Sie signalisieren zwar ein Bekenntnis zu Nachhaltigkeit, schaffen jedoch selten echte Rechenschaftspflicht. Entscheidend dafür sind das Gewicht, das ESG-Kennzahlen in der Vergütung einnehmen, und deren konkrete Ausgestaltung. Beide Faktoren beeinflussen die Wirksamkeit solcher Anreize. Dies wirft eine entscheidende Frage auf: Sind ESG-gebundene Anreize ein bedeutender Schritt zu mehr unternehmerischer Verantwortung, oder handelt es sich lediglich um eine Form des „Greenwashings“, die den Anschein von Fortschritt erweckt, ohne echte Wirkung zu erzielen?

Unsere Studie untersucht diese Frage anhand eines Datensatzes zu 674 Vorstandsmitgliedern aus 73 großen europäischen Unternehmen im Zeitraum 2013 bis 2020. Die Daten enthalten detaillierte Informationen über die Planung und Umsetzung von leistungsbezogenen Vergütungsverträgen, darunter die Anzahl und Gewichtung der Kennzahlen sowie die tatsächlich erzielten Ergebnisse und ausgezahlten Vergütungen. Diese granularen Daten erlauben es, die Struktur von ESG-gebundener Vergütung zu analysieren und ihre Anreizwirkung zu bewerten.

Rolle von ESG-Kennzahlen bleibt gering

Unsere Analyse zeigt, dass ESG-Kennzahlen zwar häufiger genutzt werden, ihre Rolle in der realisierten Vergütung von Top-Führungskräften jedoch gering bleibt. Im Jahr 2020 enthielten zwar 60 % der kurzfristigen Anreizpläne (STI) europäischer Führungskräfte mindestens ein ESG-Kriterium, verglichen mit 40 % im Jahr 2013. Dennoch sind gerade einmal fünf Prozent ihrer leistungsabhängigen Vergütung an verbindliche Kriterien zur Messung von nachhaltigem Verhalten der Unternehmen gekoppelt.

Ein entscheidender Punkt bei der Frage nach der Wirkung dieser Ziele ist der Unterschied zwischen „bindenden“ und „diskretionären“ ESG-Kennzahlen:

  • Bindende Kennzahlen haben festgelegte Ziele und Gewichte, die zu Beginn des Geschäftsjahres festgelegt werden.
  • Diskretionäre Kennzahlen erlauben es Aufsichtsräten, Gewichtungen nachträglich anzupassen.

Diskretionäre Kennzahlen sind in Branchen wie dem Finanzdienstleistungssektor weit verbreitet, wo ESG-Leistungen schwerer messbar sind. In umweltintensiven Bereichen wie dem Energie- und Versorgungssektor sind dagegen häufiger bindende Kennzahlen zu finden, die die finanzielle Relevanz von Nachhaltigkeitszielen in diesen Branchen widerspiegeln.

Beitrag zum Vergütungsrisiko gering

Unsere Analyse zeigt außerdem, dass ESG-Kennzahlen nur einen sehr geringen Beitrag zum Vergütungsrisiko leisten – ein zentraler Indikator für ihre Wirksamkeit als Anreizsystem. Bindende Nicht-ESG-Kennzahlen erklären 87 Prozent der Vergütungsschwankungen in kurzfristigen Anreizplänen (STI), während bindende ESG-Kennzahlen lediglich 1 Prozent ausmachen.

Selbst in Unternehmen, die ESG-gebundene Vergütungen prominent einsetzen, dominieren weiterhin traditionelle Finanzkennzahlen. Hinzu kommt, dass ESG-Ziele häufig weniger ambitioniert oder leichter erreichbar sind als traditionelle Finanzziele, was ihre Wirkung auf das Verhalten von Führungskräften weiter schmälert.

Fokus auf sichtbare Führungskräfte

Unsere Analyse zur Verbreitung von ESG-Kennzahlen in den verschiedenen Vorstandsresorts hat zudem einen unerwarteten Trend aufgezeigt: Spezialisierte Positionen wie Chief Human Resource Officers (CHROs) und Chief Technology Officers (CTOs) weisen oft weniger relevante ESG-Kennzahlen auf.

CHROs sind beispielsweise nicht häufiger als CEOs mit personalbezogenen Kennzahlen konfrontiert, und CTOs haben oft weniger Umweltkennzahlen in ihren Vergütungsverträgen als ihre CEOs. Dies deutet darauf hin, dass Unternehmen ESG-Kennzahlen möglicherweise stärker auf ihre sichtbarsten Führungskräfte (CEO und CFO) konzentrieren, um den öffentlichen Erwartungen zu entsprechen, anstatt ESG-Prinzipien systematisch über das gesamte Führungsteam hinweg zu verankern.

Greenwashing oder echtes Engagement?

Unsere Ergebnisse legen nahe, dass ESG-gebundene Vergütung für viele Unternehmen eher in der Außenwirkung als Signal für das Engagement für Nachhaltigkeit genutzt wird, ohne tatsächlich substanzielle Verbesserungen zu fördern oder den Aktionärswert zu opfern. Besonders in Branchen, die unter starker öffentlicher Beobachtung stehen, sind diskretionäre ESG-Kennzahlen mit geringem Gewicht verbreitet, was den Verdacht des Greenwashings stärkt.

In Branchen wie Energie oder Fertigung, wo ESG-Leistungen enger mit finanziellen Ergebnissen verknüpft sind, spielen bindende ESG-Kennzahlen jedoch eine bedeutendere Rolle. Dies deutet darauf hin, dass ESG-gebundene Vergütung unter den richtigen Bedingungen glaubwürdig und wirkungsvoll sein kann.

Voraussetzungen für wirksame ESG-Vergütung

Damit ESG-gebundene Vergütung echte Veränderungen bewirken kann, sind folgende Maßnahmen notwendig:

  • Höheres Gewicht: ESG-Kennzahlen sollten einen signifikanten Anteil der variablen Vergütung ausmachen.
  • Mehr Verbindlichkeit: Diskretionäre Anpassungen sollten reduziert werden, um Glaubwürdigkeit zu schaffen.
  • Ambitionierte Ziele: ESG-Ziele müssen anspruchsvoll, aber realistisch sein.

Regulierungsbehörden, Investoren und Berater können eine entscheidende Rolle dabei spielen, robuste und transparente Vergütungssysteme zu fördern. Mit den neuen regulatorischen Anforderungen zur ESG-Berichterstattung bleibt abzuwarten, wie Unternehmen ihre Vergütungsstrukturen anpassen und ob diese Änderungen zu echten Fortschritten in Richtung Nachhaltigkeitsziele führen.

Literatur

Cohen, A., Kadach, I., Ormazabal, G., & Reichelstein, S. (2023). Executive Compensation Tied to ESG Performance: International Evidence. Journal of Accounting Research, 61(3), 805-853.

Efing, M., Ehmann, S., Kampkötter, P., & Moritz, R. (2024). All Hat and No Cattle? ESG Incentives in Executive Compensation. HEC Paris Research Paper No. FIN-2024-1506

Hazarika, G., Kashikar, S., Peng, L., Röell, A., & Shen, H. (2022). ESG-Linked Pay Around the World – Trends, Determinants, and Outcomes. Available at SSRN: https://ssrn.com/abstract=4410068.

Weitere Beiträge zum Thema auf unserem Blog:

Wie unternehmerische Verantwortung auf Mitarbeitende wirkt von Dr. Irmela Koch-Bayram, Universität Mannheim

Greenwashing: Konzept zur Messung auf Unternehmensebene von Prof. Dr. Sebastian Utz, Universität Augsburg und Prof. Dr. Gregor Dorfleitner, Universität Regensburg

Die ökologische Transformation der Beschäftigung schreitet voran von Prof. Dr. Ronald Bachmann (RWI), Dr. Markus Janser (IAB), Dr. Florian Lehmer (IAB) und Dr. Christina Vonnahme (RWI)



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