Staatsfinanzen im Fokus – wie Megatrends, Kriege und Krisen den Fiskus herausfordern
Das jüngste Scheitern der Ampelkoalition an einer Einigung zu finanzpolitischen Fragen verdeutlicht, dass Deutschland vor einer großen Herausforderung steht: Wie lassen sich dringende Investitionen in die Dekarbonisierung der Volkswirtschaft, die Modernisierung des Standorts und die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands realisieren, ohne die Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen zu gefährden?
Dieser Frage widmen wir uns in unserem sechsten Megatrend-Report, in dem wir ein umfassendes Lagebild der fiskalischen Entwicklungen und Zukunftsaufgaben sowie einen Überblick über Finanzierungsoptionen anbieten.
Niedrige Investitionen, niedrige Verschuldung und hohe konsumtive Ausgaben
Ein Blick auf die Entwicklung der öffentlichen Finanzen in den letzten Jahrzehnten zeigt, dass die konsumtiven Staatsausgaben deutlich stärker gewachsen sind als die Gesamtwirtschaft. Ihr Anteil am BIP erreicht mit 22 Prozent unter den G7-Staaten das zweithöchste Niveau.
Insbesondere die Ausgaben der Sozialversicherungen haben stark zugenommen, was auf eine gestiegene Zahl an Anspruchsberechtigten sowie erweiterte Leistungsansprüche zurückzuführen ist.
Gleichzeitig liegen die Nettoanlageinvestitionen des Staates – also z.B. Ausgaben für neue Bauten, Maschinen oder geistiges Eigentum abzüglich Abschreibungen – seit 1997 nahe Null. Das bedeutet, dass der Staat mit seinen Investitionen lediglich den Verschleiß der bestehenden Infrastruktur kompensiert.
Auch der Anteil der Bruttoanlageinvestitionen am BIP – also Investitionen ohne Berücksichtigung von Abschreibungen – liegen in Deutschland seit Jahrzehnten weit unter dem EU-Durchschnitt (vgl. Abbildung).
Seit 1991 ist die nominale Staatsverschuldung in Deutschland angestiegen. Der Anstieg der Schulden des Bundes ist im Wesentlichen darauf zurückzuführen, dass der Bund anderen staatlichen Akteuren Zuweisungen zahlt, die dort einen Anstieg der Verschuldung verhindern oder zumindest reduzieren. Das sind u.a. Zuweisungen an die Bundesländer und die Bundeszuschüsse zu den Sozialversicherungen.
Heute liegt die deutsche Staatsschuldenquote bei 63 Prozent. Unter den G7-Staaten ist sie damit mit Abstand die niedrigste. Alle anderen sechs führenden Industrieländer wiesen 2023 eine Staatsschuldenquote von über 100 Prozent des BIP auf (vgl. Abbildung). Zudem weist Deutschland im Vergleich der G7-Staaten eine sehr hohe Einnahmen- (etwa 46 % des BIP) und Ausgabenquote (etwa 48 % des BIP) auf.
Mehr als 100 Milliarden Euro jährlich für öffentliche Mehr- und Nachholbedarfe
Die staatliche Investitionszurückhaltung in der Vergangenheit sorgt jedoch für große Aufholbedarfe zur Erreichung der Klimaneutralität, Verbesserung der Bildungsinfrastruktur oder der Sicherstellung der Verteidigungsfähigkeit. Zusätzlich führt die Alterung der Gesellschaft zu weiteren Herausforderungen für den Fiskus.
Allein die ökologische Transformation wird bis 2030 zusätzliche jährliche Ausgaben in Höhe von 40 bis 50 Mrd. Euro erfordern. Darüber hinaus verursacht der fortschreitende Klimawandel stärkere und häufiger auftretende Extremwetterereignisse, die enorme Zusatzkosten für die öffentlichen Haushalte bedeuten. Nicht zu vernachlässigen sind daher Investitionen in Klimaanpassung.
Um die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands zu stärken und das 2-Prozent-Ziel der NATO zu erreichen, bedarf es nach Auslaufen des Sondervermögens ab 2027 einer Erhöhung des Verteidigungsetats um etwa 30 Mrd. Euro jährlich. Zusätzliche öffentliche Investitionen sind außerdem notwendig, um die Cybersicherheit und den Zivilschutz zu verbessern.
Aufgrund des demografischen Wandels könnte der Bundeszuschuss zu den Sozialversicherungen bei gleichbleibendem Leistungsniveau und unveränderter Beitragshöhe bis 2060 auf rund 450 Mrd. Euro anwachsen. Das entspricht in etwa dem Umfang des gesamten aktuellen Bundeshaushalts.
Im Bereich der Digitalisierung wird allein für den flächendeckenden Ausbau der Glasfasernetze ein öffentlicher Finanzbedarf von rund 10 Mrd. Euro veranschlagt. Im Bereich der Verwaltungsdigitalisierung werden bisher lediglich 30-50 Prozent aller Verwaltungsleistungen digital angeboten. Um alle Verwaltungsdienstleistungen digital verfügbar zu machen (ein Ziel, das bereits 2022 erfüllt sein sollte), bedarf es weiterer Finanzmittel; jedoch besteht über die notwendigen Volumina kein Konsens.
Im Bildungssektor fehlen trotz langjährig geltender Rechtsansprüche für Kinder unter sechs Jahren etwa 430.000 Betreuungslätze. Besonders akut ist der Betreuungsmangel bei Kindern unter drei Jahren. Zur Schließung der Betreuungslücke muss der Staat mehr Erzieher:innen beschäftigen, wofür allein 4-13 Mrd. Euro jährlich an zusätzlichen Personalkosten notwendig sind. In den allgemeinbildenden Schulen melden Kommunen einen Investitionsrückstand von etwa 55 Mrd. Euro.
Auch bei den Ausgaben für Forschung und Entwicklung (FuE) ist ein erheblicher öffentlicher Mittelzuwachs erforderlich. Um die angestrebte Steigerung der FuE-Quote auf 3,5 Prozent des BIP bis 2025 zu erreichen, müssen die FuE-Ausgaben um rund 8 Mrd. Euro erhöht werden. Auf EU-Ebene wird bis 2030 außerdem eine Steigerung der öffentlichen FuE-Ausgaben auf 1,25 Prozent des BIP angestrebt, was für Deutschland zusätzliche jährliche Finanzbedarfe von etwa 25-30 Mrd. Euro bedeutet. Dies entspricht fast einer Verdopplung des aktuellen FuE-Etats.
Finanzierungsoptionen für Zukunftsaufgaben
Grundsätzlich kommen zur Finanzierung der genannten Herausforderungen drei Vorgehensweisen in Frage: Die Kürzung von Ausgaben in anderen Bereichen öffentlicher Haushalte, die Erhöhung der Staatseinnahmen aus Steuern, Abgaben und Gebühren oder die Aufnahme zusätzlicher Schulden. Pauschale Steuererhöhungen scheinen angesichts des ohnehin hohen Abgabenniveaus und der stagnierenden Wirtschaftsleistung wenig sinnvoll.
Einsparpotenziale im Haushalt bestehen etwa bei klimaschädlichen Subventionen und einigen Sozialausgaben. Doch wären entsprechende Maßnahmen nicht ansatzweise ausreichend, um die großen Finanzbedarfe zu decken. Angesichts der niedrigen Schuldenquote und der weiterhin günstigen Zinssätze für deutsche Staatsanleihen empfiehlt sich eine Kreditfinanzierung für viele dieser erforderlichen Investitionen (vgl. Abbildung).
Wenngleich erheblicher Handlungsbedarf bei der Optimierung von Ausgaben und Einnahmen öffentlicher Haushalte besteht, hat dieses Vorgehen Grenzen und es ist nicht davon auszugehen, dass die zusätzlichen Ausgabenbedarfe dadurch vollständig gedeckt werden können.
Vieles spricht deshalb für eine verantwortungsvolle Ausweitung des Kreditspielraums für investive Ausgaben. Eine maßvolle Reform deutschen Schuldenbremse sollte sicherstellen, dass die öffentliche Hand den strukturellen wie akuten Handlungsbedarfen gerecht werden kann und dabei die Nachhaltigkeit der Staatsfinanzen gewahrt bleibt.
Weitere Beiträge zum Thema auf unserem Blog:
Das Neue Magische Viereck: Ökonomische Stabilität und ökologische Nachhaltigkeit von Dr. Tom Bauermann, Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK)
Ungelöste Herausforderungen in der Klimafinanzierung von Niklas Illenseer, MCC Berlin
Ökologische Transformation und solide Finanzen dürfen kein Widerspruch sein von Prof. Dr. Silke Übelmesser, Friedrich-Schiller-Universität Jena
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