Folgen der demografischen Alterung für die gesamtwirtschaftliche Arbeitsproduktivität

Dr. Martina Lizarazo LópezBertelsmann Stiftung

Dr. Thieß PetersenBertelsmann Stiftung

Die Veränderung der Altersstruktur einer Gesellschaft hat Auswirkungen auf zentrale makroökonomische Größen, unter anderem die Spar- und Investitionsquote, die durchschnittliche Arbeitsproduktivität sowie das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (absolut und je Einwohner). Dieser Beitrag skizziert einige zentrale Zusammenhänge zwischen der Alterung von Gesellschaften in entwickelten Industrienationen und der Produktivität dieser Gesellschaften.

Arbeitsproduktivität einer alternden Erwerbsbevölkerung

Bezüglich des Zusammenhangs zwischen der individuellen Arbeitsproduktivität eines Menschen und dessen Alter ist ein buckelförmiger Verlauf über die Lebenszeit zu erwarten:

  • Junge Menschen befinden sich entweder noch in der Ausbildung oder am Beginn ihrer Erwerbskarriere. Sie verfügen nur über geringes Erfahrungswissen und haben in der Regel eine vergleichsweise geringe Arbeitsproduktivität.
  • Mit steigendem Alter nimmt das Erfahrungswissen zu, sodass auch die Produktivität der Arbeitskräfte steigt.
  • Im höheren Alter gehen die physische und die kognitive Leistungsfähigkeit langsam zurück. Anfangs kann dies noch durch Erfahrungsleistungen kompensiert werden, aber mit weiter fortschreitendem Alter ist mit einem Rückgang der Arbeitsproduktivität zu rechnen.

Empirische Studien zeigen dann auch, „dass die individuelle Arbeitsproduktivität mit zunehmendem Alter zunächst steigt und dann sinkt“ (Ademmer et al. 2017: 16). Die höchste Produktivität erreichen Menschen in entwickelten Volkswirtschaften gegenwärtig im Durchschnitt mit einem Alter von rund 50 Jahren (vgl. Bertelsmann Stiftung 2019: 9). Wenn die demografische Alterung dazu führt, dass große Teile der Erwerbstätigen dieses Alter überschreiten, hat das einen produktivitätsdämpfenden Effekt für die Volkswirtschaft.

Demografiebedingte Produktivitätszuwächse

Neben dem alterungsbedingten Rückgang der Arbeitsproduktivität kann der demografische Wandel über zwei zentrale Wirkungskanäle allerdings auch Produktivitätszuwächse hervorrufen.

  1. Lohninduzierter Anstieg des Kapitaleinsatzes: Die Alterung der Bevölkerung hat zur Folge, dass das Arbeitskräfteangebot der Volkswirtschaft zurückgeht. Daraus resultiert ein Lohnanstieg. Unternehmen reagieren auf einen höheren Preis für einen Produktionsfaktor, indem sie den teurer gewordenen Produktionsfaktor Arbeit durch Kapital – also durch Maschinen, Roboter, Software etc. – ersetzten. Die Arbeitsplätze werden kapitalintensiver. Das bedeutet, dass die Produktivität der Erwerbstätigen steigt.
  2. Lohninduzierter technologischer Fortschritt: Eine weitere Reaktion von Unternehmen auf eine erwartete Schrumpfung der Erwerbsbevölkerung und einen damit verbundenen Lohnanstieg ist eine Erhöhung der Forschungs- und Entwicklungsausgaben, um einen arbeitssparenden technologischen Fortschritt zu forcieren. Dies bedeutet, dass die Produktionstechnologien dahingehend verändert werden, dass fehlende Arbeitskräfte durch Kapital kompensiert werden. Auch dieser technologische Fortschritt hat einen Anstieg der Arbeitsproduktivität zur Folge.

Beide Kanäle wirken positiv auf das Wachstum der Totalen Faktorproduktivität (TFP) und auf die Arbeitsproduktivität.

Empirie zum Einfluss der Demografie auf die Produktivität

Der Einfluss der demografischen Entwicklung auf den technologischen Fortschritt und die Produktivität ist in der jüngsten Vergangenheit von mehreren Ökonomen untersucht worden. So haben beispielsweise Acemoglu und Restrepo (2017) gezeigt, dass Länder mit einer rasch alternden Arbeitsbevölkerung (z. B. Südkorea, Deutschland und Dänemark) in größerem Ausmaß Roboter in der Produktion einsetzen als Länder, in denen die Alterung der Erwerbstätigen langsamer stattfindet. In einer 2019 veröffentlichen Arbeit untersuchen beide den Einfluss der Bevölkerungsalterung auf die Automatisierung. Für die Gesamtheit der OECD-Länder lässt sich ein gering positiver, aber statistisch nicht signifikanter Zusammenhang nachweisen.

Was ergeben Simulationsrechnungen bis 2050?

Ausgehend von der zu erwartenden Bevölkerungsentwicklung und den bisherigen Zusammenhängen zwischen demografischer Entwicklung und technologischem Fortschritt lassen sich Simulationsrechnungen zur zukünftigen Produktivitätsentwicklung durchführen. Das „Österreichische Institut für Wirtschaftsforschung“ (WIFO) hat solche Berechnungen im Auftrag der Bertelsmann Stiftung für sieben Industrieländern (Deutschland, Österreich, Frankreich, Italien, Spanien, USA und Japan) und auch für weitere makroökonomische Größen bis zum Jahr 2050 erstellt. In diesem Blogbeitrag stellen wir zwei zentrale Szenarien in den Fokus:

  • In einem Basisszenario wird unterstellt, dass die Bevölkerung Deutschlands (Größe und Struktur) bis 2050 auf dem Stand des Jahres 2018 „eingefroren“ wird. Demografiebedingte Änderungen der Arbeitsproduktivität werden damit ausgeblendet.
  • Im Szenario „Bevölkerungsprojektion“ werden die negativen Struktureffekte einer alternden Erwerbsbevölkerung (allen voran der umgekehrt u-förmige Zusammenhang zwischen Alter und Arbeitsproduktivität) ohne positive Rückwirkungen auf den technologischen Fortschritt berechnet.

Mit Blick auf die Entwicklung der Produktivität je Arbeitsstunde ergeben sich für Deutschland folgende Ergebnisse (siehe Abbildung 1): Die negativen Struktureffekte der demografischen Alterung dämpfen die Arbeitsproduktivitätsentwicklung bis 2050. Die Differenz zwischen dem Basisszenario und dem Szenario einer alternden Bevölkerung steigt von rund 0,8 Euro im Jahr 2030 auf knapp 1,9 Euro im Jahr 2050 (in Preisen des Jahres 2010).

Abbildung 1: Auswirkungen der demografischen Entwicklung in Deutschland auf die Arbeitsproduk-tivität (in Preisen des Jahres 2010). Quelle: Bertelsmann Stiftung 2019.

Ein drittes Szenario berücksichtigt die beschriebene positive Rückwirkung der gesellschaftlichen Alterung auf den arbeitssparenden technologischen Fortschritt (hier gemessen als Investitionen in Informations- und Kommunikationstechnologien, IKT, sowie Software). Die daraus resultierenden Effekte für die Arbeitsproduktivität sind jedoch minimal: Wenn der demografisch motivierte verstärkte Einsatz von Investitionen in IKT und Software auch in Zukunft so abläuft wie in der Vergangenheit – unsere Studie orientiert sich am Investitionsverhalten zwischen 1980 und 2018 – verringern sich diese Produktivitätseinbußen nur geringfügig.

Ausblick

Die geringen Unterschiede zwischen den Werten des zweiten und dritten Szenarios könnten dahingehend verstanden werden, dass der demografieinduzierte technologische Fortschritt keine relevante Rolle spielt. Ein wesentlicher Grund für die geringen Differenzen dürfte jedoch der Umstand sein, dass die demografische Alterung in der Vergangenheit noch eher moderat war. Die Investitionsentscheidungen der Unternehmen waren dementsprechend an den technologischen Möglichkeiten zur Optimierung von Produktionsabläufen und der Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen ausgerichtet, weniger hingegen auf den arbeitssparenden technologischen Fortschritt.

Verharren die Investitionen in den technologischen Fortschritt auf dem Niveau der Vergangenheit, sind auch langfristig keine gravierenden positiven Effekte zu erwarten. Das Investitionsverhalten müsste sich im Vergleich zur Vergangenheit daher deutlich ändern. Darüber hinaus sind alle weiteren Maßnahmen zu begrüßen, die die Produktivität insbesondere auch der älteren Erwerbstätigen erhalten (z.B. durch eine Verbesserung des Bildungs- und Qualifikationsniveaus über den gesamten Lebensverlauf oder durch gesundheitsförderliche Arbeitsbedingungen).

Literatur

Acemoglu, D., und P. Restrepo (2019). „Demographics and Automation“. Paper MIT Economics (https://economics.mit.edu/files/16788).

Acemoglu, D., und P. Restrepo (2017). „Secular Stagnation? The Effect of Aging on Economic Growth in the Age of Automation“. American Economic Review (107) 5. 174–179.

Ademmer, M. et al. (2017). “Produktivität in Deutschland Messbarkeit und Entwicklung“. Kieler Beiträge zur Wirtschaftspolitik Nr. 12. Kiel.

Bertelsmann Stiftung (Hrsg.) (2019). Consequences of ageing and directed technological change. Gütersloh.



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