„Um ressourcenschonender zu wirtschaften, müssen wir zukünftig mehr in ganzheitlichen Kreisläufen denken“

Dr.-Ing. Julia R. TschescheEffizienz-Agentur NRW

Es scheinen die berühmten zwei Fliegen mit einer Klappe zu sein: Wenn Unternehmen Ressourcen effizienter nutzen, indem sie beispielsweise Material einsparen, können sie die Umwelt schonen und gleichzeitig ihre Kosten senken.

Um ressourcenschonender zu wirtschaften, müssen wir zukünftig mehr in ganzheitlichen Kreisläufen im Sinne einer Circular Economy denken, sagt Dr. Julia R. Tschesche. Sie ist Geschäftsleiterin Strategie und Entwicklung der Effizienz-Agentur NRW.

Frau Dr. Tschesche, Sie gehören zur Geschäftsleitung der Effizienz-Agentur NRW. Was genau sind die Aufgaben der Agentur?

Die Effizienz-Agentur NRW wurde 1998 auf Initiative des NRW-Umweltministeriums gegründet und arbeitet in dessen Auftrag. Unser Ziel ist es, Industrie und Handwerk in Nordrhein-Westfalen Impulse für ein ressourceneffizientes Wirtschaften zu geben und somit zur Ressourcenschonung beizutragen.

Wir unterstützen produzierende Unternehmen mit unserer Ressourceneffizienz-Beratung dabei, ihre Produkte und Prozesse effizienter zu gestalten und damit Kosten und Umweltbelastungen zu reduzieren. Dabei treten wir in den Beratungsprojekten als neutraler Coach auf. Die Analyse vor Ort führt ein vom Unternehmen wählbarer freier Berater durch. Die Beratungskosten sind bis zu 70 Prozent förderfähig.

Darüber hinaus berät die EFA mit ihrer Finanzierungsberatung Unternehmen, wenn es um die Finanzierung von notwendigen Forschungs- und Entwicklungsvorhaben oder Investitionen geht, und begleitet die Umsetzung von Ressourceneffizienz-Maßnahmen.

Entscheidend für unsere Arbeit ist es, dass auf Basis der identifizierten Potenziale konkrete Maßnahmen entwickelt und umgesetzt werden, um den Ressourcenverbrauch nachhaltig in den Unternehmen zu senken.

Haben Sie ein „typisches“ Beispiel für uns, welche Prozesse in Unternehmen effizienter gemacht werden können?

Unser Fokus liegt auf der Produktgestaltung und den Produktionsprozessen – und das branchenübergreifend. Schwerpunkte in Nordrhein-Westfalen sind unter anderem die Metallindustrie, Oberflächenveredlung, Kunststoffverarbeitung, aber auch die Lebensmittel- und holzverarbeitende Industrie.

Überall dort, wo betriebsinterne Stoffkreisläufe geschlossen und so Material-, Abwasser- und Energiekosten gesenkt werden, wo die Effizienz des Maschinenparks erhöht sowie Ausschuss verringert wird, hat dies nicht nur positive Auswirkungen auf den Unternehmenserfolg. Auch die Umwelt profitiert von der Ressourcenschonung.

Ressourceneffizienz senkt den Materialverbrauch und steigert gleichzeitg die Wettbewerbsfähigkeit.

Mit durchschnittlich 42 Prozent sind die Materialkosten im produzierenden Gewerbe der mit Abstand größte Kostenfaktor. Und dabei sind nicht nur die Einsparungen bei den eigentlichen Materialkosten zu berücksichtigen. Sondern auch die bei den nachfolgenden wertschöpfenden Prozessen und der möglichen Entsorgungen anfallenden Kosten, die vermieden werden. Das kann man sich so vorstellen, als würde man erst Abfall „produzieren“, der dann auch noch teuer entsorgt werden muss.

Darüber hinaus blicken wir über die einzelbetriebliche Betrachtung hinaus auf die Wertschöpfungsketten und beschäftigen uns mit Themen wie ecodesign und Digitalisierung. Gerade hier liegen große Potenziale für die Wirtschaft.

Eine aktuelle Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln zeigt, dass sich Mithilfe der Digitalisierung Ressourceneffizienz nicht nur leichter messen lässt, sondern auch erhebliche Einsparpotenziale gehoben werden können. Mit unserem „Ressourceneffizienz 4.0“-Ansatz unterstützen wir Unternehmen auch auf diesem Weg aktiv.

[Anmerkung der Redaktion: Mehr zu der IW-Studie erfahren Sie hier auf unserem Blog.]

Häufig wird beim Thema Ressourcen über Energie gesprochen. Gibt es Ressourcen, die aus Ihrer Sicht – aufgrund von Umweltschäden oder Knappheit – stärker in den Blick genommen werden sollten?

Es gibt eine Reihe von Rohstoffen oder Materialien, die für Industrie und Handwerk als kritisch angesehen werden können. Die Deutsche Rohstoff Agentur in Berlin veröffentlicht dazu ein jährliches Monitoring.

Das können Rohstoffe sein, deren Gewinnung in einem steigenden Maße die Umwelt schädigt oder die unter sozial inakzeptablen Bedingungen gewonnen werden oder aus Regionen stammen, in denen sich aufgrund ökonomischer oder ökologischer Faktoren die Verfügbarkeit nicht vorhersagen lässt.

Wichtig ist jedoch, uns vor Augen zu führen, dass Deutschland ein rohstoffarmes Industrieland ist.

Zum Beispiel Kunststoffe: Die Deutsche Welle berichtete vor kurzem, dass sich in den ersten drei Monaten des Jahres wichtige Kunststoffe der Verpackungsindustrie stark verteuert haben – Polyethylen, aus dem u. a. Müllsäcke und Folien hergestellt werden, etwa um mehr als 35 Prozent. Der effiziente und schonende Umgang mit Ressourcen ist also unabdingbar.

© PublicDomainPictures – pixabay.com

Neben Verbesserungen in den Produktionsprozessen setzen wir zur Steigerung der Ressourceneffizienz auch auf die Produktentwicklung und -gestaltung. Ein ressourceneffizientes Produktdesign ist die Basis für eine nachhaltige Senkung des Material- und Energieverbrauchs über den gesamten Lebenszyklus eines Produktes hinweg.

Solche Produkte überzeugen nicht nur durch geringen Material- und Energieverbrauch, sondern bieten einen unmittelbaren Mehrwert: Sie verbrauchen weniger Ressourcen während ihrer Gebrauchsphase und sind nutzerfreundlich in der Bedienung, Wartung und Reparatur.

Mit unserem ecodesign-Angebot unterstützen wir im Rahmen der Ressourceneffizienz-Beratung Unternehmen bei der strategischen Ausrichtung ihrer Produktentwicklung.

Vor welchen Hindernissen stehen Unternehmen in der Praxis, wenn sie ressourceneffizienter werden wollen?

In kleinen und mittleren Unternehmen bestehen große Potenziale, Prozesse ressourceneffizienter zu gestalten. KMU haben oft geringere personelle Kapazitäten im Betrieb, um Prozesse hinsichtlich möglicher Ressourceneinsparungen zu analysieren.

In vielen Unternehmen steht das Tagesgeschäft im Vordergrund; es gilt Kundenanforderungen zu erfüllen. Die Ressourceneffizienz-Beratung der EFA ermöglicht es Unternehmen, einen Überblick über bestehenden Effizienz-Potenziale in der Produktion zu erhalten – und das in einem überschaubaren Zeit- und Kostenrahmen. Am Ende erhalten sie einen konkreten Maßnahmenplan.

Für viele Unternehmen ist die Beratung ein Aha-Erlebnis. Denn Ressourceneffizienz-Maßnahmen führen nicht nur zu kurzfristigen Einsparungen, sondern leisten auch einen konkreten Beitrag zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit. Damit geben wir Unternehmen einen konkreten Anstoß, um über das einzelne Beratungsprojekt hinaus das Thema Ressourceneffizienz in ihren Betrieben weiterzuverfolgen.

Haben Sie den Eindruck, dass die Bedeutung des Themas Ressourceneffizienz in den vergangenen Jahren zugenommen hat? Oder gibt es hier noch viel Luft nach oben?

Vor allem das Thema Nachhaltigkeit hat in den vergangenen Jahren einen hohen Bekanntheitsgrad erlangt und wird auch von vielen Unternehmen mit Leben gefüllt. Oft steht beim nachhaltigen Umgang mit Ressourcen aber eher der Energiebereich im Vordergrund. Eine Photovoltaik-Anlage auf dem Hallendach hat ihre Berechtigung.

Doch der Blick muss stärker auf den Rohstoff- und Materialverbrauch in Produktionsprozessen oder bei Produkten gerichtet werden. Hier schlummern große Einsparmöglichkeiten entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Wer hier effizient wirtschaftet, weniger Ausschuss produziert, Kreisläufe schließt und Ressourcen schont, handelt nachhaltig und ressourceneffizient.

Um ressourcenschonender zu wirtschaften, müssen wir zukünftig mehr in ganzheitlichen Kreisläufen denken.

Die EU-Strategie der Circular Economy nimmt genau diesen Gedanken auf, indem vom Produkt ausgehend auf den Nutzungskreislauf geschaut wird. Diese Strategie zielt darauf ab, sowohl Rohstoffe als auch Produkte so lange wie möglich in der technischen Nutzung und somit im Wirtschaftsprozess zu halten.

Mittelfristig müssen wir zu alternativen Nutzungsformen kommen, zu einer Sharing Economy im Sinne von „Nutzen statt besitzen“. Ein Beispiel: Statt Waschmaschinen zu kaufen, kann der Kunde diese leasen und nur für die Benutzung zahlen, die digital erfasst wird. Hier muss es also nicht nur zu einem Umdenken in den Unternehmen kommen, sondern auch bei den Konsumenten.

An welchen politischen Stellschrauben müsste aus Ihrer Sicht gedreht werden, um Anreize für mehr Ressourceneffizienz zu setzen?

Die Politik auf Landes-, Bundes- und EU-Ebene kann durch Anreize, ordnungsrechtliche Leitplanken und Förderprogramme die Wirtschaft bei der Transformation hin zu einer Circular Economy unterstützen. Hier ist in den vergangenen Jahren schon viel geschehen. Denken wir z. B. an den Green Deal der EU.

Der Wandel betrifft aber nicht nur die Wirtschaft. Insgesamt muss unsere Gesellschaft mit Rohstoffen und Energie schonender umgehen.

Wir als Gesellschaft müssen also definieren, wo wir hin wollen. Der Politik kommt dabei auch eine wichtige Moderatorenrolle zu, wenn es um das Abwägen von möglichen Zielkonflikten innerhalb der Gesellschaft geht.

Nordrhein-Westfalen hat die Dringlichkeit des Themas Circular Economy erkannt. So hat die Landesregierung Ende vergangenen Jahres im Rahmen ihrer Corona-Hilfen das Sonderprogramm „Kreislaufwirtschaft und Ressourceneffizienz“ mit Zusatzmittel in Höhe von bis zu 10 Millionen Euro für den Ausbau der Kreislaufwirtschaft im Sinne einer Circular Economy und zur Steigerung der Ressourceneffizienz in produzierenden Unternehmen aufgelegt.

Private gewerbliche Unternehmen aus Nordrhein-Westfalen können einen Antrag stellen, wenn sie erstmalig großtechnisch neuartige ressourceneffiziente Technologien bzw. Recyclingtechnologien zur Anwendung bringen. Die Projekte können mit bis zu 500.000 Euro gefördert werden.

Darüber hinaus hat das Land die Förderquote im Beratungsprogramm „Ressourceneffizienz.NRW“ von 50 auf 70 Prozent erhöht. Davon profitieren alle produzierenden Unternehmen, die noch unsicher sind, in welcher Form sie sich durch ressourceneffizientere Verfahren zukunftsfähiger aufstellen können.

Hier hilft das breite Angebot an Analysemethoden der EFA. Diese Anreize sind ein starkes Zeichen der Landesregierung. Sie hat erkannt, dass Ressourceneffizienz  und Circular Economy wichtige Faktoren ezur Bewältigung der Corona-Folgen in der Wirtschaft ist.

 



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