Nicht weniger, sondern bessere Arbeitsplätze durch künstliche Intelligenz

Prof. Dr. Ulrich LichtenthalerInternational School of Management (ISM)

Welchen Einfluss haben die aktuellen Fortschritte bei der Entwicklung künstlicher Intelligenz (KI) auf die Arbeitsplätze in Deutschland? Oder konkret: was passiert mit meinem Job, wenn das Unternehmen, in dem ich arbeite, mehr KI einsetzt?

Diese und ähnliche Fragen stellen sich aktuell viele Personen am Standort Deutschland, von der Politik über Mitarbeitende in Unternehmen bis hin zu Startups und Entrepreneuren. Diese Themen können völlig zu Recht nicht ignoriert werden, denn Digitalisierung und KI beeinflussen bereits täglich das Leben von uns allen, wobei diese Auswirkungen künftig weiter zunehmen werden.

Tatsächlich gehen nur 8% der Firmen davon aus, dass ihr Geschäftsmodell durch die digitale Transformation und stärkere Nutzung von KI auch künftig wirtschaftlich tragfähig ist. Das ist das Ergebnis einer Umfrage von über 2.000 Firmen weltweit, die 2018 in McKinsey Quarterly veröffentlicht wurde.

Zwar zeigt der KfW Digitalisierungsbericht 2020, dass ein Drittel der mittelständischen Firmen in Deutschland coronabedingt ihre Digitalisierung ausgeweitet hat. Allerdings führt ein weiteres Drittel der Unternehmen weiterhin keine Digitalisierungsaktivitäten durch.

Bloßes Abwarten, dass dieser Trend vorbeigeht, wird jedoch in aller Regel nicht ausreichen. Vielmehr befinden wir uns noch am Beginn des Wandels durch KI.

KI und Integrierte Intelligenz

Der Schwerpunkt der meisten Unternehmen bei der Nutzung von KI lag in den letzten Jahren auf der Automatisierung von Tätigkeiten, die in der Vergangenheit noch nicht automatisiert werden konnten.

Eine erfolgreiche Umsetzung vorausgesetzt, konnte so oft die Effizienz von Abläufen gesteigert werden, weil menschliche Tätigkeiten durch KI ersetzt wurden. Ansonsten haben sich bestehende Prozesse jedoch kaum bis gar nicht verändert.

Das Konzept der ‚Integrierten Intelligenz‘ verdeutlicht allerdings, dass eine solche Automatisierung nur eine Seite der KI-Nutzung darstellt. Die zweite Seite konzentriert sich auf die Kombination menschlicher Intelligenz und Expertise mit KI und Datenanalytik.

Dadurch werden menschliche Fähigkeiten ergänzt und erweitert, anstatt lediglich Arbeitskraft zu ersetzen. Hierdurch ergeben sich in vielen Unternehmen Möglichkeiten, ganz neue Lösungen für ihre Kunden zu entwickeln.

Anstatt KI als isolierte Lösung zur weiteren Automatisierung zu nutzen, können Firmen mit solch Integrierter Intelligenz deutlich mehr aus ihren Möglichkeiten machen.

Grundlage hierfür ist allerdings ein stärkerer Fokus auf unternehmerischem Denken und der Entwicklung von Innovationen – einschließlich ganz neuer Lösungen, um dadurch Wachstum und neue Erlösströme zu erschließen. Von entscheidender Bedeutung sind dabei Herausforderungen auf drei sich ergänzenden Gestaltungsebenen.

© Lenny Kuhne – unsplash.com

Wesentliche Gestaltungsebenen

Erstens sollte auf nationaler Ebene – insbesondere in Politik, Verbänden und anderen Organisationen – das Bewusstsein weiter geschärft werden, dass Digitalisierung und KI natürlich auf neue technologische Möglichkeiten zurückzuführen sind. Gleichzeitig aber essenzielle Aspekte des Wandels die nicht-technologischen Auswirkungen für Märkte, Management und Geschäftsmodelle betreffen.

Förderprogramme zur technischen Entwicklung von KI-Lösungen stellen einen wichtigen Schritt dar, der allerdings unbedingt flankiert werden sollte von einer stärkeren Sensibilisierung für die Auswirkungen von KI auf Geschäftsmodelle und Management-Anforderungen in verschiedenen Branchen.

Von diesen nicht-technologischen Auswirkungen hängt das erfolgreiche Weiterbestehen vieler Betriebe mindestens ebenso stark ab wie von den eigentlichen technologischen Neuerungen.

KI auf Unternehmensebene als Chance

Zweitens sollte auf Ebene der Unternehmen ein systematisches Verständnis für die jeweiligen Auswirkungen von KI für die gesamte Organisation erarbeitet werden. Dabei sollte KI nicht nur als mögliche Gefahr für die bestehenden Geschäftsaktivitäten angesehen werden, sondern auch als große Chance, um neue Kernkompetenzen für die Zukunft aufzubauen.

In meinen zahlreichen Projekten, Kooperationen und Gesprächen mit Großkonzernen und Mittelständlern stelle ich immer wieder fest, dass bisherige KI-Anwendungen oft isolierte Insellösungen bilden, wohingegen ein strategischer Überblick verbunden mit einer Priorisierung vielversprechender Projekte fehlt. Dadurch werden vorhandene Ressourcen nicht optimal eingesetzt und gleichzeitig bleiben zahlreiche Potenziale ungenutzt.

KI auf Mitarbeiterebene als Chance

Drittens sollte auf Ebene einzelner Mitarbeitender in Unternehmen eine stärkere Sensibilisierung für die Risiken, aber auch für die Chancen von KI erfolgen. Verschiedene Studien belegen die Relevanz eines ‚No-Human-Interaction‘ Paradoxes bei vielen Personen.

Einerseits bevorzugen die meisten Mitarbeitenden die persönliche Interaktion mit Kollegen und Kolleginnen am Arbeitsplatz, zum Beispiel anstelle der Interaktion mit einem Chatbot.

Gleichzeitig nutzen dieselben Personen gerne KI-Lösungen, wenn diese ihnen die Arbeit erleichtern, zum Beispiel auch bei so einfachen Dingen wie KI-basierten Textvorschlägen beim Tippen von Nachrichten auf dem Smartphone.

Je nach Situation stehen dieselben Mitarbeitenden KI also eher zurückhaltend oder sehr offen gegenüber.

Diese paradoxen Einstellungen bilden gerade auch für das Human Resources Management eine wichtige Herausforderung.

KI und mögliche bessere Arbeitsplätze

Die Herausforderungen auf diesen drei Gestaltungsebenen verdeutlichen die enormen Auswirkungen von KI auf bestehende und neue Arbeitsplätze. Ja, es werden zahlreiche Jobs verloren gehen, weil Tätigkeiten mithilfe von KI automatisiert werden können.

Gleichzeitig werden auch zahlreiche neue Jobs durch KI entstehen, weil sich eben nicht nur Möglichkeiten zur Automatisierung, sondern auch neue Chancen durch die Erweiterung menschlicher Intelligenz mithilfe von KI bieten.

Wie groß der sich ergebende Netto-Effekt auf die Anzahl von Arbeitsplätzen sein wird, ist aktuell noch Gegenstand intensiver Diskussionen in Forschung und Praxis. Falls der eigene Arbeitsplatz davon betroffen sein sollte, dass manche Jobs wegfallen, hilft eine solche Diskussion dem Einzelnen natürlich nicht weiter.

Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass eine große Zahl von Arbeitsplätzen sich durch KI nennenswert ändern und nicht komplett ersetzt wird. Dabei geht es also um die Transformation von bisherigen Aktivitäten mithilfe von KI.

Im Ergebnis werden diese Jobs anders sein und möglicherweise sogar besser – aus Sicht der Unternehmen und auch der einzelnen Mitarbeitenden.

Mit grundlegender Offenheit gegenüber KI sowie der Bereitschaft zur kontinuierlichen Weiterbildung an der Schnittstelle von menschlicher Expertise und KI können Unternehmen sowie Einzelpersonen ihre Chancen und Herausforderungen aktiv angehen.

Gerade für viele Arbeitsplätze in hochspezialisierten Firmen am Standort Deutschland ergeben sich über die reine Automatisierung hinaus große Chancen für neue Kernkompetenzen durch Integrierte Intelligenz. Diese weitergehende Nutzung von KI bildet eine wichtige Grundlage zur künftigen Stärkung von Innovation und Wettbewerbsfähigkeit für inklusives Wachstum.



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