Unternehmerische Verantwortung und Nachhaltigkeit – welche Rolle spielen Geschäftsmodelle?

Prof. Dr. Florian Lüdeke-FreundESCP Business School

Tobias FroeseESCP Business School

Legt man aktuelle Umfragen wie den „Sustainability Management Monitor“ von Peer School, Universität Mannheim und Bertelsmann Stiftung zugrunde, zeigt sich, dass ein Gutteil der befragten Unternehmen aktiv an der Verknüpfung von Kerngeschäft und ökologischen und sozialen Themen arbeitet. Zudem wird Nachhaltigkeit zunehmend als Treiber von Transformationen der Geschäftstätigkeiten von Unternehmen wahrgenommen.[1]

In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, welche Rolle die Geschäftsmodelle von Unternehmen spielen können, wenn es um die Wahrnehmung gesellschaftlicher Verantwortung und Beiträge zu einer nachhaltigen Entwicklung von Umwelt, Gesellschaft und Wirtschaft geht. Zudem ist es wichtig zu verstehen, welche Geschäftsmodelltypen Beiträge hierzu leisten können.

Auf dem Weg zu nachhaltigen Geschäftsmodellen?

Denn ob und wie Unternehmen gesellschaftlich verantwortlich und in ihrem Handeln nachhaltig sind, hängt untrennbar damit zusammen, wie sie sich wertschöpfend betätigen. Häufig zitierte Konzepte wie „Triple Bottom Line“, „Enlightened Self-Interest“ oder „Shared Value“ drücken im Grunde nichts anderes aus als das übergeordnete Ziel, die unternehmerische Wertschöpfung direkt mit positiven ökologischen und sozialen Beiträgen zu verbinden.

Die Logik der Wertschöpfung von Unternehmen wird seit gut zwei Jahrzehnten unter dem Begriff des Geschäftsmodells diskutiert. Geschäftsmodelle können als vereinfachte Darstellung der Komponenten (z. B. Finanzmodelle) und Aktivitäten (z. B. Produktentwicklung) verstanden werden, die für die unternehmerische Wertschöpfung benötigt werden.

Eine These, die immer häufiger diskutiert wird, besagt Folgendes: Unternehmen sind insbesondere dann in der Lage, nachhaltig wertschöpfend tätig zu sein, wenn sie sich bewusst mit ihren Geschäftsmodellen auseinandersetzen.[2] Je besser es gelingt, Anliegen der CSR und Nachhaltigkeit mit tragfähigen Geschäftsmodellen aufzugreifen, desto größer die Wahrscheinlichkeit einer umfassenden Integration von CSR und Nachhaltigkeit in das Kerngeschäft und desto größer die Wahrscheinlichkeit ihrer Verstetigung.

Vier Pfade zum nachhaltig(er)en Geschäftsmodell[3]

Die Verknüpfung von ökologischen und sozialen Anliegen mit dem Kerngeschäft eines Unternehmens kann auf verschiedene Arten (entlang von „Pfaden“) erfolgen (Abb. 1).

  • Pfad 1: Die Lösung ökologischer und/oder sozialer Probleme wird in das bestehende Kerngeschäft integriert. Bleibt der bisherige Geschäftserfolg erhalten oder erweitert er sich, kann von einem sog. Business Case gesprochen werden (Beispiel: bestehende Produkte werden nachhaltig neugestaltet oder z.B. durch nachhaltige Services ergänzt).
  • Pfad 2: Die Lösung ökologischer und/oder sozialer Probleme erfordert die Entwicklung eines neuen Kerngeschäfts. Stellt sich hiermit unternehmerischer Erfolg ein, kann ebenfalls von einem Business Case gesprochen werden (Beispiel: ökologische und/oder soziale Anpassungen an etablierten Angeboten sind nicht möglich oder reichen nicht aus).
  • Pfad 3: Die Lösung ökologischer und/oder sozialer Probleme wird weder voll in das bestehende Kerngeschäft integriert (Pfad 1) noch führt sie zu einem komplett neuen Kerngeschäft (Pfad 2). Das bestehende Kerngeschäft wird um ökologisch und sozial orientierte Bereiche erweitert (Beispiel: etablierte Angebote bleiben unberührt werden aber um nachhaltige Alternativen ergänzt).

Das Verfolgen dieser Pfade wird i.d.R. größere Anpassungen als bloße Prozessoptimierungen oder neue Produktvarianten erfordern. Es wird regelmäßig um das Überdenken der grundlegenden Wertschöpfungslogik gehen.

Dies kann sogar zu einer Umkehrung von Prioritäten führen, bei der die ökologischen und sozialen Ziele traditionelle Geschäftsziele dominieren oder gar komplett ersetzen. Hierbei wird das oft als limitierend empfundene Denken in Business Cases verlassen und radikalere Formen des Nachhaltigkeits- und Sozialunternehmertums können sich entwickeln.

So entstehen hybride Wertschöpfungslogiken, die mitunter geschäftsmäßige Formen der Einkommensgenerierung mit Fördermitteln, Spenden und anderen Einnahmequellen kombinieren. Ziele und Paradigmen wie soziale Inklusion und Postwachstum werden häufig erst durch derartige hybride Ansätze denk- und umsetzbar. Daher können wir einen vierten Pfad hinzufügen.

  • Pfad 4: Die Lösung ökologischer und/oder sozialer Probleme wird zur obersten Priorität und zum eigentlichen „Kerngeschäft“. Erfolg wird hierbei direkt an die Lösung dieser Probleme geknüpft und geschäftlicher bzw. finanzieller Erfolg ist (nur noch) Mittel zum Zweck.

Abb. 1. Verknüpfung von Kerngeschäft und Nachhaltigkeit – vier mögliche Pfade

Einige Beispiele

Ein exemplarisches Pfad-1-Unternehmen ist der US-amerikanische Teppichhersteller Interface, der Mitte der 1990er-Jahre damit begonnen hat, sich zu einem hocheffizienten Serviceanbieter weiterzuentwickeln. Bodenbelag wird bei Interface nicht mehr als materielles Produkt, sondern als hochwertige Dienstleistung definiert, bei der die Verantwortung für den Bodenbelag, dessen Herstellung und Entsorgung komplett beim Unternehmen verbleibt (Produkt-Service-System).

Zudem gab sich das Unternehmen eine „Mission Zero“ zur Vermeidung sämtlicher Schadstoffemissionen. Interface hat es geschafft, sein Kerngeschäft im laufenden Betrieb auf höchste Effizienz zu trimmen und ökologische Designkonzepte wie Cradle to Cradle marktfähig umzusetzen.

Ein Beispiel für eine Pfad-2-Entwicklung war der deutsche Energiekonzern RWE mit seiner ehemaligen Tochter RWE Innogy, in der die umweltfreundlichen und „smarten“ Energieangebote des Konzerns gebündelt und verselbstständigt wurden. Neben das bestehende Kerngeschäft von RWE, vor allem Stromgewinnung und -vertrieb auf Basis von Atomkraft, Gas und Kohle, trat ein neues und klar positioniertes Kerngeschäft. Nach der Übernahme durch E.ON bleibt abzuwarten, wie sich dieses Feld weiterentwickelt.

Unternehmen wie Unilever, die mit umfassenden Nachhaltigkeitsprogrammen zeitgleich auf verschiedene Aspekte wie Herstellungsverfahren, Produkteigenschaften und Zielgruppen eingehen, im Kern aber ihrem alten Geschäftsmodell und ihrer alten Wertschöpfungslogik folgen, können als Pfad-3-Unternehmen gelten. In der Praxis kann dieser Pfad sowohl der Endzustand sein wie auch ein Übergangszustand bei Unternehmen, die sich auf einem der anderen Pfade befinden.

Beispiele für den vierten Pfad finden sich bei Organisationen, die die Fülle bereits vorhandener Produkte als Ausgangspunkt nehmen, um sich auf deren Reparatur, Wiederverwendung und gemeinsame Nutzung zu konzentrieren. Über die Online-Plattform Peerby etwa können Nutzer:innen Anfragen für zeitweilig benötigte Produkte an ein Netzwerk aus lokalen Nachbar:innen richten.

Peerby begann mit einer Non-Profit-Logik und wurde dann um ergänzende Dienstleistungen, die zur Kostendeckung beitragen, erweitert. Etwa die Kooperation mit professionellen Verleihfirmen und gebührenpflichtige Versicherungsoptionen. Ein weiteres Beispiel stellt iFixit dar. iFixit startete als Community, die sich für ein Recht auf Reparatur einsetzt. Inzwischen hat iFixit auch einen wirtschaftlichen Zweig, der über das Verkaufen von Spezialwerkzeugen und Ersatzteilen finanzielle Einnahmen generiert.

Bei genauem Hinsehen zeigt sich, dass sich die zuletzt genannten Beispiele nicht von einem Business Case hin zu einem hybriden Ansatz entwickelt haben. Vielmehr gingen diese Organisationen von einem gesellschaftlichen Anliegen bzw. einer Nachhaltigkeitsherausforderung aus und haben zu dessen Lösung unter anderem auf unternehmerische Mittel zurückgegriffen.

Dies wirft umso mehr die Frage nach Unternehmen auf, die sich von nachhaltigkeitsorientierten Ansätzen so weit inspirieren lassen, dass sie die Lösung ökologischer und/oder sozialer Probleme zur obersten Priorität und zum eigentlichen „Kerngeschäft“ machen.

Derartige Inspirationen können die im Folgenden eingeführten Geschäftsmodellmuster bieten.

Geschäftsmodellmuster als Inspiration für nachhaltige Unternehmensaktivitäten[4]

Einige Geschäftsmodelle kommen als umweltfreundliche Alternativen auf den Markt. Andere sind Ausdruck sozialen Unternehmertums. Wiederum andere sollen Ideen wie die Circular Economy und Sharing populär machen. Die Frage ist folglich: Welche Arten von potenziell nachhaltigen Geschäftsmodellen existieren überhaupt?

In unserer Forschung haben wir eine Klassifizierung von 45 Geschäftsmodellmustern entwickelt, die einen ersten Überblick gibt.[5] Die 45 Geschäftsmodellmuster wurden elf thematischen Gruppen zugeordnet:

  • Umsatz- und Preismodelle
  • Finanzierungsmodelle
  • Modelle für Ökodesign
  • Modelle für die Circular Economy
  • Lieferkettenmodelle
  • Spendenmodelle
  • Modelle für erweiterten Marktzugang
  • Soziale Modelle
  • Servicemodelle
  • Kooperations- und Genossenschaftsmodelle
  • Gemeinschaftsmodelle

Diese elf Gruppen sind im folgenden „Nachhaltigkeitsdreieck“ [6] hinsichtlich ihres nachhaltigen Wertschöpfungspotentials angeordnet (Abb. 2).

Abb. 2. Nachhaltigkeitsdreieck mit 11 Gruppen von Geschäftsmodellmustern (Quelle: Lüdeke-Freund et al., 2018)

Jede Ecke des Dreiecks stellt einen Teilaspekt nachhaltiger Wertschöpfung dar: Ökologie, Soziales und Ökonomie. Die elf Gruppen bzw. 45 Geschäftsmodellmuster lassen sich auf diesem Dreieck positionieren: Je näher ein Geschäftsmodellmuster an einer Ecke liegt, beispielsweise nahe der ökologischen Ecke, desto stärker ist sein erwarteter Beitrag zur jeweiligen Form der Wertschöpfung.

Geschäftsmodelle zwischen zwei Ecken – was auf die meisten zutrifft – können Mischformen (z. B. ökologisch-ökonomisch) und jene in der Mitte voll integrative Formen der Wertschöpfung unterstützen.

Auf der linken Seite des Dreiecks, zwischen ökologischer und der ökonomischer Wertschöpfung, finden sich Muster, die beim Schließen von Material- und Energiekreisläufen helfen können (Gruppe 4). Dies sind Geschäftsmodellmuster für die Circular Economy, z. B. Rücknahme-, Reparatur- oder Recycling-Modelle.

Ein Beispiel für die Kombination von grünen Mustern

Ein Unternehmen, das eine interessante Kombination verschiedener dieser Muster anwendet, ist SodaStream. Das Unternehmen verkauft Geräte zur privaten Herstellung von Mineralwasser. Nutzer dieser Geräte müssen Kohlendioxid in Metallzylinder kaufen, um das Wasser zu sprudeln. Sobald ein Zylinder leer ist, muss dieser zurückgegeben werden (Rücknahme-Muster), um einen neuen zu erhalten. Der Zylinder wird nachgefüllt und an einen anderen Kunden weitergegeben (Wiederverwendungs-Muster). Wenn ein Zylinder kaputt ist, wird sein Metall recycelt (Recycling-Muster).

In diesem Geschäftsmodell werden die meisten Komponenten kontinuierlich wiederverwendet. Da SodaStream den größten Teil seiner Einnahmen mit den Gaszylindern erzielt, hat das Unternehmen einen Weg gefunden, ein Geschäft auf der Basis von zirkulierendem Material aufzubauen, anstatt Wasser in Wegwerfflaschen zu verkaufen.

Während SodaStream ein gutes Beispiel dafür ist, wie potenziell grüne Muster kombiniert werden können, sollten wir auch einen Blick auf den „sozialen Teil“ des Dreiecks werfen. Soziale Probleme werden häufig durch fehlenden Zugang zu Dienstleistungen, Nahrungsmitteln, Gesundheitsversorgung oder Bildung verursacht. Dies ist sehr oft mit wirtschaftlichen und finanziellen Problemen verbunden.

Familien ohne Geld können es sich nicht leisten, ihre Kinder zur Schule oder zum Arzt zu schicken. Hiermit sind wir bspw. bei der indischen Augenklinik-Kette Aravind Eye Care System und dessen Social Freemium-Muster, das wir an anderer Stelle ausführlich diskutieren.

Diese und viele weitere Fallbeispiele sowie eine ausführliche Darstellung der 45 Geschäftsmodellmuster sind in der Monografie „Sustainable Business Model Design – 45 Patterns“ (2022) beschrieben.

Auf dem Weg zu nachhaltigen Geschäftsmodellen!

Es bedarf keinerlei Diskussion mehr, ob Unternehmen sich auf den Weg zu nachhaltigen, zirkulären, inklusiven oder sozialen Geschäftsmodellen machen sollten.

Die Frage ist vielmehr, wie sie diesem Weg folgen oder ihn selbst gestalten können.

Unsere langjährige Forschung hat gezeigt, dass es sehr viele positive Beispiele, neue Theorien und Innovationsinstrumente gibt. Doch insgesamt bleiben die aktuellen praktischen Bemühungen eher anekdotisch bzw. handelt es sich meistens um Einzelfälle, die dann aber umso häufiger als Beispiel zitiert werden (z. B. Unternehmen wie Vaude oder Fairphone).

Es gilt nun auf Basis des Wissens über Geschäftsmodellpfade und -muster eine Bewegung in Gang zu setzen, die sowohl die großen Corporates als auch Start-Ups einschließt und bei der die Lösung ökologischer und sozialer Probleme den zentralen Anstoß für die Entwicklung neuer und besserer Geschäftsmodelle gibt.

Literatur

[1] Kunzlmann, J.; Edinger-Schons, L. & Kraemer, A. (2021): Sustainability Management Monitor.

[2] Lüdeke-Freund, F. & Dembek, K. (2017): Sustainable Business Model Research and Practice: Emerging Field or Passing Fancy?, Journal of Cleaner Production, Vol. 168, 1668-1678.

[3] Lüdeke-Freund, F. (2018): Unternehmerische Verantwortung und Nachhaltigkeit – Welche Rolle spielen Geschäftsmodelle?, in: Bungard, P. (Hrsg.): CSR und Geschäftsmodelle. Berlin: Springer, 29-55.

[4] Lüdeke-Freund, F. (2020): Wie Du ein nachhaltiges Geschäftsmodell entwickelst.

[5] Lüdeke-Freund, F.; Breuer, H. & Massa, L. (2022): Sustainable Business Model Design – 45 Patterns. Berlin.

[6] Nachhaltigkeitsdreieck basierend auf Kleine & von Hauff, 2009.


Weitere Beiträge zum Thema auf unserem Blog:

KMU-Klima-Deal: Auf dem Weg zur Klimaneutralität von Prof. Dr. Jana Brauweiler und Kollegen, Hochschule Zittau/Görlitz

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