Migration und Klimawandel

Klimawandel und internationaler Schutz: Bestehendes Recht anwenden und fortentwickeln

Laura KraftMax-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht

„Eines Tages wird Tuvalu untergehen.“ Mit diesen Worten beschreibt eine Inselbewohnerin im Interview mit The Guardian die Realität ihres Heimatstaates Tuvalu, der vom steigenden Meeresspiegel bedroht ist. Schon jetzt sind die Folgen deutlich zu spüren: Trinkwasserquellen versalzen, landwirtschaftlich nutzbare Flächen gehen verloren, und ganze Siedlungen werden unbewohnbar.

Im Juni 2024 waren weltweit über 120 Millionen Menschen auf der Flucht – so viele wie noch nie zuvor. Neben Konflikten und Gewalt spielen auch die Folgen des Klimawandels eine immer größere Rolle bei Migrationsentscheidungen, wenn plötzliche Katastrophen wie Überschwemmungen oder langsame Umweltveränderungen wie Dürre oder Erosion Lebensgrundlagen zerstören.

Während oft betont wird, dass es bislang keinen eigenständigen völkerrechtlicher Schutzstatus für „Klimamigrant:innen“ gibt, zeigt dieser Beitrag: Schutzmöglichkeiten bestehen durchaus – auf internationaler, nationaler und europäischer Ebene. Entscheidend ist dabei weniger die Schaffung neuer Kategorien, als vielmehr die Auslegung, Anwendung und Fortentwicklung des bestehenden Rechtsrahmens durch progressive Rechtsprechung.

Schutzmöglichkeiten im bestehenden Völkerrecht

Die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 (GFK) ist das zentrale Schutzinstrument für Flüchtlinge. Sie schützt Menschen, die aus begründeter Furcht vor Verfolgung ihr Herkunftsland verlassen müssen: etwa wegen Religion, politischer Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe. Für umwelt- und klimabedingte Fluchtgründe sieht sie zwar keinen expliziten Schutz vor – der Begriff „Klimaflüchtling“ ist daher rechtlich inkorrekt – doch ist eine Anwendung nicht ausgeschlossen.

Auch Personen, die vor Klima- oder Umweltkatastrophen fliehen, können zusätzlich Opfer von Diskriminierung oder Verfolgung sein: Etwa, weil eine Regierung in einer Dürre bestimmte ethnische Gruppen systematisch von Hilfsleistungen ausschließt und sie damit in den Schutzbereich der GFK fallen. Darauf weisen auch rechtliche Stellungnahmen von UNHCR (2020, 2023) hin. Ein neues praxisorientiertes Toolkit hilft Entscheidungsträger:innen zudem dabei, solche Fälle rechtlich korrekt zu bewerten. Entscheidend ist, das bestehende Flüchtlingsrecht kontextsensibel und menschenrechtsorientiert auszulegen.

Die Rolle des Non-Refoulement-Gebots

Jenseits der GFK kommt den Menschenrechten, insbesondere dem menschenrechtlichen Non-Refoulement-Gebot, eine zentrale Bedeutung zu. Dieses verbietet die Rückführung von Personen in Staaten, in denen ihnen Folter oder andere schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen drohen (u.a. Art. 3 EMRK, Art. 7 UN-Zivilpakt). In Deutschland spiegelt sich das Gebot im asylrechtlichen Abschiebungsverbot (§ 60 Abs. 5 und 7 AufenthG) wider, das in der Regel zu einem Aufenthaltsrecht führt. Ähnliche Schutzregelungen existieren in weiteren EU-Staaten.

Ein wegweisender Fall ist die Entscheidung des UN-Menschenrechtsausschusses in Teitiota gegen Neuseeland (2020). Der Kläger aus dem vom steigenden Meeresspiegel gefährdeten pazifischen Inselstaat Kiribati argumentierte, Neuseeland habe sein Recht auf Leben verletzt, als es ihn und seine Familie dorthin zurückschickte. Der Ausschuss erkannte grundsätzlich an, dass Umweltveränderungen eine Rückführung ausschließen können – wenn grundlegende Rechte wie das Recht auf Leben (Art. 6 UN-Zivilpakt) konkret bedroht sind. Im Fall von Teitiota lag aus Sicht des Ausschusses aber noch keine unmittelbare Bedrohung vor.

Dennoch zeigt das Urteil, dass die Folgen des Klimawandels unter bestimmten Voraussetzungen menschenrechtlichen Schutz auslösen können. Und das nicht erst in naher Zukunft: Abhängig von Kontext und individueller Vulnerabilität könnten vergleichbare Fälle schon heute ein Abschiebungsverbot begründen.

Ein klarer Auftrag für Staaten

Daraus folgt ein klarer Auftrag: Staaten dürfen sich nicht zurücklehnen, sondern müssen Entwicklungen im Herkunftsland sowie neue wissenschaftliche Erkenntnisse kontinuierlich in ihre Entscheidungen einbeziehen. Einige Verwaltungsgerichte in Deutschland tun dies bereits, wenn sie etwa klimabedingte Naturkatastrophen bei der Prüfung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 AufenthG in Verbindung mit Art. 3 EMRK berücksichtigen.

Diese Rechtsprechung muss weiter ausgebaut werden. Auch wenn sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte selbst bislang nicht zur Anwendung von Art. 3 EMRK (Non-Refoulement) in Verbindung mit den Auswirkungen des Klimawandels geäußert hat, liegt eine solche Auslegung nahe – etwa bei extremer Dürre, unbewohnbaren Lebensverhältnissen oder dem Verlust der Existenzgrundlage.

In Ermangelung europäischer Rechtsprechung ist es umso wichtiger, dass internationale Entscheidungen wie Teitiota stärker in die Argumentation nationaler Gerichte einfließen – im Sinne einer völkerrechtskonformen Auslegung des deutschen Rechts. Auch Entscheidungsträger:innen im BAMF müssen entsprechend geschult werden: Die UNHCR Leitlinien und das Toolkit bieten hierfür wertvolle Orientierung. Wer schützen will, kann es auch tun – das Völkerrecht gibt deutlich mehr her, als oft angenommen wird.

Unionsrechtliche Perspektive: Subsidiärer Schutz bei Klimamigration?

Eine gezielte Regelung für klimabedingte Flucht fehlt bislang auch im Unionsrecht. Ob unter bestimmten Umständen subsidiärer Schutz greift, ist vom Europäischen Gerichtshof noch nicht abschließend geklärt.

Subsidiärer Schutz kommt in Betracht, wenn zwar kein Flüchtlingsstatus im Sinne der GFK vorliegt, im Herkunftsland aber etwa Folter oder unmenschliche oder erniedrigender Behandlung droht. Auch Klimamigrant:innen könnten sich grundsätzlich darauf berufen – etwa wenn sie von einer schweren Dürre besonders betroffen sind („individuelle Gefährdung“).

Allerdings verlangt der EuGH bislang, dass ein ernsthafter Schaden durch das Verhalten eines Dritten (eines Akteurs) droht (so z.B. in der Entscheidung M’Bodj). Schlechte humanitäre Bedingungen infolge von Klima- oder Umweltkatastrophen sind aber häufig nicht auf konkrete Handlungen Dritter zurückzuführen.

Die Schwelle für subsidiären Schutz liegt daher – noch – zu hoch. Eine menschenrechtsorientierte Auslegung von Art. 15 der Qualifikationsrichtlinie (subsidiärer Schutz) durch den EuGH, die stärker auf die drohenden Menschenrechtsverletzungen im Herkunftsland und weniger auf die Frage der Verursachung fokussiert, wäre ein wichtiger Schritt hin zu einem zeitgemäßen Schutzverständnis.

Ganzheitlicher Schutzansatz: Migration, Anpassung und Recht auf Verbleib

Um bestehende Schutzlücken zu schließen, braucht es zudem entschlossene nationale Maßnahmen: etwa die Schaffung legaler Migrationswege und gezielte Unterstützung von Anpassungs- und Resilienz-Strategien in betroffenen Staaten. Und das nicht zuletzt, um das Recht, im Heimatland zu bleiben, zu sichern. Dies entspricht auch den Zielen des Globalen Migrationspakts von 2018.

Ein vielbeachtetes Beispiel ist der im November 2023 geschlossene Falepili-Union-Vertrag zwischen Australien und Tuvalu. Er sieht jährlich 280 Sondervisa für Tuvaluaner:innen vor, die ihnen dauerhaftes Aufenthalts-, Arbeits- und Studienrecht in Australien gewähren. Zudem verpflichtet sich Australien zur Unterstützung Tuvalus bei Naturkatastrophen oder militärischen Bedrohungen. Die Details dieses neuen Visums wurden erst kürzlich veröffentlicht. Weitere Migrationsoptionen wie das Pacific Engagement Visa oder das PALM Scheme bieten ebenfalls – temporäre oder dauerhafte – Aufenthaltsmöglichkeiten für Menschen aus pazifischen Inselstaaten in Australien.

Auch Deutschland könnte aktiv werden: Der Sachverständigenrat für Integration und Migration (SVR) schlug in einem Gutachten von 2023 drei Instrumente vor: einen „Klima-Pass“ (humanitäres Daueraufenthaltsrecht), eine zeitlich befristete „Klima-Card“ und ein „Klima-Arbeitsvisum“. Letzteres entspricht auch dem deutschen Interesse an der Gewinnung qualifizierter Arbeitskräfte, um dem bestehenden Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Entscheidend ist jedoch, dass solche Maßnahmen in enger Abstimmung mit den Herkunftsstaaten und betroffenen Bevölkerungsgruppen entwickelt werden, um nachhaltige, faire und beidseitig vorteilhafte Lösungen zu schaffen.

Bestehendes Recht nutzen – menschenrechtsorientiert und kontextsensibel

Neue Migrationswege scheinen angesichts der in Deutschland geplanten „Wende in der Migrationspolitik“ derzeit politisch wenig opportun. Doch Deutschland bleibt an das Völkerrecht gebunden und damit verpflichtet, individuellen Schutz zu gewähren, wenn Menschenrechte aufgrund der Folgen des Klimawandels gefährdet sind. Eine sorgfältige, menschenrechtsorientierte Anwendung des geltenden Rechts ist dafür unverzichtbar.

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