Maßnahmen zur Reduktion des Energieverbrauchs als Strategie gegen Energieversorgungsknappheit

Jonathan Barth ZOE Institut für zukunftsfähige Ökonomien

Lydia KorinekZOE Institut für zukunftsfähige Ökonomien

Seit drei Monaten nun tobt der russische Angriffskrieg auf die Ukraine, der die geopolitische Ordnung sowie die globalen Energie-Märkte aufwühlt und Europas Abhängigkeit von russischen fossilen Brennstoffen exponiert hat.

Russland ist Europas Hauptlieferant für Öl (27%), Kohle (42 %) und Gas (41 %). Die Ungewissheit über russische Energie-Lieferungen haben den ohnehin dramatisch hohen Anstieg der Energie-Preise weiter verschärft. Vor diesem Hintergrund sind viele Haushalte in Europa nun von Energiearmut bedroht.

Plan zur Energieunabhängigkeit

Bereits im März hat die Europäische Kommission auf die beschleunigten Preisanstiege und die neue geopolitische Realität reagiert und einen umfassenden REPowerEU-Plan angekündigt, um energieunabhängig zu werden.

In seiner ersten Ankündigung war der Plan zunächst auf die Diversifizierung der Energieversorgung und Energie-Effizienzsteigerungen fokussiert.

Zentral für die Sicherung der Energieversorgung in der EU sind allerdings ebenso nachfrageseitige Instrumente zur Senkung des Endenergieverbrauchs in der EU, wie sie nun in den jüngsten Plänen der Kommission vom 18. Mai vorgestellt wurden.

Diese Maßnahmen und Praktiken folgen unter anderem dem Suffizienzansatz.

Das heißt, sie sind darauf ausgerichtet, dass der Energiebedarf reduziert oder sogar vermieden wird, wie beispielsweise durch weniger Autofahrten oder dem Umstieg auf öffentlichen Nah- und Fernverkehr.

Wirkung in der kurzen Frist

Die Stärke dieser Maßnahmen liegt darin, dass sie kurz- bis mittelfristig den hohen Energiepreisanstieg lindern. Denn jede kWh Energie, die in der EU eingespart wird, hat das Potenzial aufgrund der geringeren Nachfrage die Preise zu senken.

Des Weiteren leisten Energieeinsparungen einen wichtigen Beitrag zur Erreichung der Ziele des europäischen Grünen Deals und stärken Europas strategische Unabhängigkeit. Berechnungen belegen, dass frühzeitiges Handeln die Kosten des grünen Umbaus der Wirtschaft senkt: Schafft es Europa jetzt, dass die EU-Bevölkerung energiesparsamer lebt, reduziert das die langfristigen wirtschaftlichen Kosten der Energiewende um ein Drittel.

Energie-Einsparungen können auch zu mehr Verteilungsgerechtigkeit beitragen. So lässt sich mit gezielten Maßnahmen vor allem der Verbrauch reduzieren, der vorwiegend von Personen mit hohem Einkommen genutzt wird.

Ein Beispiel wäre das Verbot von Flügen für Strecken, die unter vier Stunden mit dem Zug erreichbar sind. Menschen mit geringem Einkommen können von preiswerten Nahverkehrstickets oder von „car and ride sharing“ profitieren, wenn dies entsprechend subventioniert wird.

Erfolgreiche Beispiele

Ein Blick in die Vergangenheit verdeutlicht, dass rasche Energieverbrauchsreduktionen mittels nachfrageseitiger Maßnahmen möglich sind, die nachhaltige Wirkung haben.

So wurde beispielsweise der Energieverbrauch nach dem Tsunami in Japan im Jahr 2011 durch die Informationskampagne „setsuden“ erfolgreich um 15 Prozent gesenkt. Als im Jahr 2001 eine schwere Dürre in Brasilien den Wasserstand in Wasserkraftwerken stark schrumpfen ließ, reduzierte das Land seinen Stromverbrauch erheblich durch nachfrageseitige Maßnahmen. Die Energiesparinitiative drosselte den Energieverbrauch kurzfristig um 25 Prozent.

© Dan-Cristian Pădureț – unsplash.com

Strategien zur Steigerung der Energieeinsparung

Im Strategiepapier zu nachfrageseitigen Lösungen zur Behebung der Energieknappheit schlägt das ZOE Institut in Kollaboration mit dem Jacques-Delors-Institut drei Strategien zur Steigerung der Energieeinsparung auf EU-Ebene vor:

  • Eine Initiative soll die Bemühungen der EU-Mitgliedstaaten zur Verringerung der Abhängigkeit von russischen fossilen Brennstoffen koordinieren. Das Strategiepapier empfiehlt zusätzlich nachfrageseitige Maßnahmen auf EU-Ebene. Als Teil der Initiative sollen außerdem die kurzfristigen Ziele für die Reduzierung des Energieverbrauchs angehoben werden. Wie Mitgliedstaaten diese Reduktionsziele erreichen wollen, sollten sie bis Oktober 2022 in nationalen Energiesparplänen (NESP) darlegen.
  • Das Strategiepapier empfiehlt der Kommission außerdem, jede Woche ein Energie-Briefing zu starten, um das Bewusstsein zu schärfen und die Aufmerksamkeit von politischen Entscheidungsträgern, Unternehmen und Bürgern zu wecken.
  • Als dritte Strategie wird ein EU-Energiesparpaket für die mittelfristige Wirksamkeit vorgeschlagen, das sich auf Gebäude und den Verkehrssektor konzentriert. Als Teil des Pakets sollte die Kommission von den Mitgliedstaaten verlangen, nationale Ausstiegstermine für Erdgas vorzuschlagen.

Strategien im EU „Save Energy“-Plan

Am 18. Mai 2022 hat die Europäische Kommission den RePowerEU-Plan vorgelegt. Viele der von der Kommission vorgeschlagenen Maßnahmen für Energieeinsparungen decken sich mit den Empfehlungen aus dem ZOE-Strategiepapier.

Anerkennend, dass Energieeinsparungen der schnellste, sauberste und günstigste Weg sind, um die Energiekrise zu bewältigen, hebt die Kommission das EU-Energieeffizienzziel für 2030 von 9 Prozent auf 13 Prozent an.

Der vorgelegte EU „Save Energy“-Plan verfolgt zwei Strategien:

  • Einerseits beruht der Plan auf sofortige freiwillige Energie-Konsumänderungen im Bereich Mobilität und Wohnen.
  • Da die Kommission jedoch einräumt, dass Verbraucher:innen nicht nur die richtigen Informationen benötigen, um ihr Verhalten zu ändern, werden im Plan andererseits mittel- bis langfristige strukturelle Energieeffizienzmaßnahmen vorgeschlagen.

Diese umfassen eine Reihe von Überarbeitungen bestehender Verordnungen, wie der Ökodesign-Verordnung, der Richtlinie über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden sowie die Beschleunigung der Vorlage eines neuen Gesetzentwurfs zur Ökologisierung des Frachtverkehrs.

Konkrete Ausgestaltung

Der Plan der Kommission beinhaltet einige spezifische und unmittelbare Empfehlungen für die EU-Mitgliedstaaten, wie die Förderung des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs oder autofreie Tage.

Wie solche Maßnahmen im Konkreten ausgestaltet werden sollten, damit sie die Vorteile von nachfrageseitigen Lösungen ausschöpfen und die soziale Akzeptanz befördern, hat das ZOE Institut im Strategiepapier erläutert.

Das Papier formuliert drei wesentliche Empfehlungen, die im Politikgestaltungsprozess von nachfrageseitigen Instrumenten berücksichtigt werden sollten:

  1. Ein ehrliches Framing ist besonders wichtig, um Überforderung zu vermeiden und nicht den Eindruck zu vermitteln, dass die Verantwortung auf Individuen abgewälzt werde.
  2. Wo immer möglich, sorgt die Einbeziehung von Bürger:innen und wichtigen Interessenvertreter:innen für Kontextspezifität und eine bessere Qualität der politischen Ergebnisse.
  3. Das Aufbrechen der Ressortzuordnung von Themen ermöglicht Querschnittsansätze in der Politikgestaltung. Solche kohärenteren Politikstrategien bieten eine bessere Grundlage für den Umgang mit Zielkonflikten.

Kriterien zur Folgeabschätzung

Außerdem wurden im Hinblick auf die Folgeabschätzung von nachfrageseitigen Maßnahmen zur Energieverbrauchsreduktion drei Kriterien ausgearbeitet:

  1. Das Energieeinsparungspotenzial: Das Potenzial zur Verringerung der Nachfrage nach Gas und Öl;
  2. Die sozialen Auswirkungen: Um Energiearmut langfristig zu lindern, sollten die Maßnahmen Energie erschwinglicher und zugänglicher machen und durch progressive Maßnahmen zu mehr Verteilungsgerechtigkeit beitragen
  3. Das transformative Potenzial: Wirksame nachfrageseitige Maßnahmen sollten langfristige Veränderungen einleiten, die das Erreichen der EU-Klimaziele unterstützen.

Im Strategiepapier sind insgesamt 68 Instrumente anhand dieser drei Kriterien bewertet, die von Think Tanks, Forschungseinrichtungen und Zivilgesellschaftsorganisationen als Reaktion auf die aktuelle Situation vorgelegt wurden.

Dieser Maßnahmenkatalog sowie die Empfehlungen zur Ausgestaltung der Instrumente sollen Entscheidungsträger:innen eine Orientierungshilfe geben bei der Umsetzung von Energieverbrauchsreduktionen, die sozial ausgewogen und langfristig effektiv sind.

Damit kann ein wichtiger Beitrag geleistet werden zu einem energieunabhängigen Europa, im Sinne der Ziele des Grünen Deals.


Weitere Beiträge zum Thema auf unserem Blog:

Chancen und Grenzen der Ressourceneffizienz von Prof. Dr. Stefan Pauliuk, Uni Freiburg

Die Politische Ökonomie der Kohle und der Einfluss des Krieges in der Ukraine auf die deutsche Energiepolitik von Dr. Dagmar Kiyar und Dr. Lukas Hermwille, Wuppertal Institut

Strukturwandel der Mobilität – Warum eine Verkehrswende dieses Mal gelingen sollte von Prof. Dr. Gerhard Prätorius, TU Braunschweig



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