Klimaneutrale Mobilität: Luxus als Nachhaltigkeitsstrategie?
Die strategische Orientierung einiger Automobilhersteller wirft Fragen auf. Mercedes lässt die Verbrenner A- und B-Klasse auslaufen und setzt dezidiert auf Luxus mit beschleunigter Elektrifizierung.
Auch bei Audi scheinen die Fahrzeuge der unteren Größenklassen keine Zukunft mehr zu haben. Die Nachhaltigkeitsbeauftragte von Audi ließ sich im Zusammenhang mit dem Greentech-Festival mit der Aussage zitieren: „Nachhaltigkeit wird mehr und mehr zur Haltungsfrage und spiegelt sich in einem neuen Verständnis von Luxus wider.“ (F.A.Z., 3. Juli 2022; V7)
Klimaneutrale Mobilität durch Neugestaltung des Produktportfolios?
Die durch Chip- und Lieferkettenkrise beeinträchtigten Produktions- und damit auch Absatzzahlen haben einen Prozess beschleunigt, aber nicht ausgelöst. Es geht um die strategische Neuausrichtung und damit auch Neugestaltung der Produktportfolios einiger Automobilhersteller.
Die Krise hat dabei Schwachstellen der bisherigen Portfolios sehr deutlich offengelegt, vor allem hat sie aber auch nicht nur auf den ersten Blick beeindruckende Zahlen produziert.
So konnten die deutschen Premiumhersteller bei zum Teil deutlich reduziertem Absatz sowohl Umsatz als auch Gewinn markant steigern.
Zum Beispiel wurden bei Mercedes in 2021 im Vergleich zum Vorjahr 5 Prozent Autos weniger verkauft, aber Umsatz und Gewinn stiegen deutlich aufgrund einer „stark verbesserten Absatzstruktur“ (Geschäftsbericht), d.h. es wurden bevorzugt die margenstarken Fahrzeuge des Luxussegments bedient und verkauft. Im Ergebnis konnte Mercedes seine Umsatzrendite von 2020 auf 2021 mehr als verdoppeln, von 5,9 Prozent auf 12,7 Prozent.
Es stellt sich die Frage, ob die betriebswirtschaftlich ohne Zweifel überzeugenden Zahlen auch den notwendigen volkswirtschaftlichen Impuls für eine klimaneutrale (Auto-)Mobilität nicht nur unterstützen, sondern sogar forcieren können.
Luxus für eine klimaneutrale Mobilität?
Zunächst zeigt ein Blick in die Innovationsgeschichte – in der Automobilindustrie –, dass der normale Innovationsprozess durchaus top down verläuft. Aber diesen Punkt einer betriebswirtschaftlichen Begründung für die Orientierung auf Luxussegmente haben wir in Bezug auf die Elektrifizierung des Automobils bereits deutlich überwunden.
Im Sinne einer einzelwirtschaftlichen Betrachtung ist auch die von den Premiumherstellern avisierte Verringerung ihres CO2-Fußabdrucks bis zur – bilanziellen – Klimaneutralität (zum Teil mit zeitlich anspruchsvollen Zielsetzungen) durchaus realistisch, ebenso sind gute Arbeitsbedingungen und transparente Lieferketten für die Luxusprodukte wohl besser darstellbar als bei einem Massenprodukt. Aber kann das Modell auch makroökonomisch reüssieren?
Soziale Aspekte beachten
Hier soll die These vertreten und begründet werden, dass gerade bei der Transformation zu einer klimaneutralen Mobilität und dem Beitrag der Premiumhersteller betriebswirtschaftliche und volkswirtschaftliche Rationalität deutlich auseinanderklaffen.
Ein solcher Befund ruft zunächst nach Ordnungspolitik.
Und der bereits vorgezeichnete Weg einer administrierten CO2-Bepreisung ist sicherlich der richtige, aber nicht hinreichende.
Gerade im Verkehrsbereich (siehe aktuelle Kraftstoffpreisentwicklung) sind – auch bei Abschlag der zum Teil medienpolitisch gesteuerten Irrationalität der Diskussion – die sozialen Aspekte hochsensibel, d.h. ohne ein überzeugendes, sozial gestaffeltes Ausgleichprogramm wird die notwendig progressive CO2-Bepreisung nicht den notwendigen gesellschaftlichen Rückhalt finden.
Legitimationsverluste drohen
Bei der notwendigen Transformation der Automobilindustrie ist ein politisch begleitendes „Finetuning“ gefragt. Förderprogramme und Unterstützungsmaßnahmen (vulgo: Subventionen) sind angesichts der dargestellten Gewinnentwicklung kaum mehr zu rechtfertigen.
Vielmehr gilt es viel stärker die Mobilitätsgestaltung als Ganzes bei der Neufassung der Arbeitsteilung von Unternehmen und Staat in den Blick zu nehmen und darauf zu achten, dass die soziale Akzeptanz für den notwendigen ökologischen Wandel nicht wegbricht.
Einige Bilder sind in diesem Kontext verstörend dysfunktional: Auf der einen Seite die zynisch schönen Nachhaltigkeitsnarrative in Bezug auf die vollelektrifizierten 2,5 bis 3 Tonnen SUVs der Luxushersteller, auf der anderen Seite die überfüllten und unzuverlässigen Massentransporte via Bahn.
Damit droht – verhängnisvoll für die klimapolitischen Erfordernisse – einer ganzen Geschichte demokratisierter Mobilitätsversprechen der Entzug der Legitimation.
Natürlich muss es den Automobilherstellern überlassen bleiben, eigenverantwortlich über ihre Strategie und ihr Produktportfolio zu entscheiden.
- Aber was spricht dagegen, dass zum Beispiel via (City-)Maut – dabei kann durchaus auch eine Staffelung nach Größe und/oder Gewicht der Fahrzeuge erfolgen – der PKW-Verkehr seinen entsprechenden Beitrag zur Finanzierung der öffentlichen Infrastruktur und Systeme leistet?
- Was spricht dagegen, dass auch endlich der ruhende Verkehr – hier ist ebenfalls eine Staffelung nach Fahrzeuggröße bedenkenswert – im Sinne einer wirksamen Parkraumbewirtschaftung zur Finanzierung des öffentlichen Verkehrs herangezogen wird?
Im Vergleich zu anderen europäischen Städten sind sowohl für die Gebühren für das Kurzzeitparken als auch das Bewohnerparken historisch extrem niedrig. Beim Kurzeitparken differieren zum Beispiel die Gebühren für eine Stunde um bis zu 100 Prozent (etwa zwischen München und London), beim Bewohnerparken liegen die Unterschiede sogar pro Jahr häufig deutlich über dem Zwanzigfachen (z.B. München: 30 Euro; Stockholm über 800 Euro).
Push-Faktoren für klimaneutrale Mobilität
Es gibt mittlerweile genug gesicherte Erkenntnisse darüber, dass nicht alleine Pull-Faktoren die so gewünschten wie notwendigen Veränderungen im Verkehr herbeiführen können, sondern dass es wirksamer Push-Faktoren – einschließlich kapazitativer Begrenzungen des motorisierten Individualverkehrs in Ballungsräumen – bedarf.
Dabei sind in den kommunalen Verkehrswendekonzepten mittlerweile viele ermutigende Einzelmaßnahmen entwickelt worden. Gleichwohl gilt es nun das bundesweite Momentum der aktuellen Situation auch in der politischen Kommunikation zu nutzen.
Einerseits mit einer ernüchternd-dramatischen Bestandsaufnahme bezüglich der Infrastrukturkrise der Schiene, andererseits aber auch mit einer positiv-mobilisierenden Diskussion über ein wirksames und dauerhaftes Nachfolgeprojekt zum 9-Euro-Ticket.
Luxus kann keine neue Nachhaltigkeit sein
Die Neuorientierung einiger Automobilhersteller im Hinblick auf eine dezidierte Luxusstrategie mit einer kommunikativen Verknüpfung zum Nachhaltigkeitsdiskurs kommt in diesem Kontext nicht nur erschreckend antiquiert daher, sondern droht auch in einer Akzeptanzkrise für den gesamten mobilitätspolitischen Neubau zu münden, wenn nicht mindestens mit den angeführten verkehrspolitischen Instrumenten entschieden gegengesteuert wird.
Es hat den Anschein, dass hier die gesellschaftspolitische Dimension einer Mobilitätswende von den Herstellern, aber auch in der politischen Arena erheblich unterschätzt wird.
Luxus als neue Nachhaltigkeit ist per definitionem nicht verallgemeinerbar, aber entschieden wichtiger ist, dass sie auch überhaupt keinen signifikanten Beitrag zu den notwendigen Pfaden einer klimaneutralen Mobilität leisten kann.
Die Produkte einer Luxusstrategie taugen allenfalls – wie gezeigt – zur Abschöpfung überschüssiger Mittel, um einen Finanzierungsbeitrag für die öffentliche Systeme zu leisten.
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