Mit Innovationen und Produktivität gegen die Inflation
Im Herbst 2021 waren die Preise, die die Verbraucher:innen in Deutschland zahlen mussten, rund vier Prozent höher als im Herbst 2020. Verantwortlich für die höchsten Inflationsraten seit 1993 sind Effekte der Corona-Pandemie.
Wenn diese auslaufen, ist wieder mit geringeren Inflationsraten zu rechnen. Inflationsprobleme adé? Nein, denn langfristig können die globale demografische Entwicklung und die Klimakrise die Verbraucherpreise wieder steigen lassen. Innovationen und Produktivitätssteigerungen wirken dem entgegen.
Inflationstreiber in der Corona-Pandemie
Generell beschreibt Inflation einen Zustand, in dem die Preise für Güter – allen voran für Konsumgüter – im Laufe der Zeit steigen. Wie kommt es dazu?
In marktwirtschaftlich organisierten Volkswirtschaften gehen die Preise in die Höhe, wenn die gesamtwirtschaftliche Nachfrage nach Gütern größer ist als deren Angebot. Aber es gibt auch angebotsseitige Inflationsursachen. Sie resultieren aus steigenden Produktionskosten, die die Güterpreise steigen lassen.
Für das starke Ansteigen der Verbraucherpreise in Deutschland während der Corona-Pandemie sehe ich fünf zentrale Ursachen:
1. Aufschwung mit steigenden Energiepreisen
Unmittelbar nach Ausbruch der Corona-Pandemie in Europa und den USA wurden dort spürbar weniger Konsumgüter gekauft. Unternehmen passten sich an die Nachfragerückgänge an, verringerten ihre Produktion – und damit auch die Nachfrage nach Rohstoffen, besonders nach fossilen Brennstoffen.
Entsprechend gingen deren Preise mit Ausbruch der Corona-Pandemie zurück, vor allem im März und April 2020. Als die Preise mit dem wirtschaftlichen Aufschwung wieder steigen, sind sie in den gleichen Monaten des Jahres 2021 deutlich höher. Das ist jedoch ein einmaliger Effekt.
2. Mehrwertsteuersenkung
In Deutschland wurde die Mehrwertsteuer zwischen dem 1. Juli und dem 31. Dezember 2020 abgesenkt. Nach dem Auslaufen dieser wirtschaftspolitischen Maßnahme kommt es einmalig zu entsprechend höheren Preisen in den Monaten Juli bis Dezember 2021.
3. Kräftiger weltweiter Nachfrageanstieg
Der weltweite wirtschaftliche Aufholprozess seit Herbst 2020 führt zu einer höheren Nachfrage nach Rohstoffen und Vorleistungen, deren Preise deshalb steigen. Hinzu kommt, dass mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie Vorleistungen aus China bzw. Asien ausblieben.
Unternehmen in Deutschland, die mit Lagervorräten arbeiten, haben diese mittlerweile aufgebraucht. Die Wiederauffüllung dieser Vorräte bewirkt einen zusätzlichen Nachfrageschub nach Rohstoffen und Vorleistungen. Und auch die staatlichen Konjunkturpakete kurbeln die gesamtwirtschaftliche Güternachfrage an und wirken damit inflationär.
4. Fehlende Produktionskapazitäten
Als die Güternachfrage mit Ausbruch der Corona-Pandemie absackte, haben viele Unternehmen weltweit ihre Produktionskapazitäten heruntergefahren, also auch Beschäftigte entlassen und Investitionen gedrosselt.
Diese Kapazitäten lassen sich nicht immer von heute auf morgen wieder hochfahren, schließlich haben sich die Beschäftigten möglicherweise neue Jobs gesucht und stehen ihren ursprünglichen Arbeitgeber:innen somit nicht mehr zur Verfügung.
Die Konsequenz: Das Angebot der Unternehmen kann nicht sofort an die höhere Nachfrage angepasst werden. Der daraus resultierende Nachfrageüberhang wirkt weltweit preisniveauerhöhend.
5. Störung der globalen Transportwege
Selbst wenn Rohstoffe, Vorleistungen und Endprodukte bereitstehen, lassen sie sich nicht immer zeitnah dorthin transportieren, wo sie benötigt werden. Das betrifft allen voran die Verfügbarkeit von Containern: Besonders in Asien fehlen immer wieder Hafenarbeiter:innen wegen coronabedingter Quarantäne. Container werden nicht entladen und stehen deshalb nicht für weitere Transporte zur Verfügung.
Das führt zu Lieferengpässen in Deutschland und Europa. Die Blockade des Suezkanals durch das Containerschiff „Ever Given“ im Frühjahr 2021 verschärft diese Engpässe. Diese Unterbrechungen der globalen Lieferketten durch Produktionsausfälle und Störungen der Transporte sind ein temporäres Phänomen, das sich im Laufe des Jahres 2022 abschwächen sollte.
Dies zeigt der Blick auf die im Oktober 2021 veröffentlichte Gemeinschaftsdiagnose zur wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland: Für 2021 wird eine Steigerung der Verbraucherpreise um drei Prozent gegenüber 2020 prognostiziert. Die für 2022 vorhergesagte Inflationsrate liegt bei 2,5 Prozent und für 2023 werden dann „nur“ 1,7 Prozent erwartet.
Inflationstreiber in der langen Frist
Das bedeutet jedoch nicht, dass das Thema Inflation damit von der wirtschaftspolitischen Agenda verschwindet. Der weltweite demografische Wandel, der Klimawandel, die Verteuerung emissionshaltiger Aktivitäten im Zuge des Klimaschutzes und Deglobalisierungstendenzen dürften in den nächsten Jahrzehnten zu tendenziell steigenden Güterpreisen führen.
#1 Globale demografische Entwicklung
Die Weltbevölkerung wächst immer weiter. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen ist zwischen 2019 und 2050 mit einem Anstieg der auf der Welt lebenden Menschen von rund 7,7 auf 9,7 Milliarden zu rechnen. Und mehr Menschen benötigen mehr Konsumgüter.
Dort, wo wegen natürlicher Grenzen der verfügbaren Ressourcen keine beliebig hohe Ausweitung des Angebots möglich ist, kommt es zu einem Nachfrageüberhang mit inflationären Tendenzen. Dies betrifft vor allem den Produktionsfaktor Boden – und damit die Herstellung von Nahrungsmitteln sowie die Bereitstellung von Wohnraum.
Ein zweiter Aspekt des globalen demografischen Wandels betrifft die Alterung der Bevölkerung. Sie zeigt sich unter anderem darin, dass das zahlenmäßige Verhältnis von Personen im erwerbsfähigen Alter (15 bis 64 Jahre) zu Personen, die altersbedingt nicht mehr arbeiten, perspektivisch sinkt.
Für sich genommen bedeutet das: Weniger Menschen im Produktionsprozess treffen auf mehr Menschen, die konsumieren, aber nicht (mehr) produzieren. Die Folge: ein tendenzieller Nachfrageüberhang auf dem Gütermarkt, der für höhere Inflationsraten sorgt.
Der weltweite Rückgang des Anteils der Erwerbsbevölkerung an der Gesamtbevölkerung hat aber noch eine weitere Konsequenz: einen Arbeitskräftemangel inklusive Nachfrageüberhang auf dem Arbeitsmarkt. Letzterer bewirkt einen tendenziellen Lohnanstieg, der die Produktionskosten erhöht – und damit auch die Preise, die die Verbraucher:innen zahlen müssen.
Gleichzeitig bedeutet ein Arbeitskräftemangel, dass die Produktionskapazitäten einer Volkswirtschaft geringer werden. Auch das bewirkt einen Anstieg der Verbraucherpreise.
#2 Klimawandel und Dekarbonisierung
Um die Treibhausgasemissionen zu reduzieren, müssen unter anderem höhere Preise für deren Ausstoß verlangt werden. Emissionshaltige Produkte und Aktivitäten werden deshalb teurer. Das wirkt inflationär – zumindest solange noch keine emissionsfreien Produktionstechnologien existieren.
Ein höherer Inflationsdruck ergibt sich zudem, wenn zur Verringerung des Einsatzes fossiler Energiestoffe verstärkt auf Biokraftstoffe ausgewichen wird. So kommt es weltweit zu einer höheren Nachfrage nach Getreide, Sojabohnen, Mais und anderen Agrarrohstoffen, wodurch gleichzeitig das Angebot an Nahrungsmitteln aus der landwirtschaftlichen Produktion sinkt. In Kombination mit einer wachsenden Weltbevölkerung bedeutet das steigende Preise für Nahrungsmittel.
Darüber hinaus hat der Klimawandel negative Effekte für die Nahrungsmittelproduktion. Die zu erwartende Zunahme von Wetterextremen wie Hitzewellen, Dürren, Stürmen und Überflutungen führt zu Ernteeinbußen. Entsprechend verringert sich das Angebot an Nahrungsmitteln, der Nachfrageüberhang nach diesen Produkten wird verschärft und die Nahrungsmittelpreise erhöhen sich.
#3 Deglobalisierung
Die internationale Arbeitsteilung der letzten Jahrzehnte hat einen inflationshemmenden Effekt. Unternehmen können preiswertere Vorleistungen und Einzelteile aus dem Ausland importieren und so ihre Produktionskosten reduzieren. Das bedeutet eine angebotsseitige Preisniveaudämpfung. Verbraucher:innen können einheimische Konsumgüter durch preiswertere Angebote aus dem Ausland ersetzen. Dadurch sinkt das Niveau der Verbraucherpreise unmittelbar.
Werden allerdings höhere Emissionspreise im Kontext des Klimaschutzes erhoben, verteuert dies die Transportkosten physischer Produkte. Damit verlieren einige Formen der internationalen Arbeitsteilung ihre betriebswirtschaftlichen Vorteile: Wenn der Zuwachs der Transportkosten größer ist als der Preisunterschied zwischen dem preiswerteren ausländischen und dem teureren inländischen Produkt, unterbleibt ein Import und damit die Nutzung der Kosten- und Preisvorteile der internationalen Arbeitsteilung.
Die Folge sind höhere Preise für Konsumgüter.
Ein weiterer Deglobalisierungsschub kann sich aus der Unterbrechung der globalen Lieferketten im Zuge der Corona-Pandemie ergeben. Das Ausbleiben von Vorleistungen und Endprodukten aus dem Ausland lässt in der gesellschaftspolitischen Debatte verstärkt Forderungen laut werden, die Abhängigkeit vom Import besonders wichtiger Produkte (z. B. Medikamente und medizinische Geräte) zu verringern.
Ein Vorschlag ist eine Rückverlagerung der Produktion aus Niedriglohnländern nach Deutschland bzw. Europa. Sollten sich diese Wünsche durchsetzen, käme es zu einer Renationalisierung der Produktion – und somit wiederum zu einer Deglobalisierungstendenz mit den erwähnten inflationären Implikationen.
Nicht vergessen werden dürfen zudem die Störungen des internationalen Handels durch protektionistische Maßnahmen. Sie haben ebenfalls zur Folge, dass auf Preisvorteile der internationalen Arbeitsteilung verzichtet wird.
Es ist zu befürchten, dass die großen Volkswirtschaften – allen voran die USA und China – in der Zukunft verstärkt handelspolitische Instrumente einsetzen, um damit (außen-)politische Ziele zu erreichen. Das Arsenal der Maßnahmen reicht über Zölle und nicht tarifäre Handelshemmnisse hinaus und umfasst auch Sanktionen, Exportbeschränkungen und Exportverbote.
Digitalisierung als inflationshemmender Faktor
Um den skizzierten inflationserhöhenden Effekten entgegenzuwirken, bietet sich der verstärkte Einsatz digitaler Technologien an. Hier ist vor allem an drei inflationsdämpfende Effekte zu denken:
- Der Einsatz digitaler Technologien bewirkt eine generelle Optimierung von Geschäftsprozessen und reduziert so Produktionskosten. Digitale Technologien bewirken folglich eine höhere Ressourcenproduktivität. Das reduziert die Abhängigkeit von fossilen Energien und emissionshaltigen Vorleistungen – die aus Gründen des Klimaschutzes erforderlichen höheren Preise für Treibhausgasemissionen fallen weniger schwer ins Gewicht.
- Der verstärkte Einsatz von Maschinen, Robotern und digitalen Technologien ist eine Möglichkeit, um dem alterungsbedingten Arbeitskräftemangel zu begegnen. Wenn so fehlende Arbeitskräfte ersetzt werden können, reduziert dies den Nachfrageüberhang auf dem Arbeitsmarkt – und bremst den Lohnanstieg, der über steigende Produktionskosten zu höheren Verbraucherpreisen führt.
- Wenn digitale Technologien und Maschinen menschliche Arbeitskräfte ersetzen, federt das die inflationserhöhenden Effekte der Deglobalisierung ab. Die Digitalisierung senkt die Produktionskosten in Deutschland und verringert so den Preisnachteil, den Deutschland gegenüber Niedriglohnländern hat.
Ausblick
Steigende Preise sind letztendlich ein Ausdruck von realen Knappheiten. Das heißt, die Nachfrage nach Gütern, Rohstoffen oder Produktionsfaktoren ist größer als das zur Verfügung stehende Angebot.
Wenn die gesamtwirtschaftliche Nachfrage dadurch gesteigert wird, dass die Zentralbanken viele Kredite zu niedrigen Zinsen vergeben, lässt sich die daraus resultierende Inflation durch eine restriktivere Geldpolitik bekämpfen.
Darüber hinaus ist eine restriktive Geldpolitik grundsätzlich auch in der Lage, Preisniveausteigerungen abzumildern, die nicht auf eine vorherige expansive Geldpolitik zurückzuführen sind. Allerdings bedeuten die dafür erforderlichen höheren Zinsen eine Verringerung der Investitionen, was sich negativ auf Produktion und Beschäftigung auswirkt.
Kommt es jedoch auch ohne eine lockere Geldpolitik der Zentralbanken zu steigenden Güterpreisen, lässt sich die Lücke zwischen Güternachfrage und -angebot durch Effizienz- und Produktivitätssteigerungen schließen. Dies setzt entsprechende Innovationen voraus – eine erfolgreiche Innovations- und Produktivitätspolitik ist dann gleichzeitig eine Antiinflationspolitik.
Hinweis: Dieser Beitrag basiert auf dem Policy Brief „Kommt nun die Inflation?“
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