Mehr Klimasorgen durch Elternschaft? Die Legacy Hypothesis auf dem Prüfstand
Die Vorstellung erscheint intuitiv: Wer Kinder bekommt, sorgt sich stärker um die Zukunft – und damit auch um Umwelt und Klima. Diese sogenannte Legacy Hypothesis geht davon aus, dass Menschen durch die Geburt eines Kindes nachhaltiger denken und handeln, um kommenden Generationen eine lebenswerte Welt zu hinterlassen. Doch stimmt das wirklich?
Eine neue Studie auf Basis des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) kommt zu einem differenzierteren Ergebnis: Die Familiengründung ist keineswegs automatisch ein Auslöser für einen dauerhaften Anstieg von Umwelt- und Klimasorgen. Im Gegenteil: Gerade in den Jahren rund um die Geburt eines Kindes nehmen diese Sorgen bei vielen Eltern zunächst ab und steigen erst mit zunehmendem Alter des Kindes wieder leicht an. Mütter und Väter unterscheiden sich dabei deutlich.
Familiengründung als Zäsur im Umweltbewusstsein?
Die Geburt eines Kindes markiert einen biografischen Einschnitt, der etablierte Routinen auf den Kopf stellt. Schlafmangel, Sorgearbeit und Erwerbsunterbrechungen verschieben bei vielen Eltern die Prioritäten – und damit auch den Blick auf gesellschaftliche Herausforderungen.
Während normative Erwartungen häufig nahelegen, dass Eltern besonders nachhaltig denken und handeln sollten, zeigen sich in der Realität vor allem leichte Rückgänge entsprechender Sorgen. Langfristige Ziele wie der Schutz des Planeten verlieren angesichts akuter Alltagsanforderungen offenbar vorübergehend an Dringlichkeit.
Erst wenn Kinder das Schulalter erreichen, berichten viele Eltern wieder ähnlich hohe Umwelt- und Klimasorgen wie vor der Geburt. Die These, dass die Geburt selbst ein Wendepunkt im Umweltbewusstsein darstellt, lässt sich also nicht bestätigen.
Mütter und Väter: unterschiedliche Sorgen, unterschiedliche Themen
Ein genauerer Blick auf die Geschlechter zeigt, dass sich Mütter und Väter in der Entwicklung ihrer Sorgen deutlich unterscheiden – und dabei offenbar unterschiedliche thematische Schwerpunkte setzen. Während Väter rund um die Geburt weniger Umweltbedenken äußern, nehmen ihre Sorgen über den Klimawandel nach der Geburt signifikant zu. Bei Müttern zeigt sich das umgekehrte Muster: Sie berichten leicht steigende Umweltbedenken vor der Geburt, äußern danach jedoch weniger Sorgen über den Klimawandel – und bleiben auf diesem Niveau, auch wenn die Kinder älter werden.
Ein möglicher Erklärungsansatz: Männer beschäftigen sich häufiger mit wirtschafts- oder politikorientierten Krisendiskursen, in denen der Klimawandel aktuell eine prominente Rolle spielt. Umweltprobleme wie verschmutzte Gewässer oder vermüllte Spielplätze hingegen betreffen stärker das direkte Lebensumfeld – ein Bereich, in dem Mütter aufgrund ihres höheren Anteils an Sorgearbeit möglicherweise präsenter sind.
Der Rückgang klimabezogener Sorgen bei Müttern könnte zudem damit zusammenhängen, dass durch die Geburt eines Kindes für sie besonders neue Alltagsanforderungen rund um Beruf und Karriere entstehen. Diese geschlechtsspezifischen Herausforderungen könnten abstraktere Zukunftsfragen zeitweise stärker verdrängen.
Was bedeutet das für die Rolle von Bildung?
In der öffentlichen Debatte gilt Bildung als zentraler Treiber für umweltbewusstes Handeln und weniger traditionelle Einstellungen. Doch rund um die Geburt eines Kindes zeigt sich der Einfluss des Bildungsniveaus auf entsprechende Einstellungen geringer als erwartet. Zwar äußern höher gebildete Eltern – also solche mit Hochschulabschluss – insgesamt etwas stärkere Umwelt- und Klimasorgen als Eltern mit geringerem Bildungshintergrund. Ein systematischer und statistisch signifikanter Unterschied in den Einstellungsveränderungen rund um die Geburt lässt sich jedoch nicht feststellen.
Auffällig ist hingegen ein anderer Befund: Akademisch gebildete Eltern mit Kindern im Grundschulalter äußern deutlich mehr Sorgen als in der Zeit vor der Geburt oder unmittelbar danach. Dieser langfristige Wiederanstieg der Sorgen ist bei ihnen besonders ausgeprägt – was darauf hindeuten könnte, dass ein späterer Wertewandel eher mit wachsendem Handlungsspielraum und kognitiver Entlastung zusammenhängt.
Was folgt daraus für Umweltpolitik und Kommunikation?
Die Familiengründung erweist sich nicht als idealer Zeitpunkt, um umweltpolitisches Engagement in der Gesellschaft zu stärken. Wer Umwelt- und Klimaschutz gezielt in der jungen Elternschaft fördern möchte, sollte berücksichtigen, dass Aufmerksamkeit, Zeit und Ressourcen in dieser Lebensphase stark begrenzt sind. Strukturelle Unterstützungsangebote – etwa bessere Vereinbarkeitslösungen, niedrigschwellige Informationsformate oder alltagsnahe Handlungsoptionen – könnten jedoch helfen, langfristige Umweltsorgen zu stabilisieren und nachhaltige Orientierungen zu fördern.
Zugleich macht die Studie deutlich, wie differenziert elterliche Perspektiven auf Umwelt- und Klimafragen ausfallen – und wie wichtig es ist, diese Vielfalt in politischen Strategien zu berücksichtigen. Nachhaltige Einstellungen können nur dann langfristig bestehen, wenn Wandel nicht nur erwartet, sondern auch ermöglicht wird.
Die Ergebnisse beruhen auf Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP), der größten sozialwissenschaftlichen Längsschnittstudie in Deutschland. Über einen Zeitraum von fast vier Jahrzehnten (1984–2020) konnten mehr als 100.000 Beobachtungen zur Umwelt- und Klimasorge analysiert werden.
Die Studie konzentriert sich auf Einstellungen zwei Jahre vor und bis zu zehn Jahre nach der Geburt eines Kindes. Mithilfe sogenannter Fixed-Effects-Modelle werden hierfür nur innerhalb-individuelle Veränderungen betrachtet – also Unterschiede im Denken und Fühlen derselben Person über die Zeit, unabhängig von gesellschaftlichen Trends oder konstanten demografischen Merkmalen.
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