Energie- und Mobilitätswende: Fachkräftesicherung ist der Schlüssel

Prof. Dr. Enzo WeberInstitut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB)

Die Energie- und Mobilitätswende ist eine Generationenherausforderung. Das Top-Thema war sie ohnehin, aber der Ukraine-Krieg hat die Dringlichkeit noch einmal schmerzhaft bewusst gemacht. Aber es geht nicht nur um ein technisches Thema, die Transformation findet im gesellschaftlichen Raum statt.

Und damit entsteht die Hauptsorge: Ist die Energie- und Mobilitätswende ein Jobkiller? Verlieren wir reihenweise etablierte Arbeitsplätze in Bereichen wie Verbrennermotoren, Kohle, energieintensive Produktion?

Umbrüche oder Einbrüche?

In der Tat sind etablierte Jobs, etwa bei der Produktion von Verbrennern, bedroht. Und die ökologische Transformation ist ja nicht die einzige wirtschaftliche Herausforderung, auch die Digitalisierung wird zu starken Änderungen im Arbeitsmarkt führen.

Wichtig ist dabei das Gesamtbild: Zu welchen Umbrüchen wird es kommen? Und geht es um einen Umbruch, oder auch um einen Einbruch?

Aufschluss geben zwei aktuelle Studien, die das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, das Bundesinstitut für Berufsbildung und die Gesellschaft für Wirtschaftliche Strukturforschung in Kooperation erstellen haben. Es geht um die Auswirkung der Transformation der Mobilität sowie der neuen Klimapolitik im Koalitionsvertag auf Wirtschaft und Arbeitsmarkt.

Es gibt positive Beschäftigungseffekte

In den Ansätzen wird berücksichtigt, dass bestehende Jobs durch neue Technologien und Regulierungen ersetzt werden und wegfallen können. Genauso werden aber auch die Investitionen, Infrastrukturentwicklung und neue Geschäftsmodelle betrachtet, die mit der Transformation einhergehen. All diese mit der Transformation bzw. den Maßnahmen verbundenen Impulse werden dann simultan in einem strukturellen Wirtschafts- und Arbeitsmarktmodell simuliert.

Das zentrale Ergebnis: Unterm Strich gibt es positive Beschäftigungseffekte.

Und das gilt auf allen Anforderungsniveaus, es werden also nicht nur „gute“ durch „billige“ Jobs ersetzt. Die klimapolitische Wende ist möglich, ohne in Summe Jobs zu verlieren.

E-Mobilität als Herausforderung und Chance

Dabei ist es durchaus so, dass etwa die E-Mobilität etablierte Jobs kosten wird. Allerdings zeigen regionalisierte Ergebnisse, dass insgesamt auch an den Hauptstandorten der Automobilindustrie keine gravierenden negativen Beschäftigungseffekte auftreten.

Es bleiben gerade hier große Herausforderungen der Transformation, die struktur- und regionalpolitisch entscheidend ist. Wir sind weit entfernt von Entwarnung. Die zu erwartende Entwicklung bietet aber Chancen, die Herausforderung zu bewältigen.

Fachkräftesicherung ist klimapolitisch zentral

Es entstehen wesentliche zusätzliche Bedarfe. Das betrifft vor allem Berufe in den Bereichen Bau, Handwerk (z.B. Klimatechnik), Energietechnik und Verkehr (Kaufleute, Überwachung/Steuerung). Auffällig ist, dass es sich dabei oft um Schlüsselbereiche handelt, in denen schon jetzt Fachkräfteknappheit herrscht.

Fachkräftesicherung ist deshalb klimapolitisch zentral.

Zusätzliche Bedeutung erhält das angesichts der besonderen Dringlichkeit des Ersatzes fossiler Energieträger infolge des Ukraine-Kriegs. Dies spiegelt sich in den Beschlüssen der Koalition von Ende März.

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Berufliche Bildung braucht einen Schub

Für die Fachkräftesicherung braucht die berufliche Bildung einen Schub. Diese gerät bereits seit Jahren ins Hintertreffen, verstärkt durch die Schwierigkeiten während der Corona-Pandemie. Dabei bietet das duale Ausbildungssystem mit seiner Kombination von Theorie und Praxis weltweit anerkannte Vorteile.

Deshalb muss es darum gehen, Jugendliche noch stärker für eine Ausbildung zu motivieren und Kontakte zu Betrieben zu ermöglichen. Das umfasst intensivierte Berufsorientierung und Berufsberatung in den Schulen wie auch den Einsatz betrieblicher Einstiegsqualifizierungen.

Ein niederschwelliger, auch modularer, Einstieg in eine Ausbildung ist wichtig, um auch diejenigen zu erreichen, die immer noch ohne Berufsabschluss bleiben. Damit die Ausbildung zu Zeiten des beschleunigten Wandels wieder an Attraktivität gewinnt, braucht es ein starkes Signal, dass der betriebliche Weg fit macht für die digitalisierte Zukunft des Arbeitens.

Insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen kann ein solches Signal durch ein „Ausbildungsprogramm 4.0“ gegeben werden: Förderung der digitalen Ausstattung, didaktische und technische Schulung des Ausbildungspersonals sowie gezielte Beratungsangebote. Bei Ausstattung und neuen didaktischen Konzepten sollten auch Berufsschulen in das Programm einbezogen werden.

Weitere Qualifizierung ebenfalls essentiell

Neben der Erstausbildung ist die weitere Qualifizierung entscheidend. Vor allem ist es zur Bewältigung des Umbruchs nötig, Beschäftigte dabei zu unterstützen, den Umbruch mitgehen zu können. Wichtig ist dabei eine umfassende Förderung von Zweitausbildungen.

Diese soll die berufliche Umorientierung auch für Menschen in der Mitte des Berufslebens finanziell absichern. Schließlich ist eine Zweitausbildung keine reine Privatsache, sondern ein Beitrag dazu, dass Arbeitsmarkt und Gesellschaft als ganze den Wandel erfolgreich durchlaufen können.

Wer diesen Beitrag leistet, verdient Unterstützung.

Stärkster Hebel liegt in der Migration

Der stärkste Hebel für das Arbeitskräftepotenzial in Deutschland liegt in der Migration. Um dieses konstant zu halten, würden selbst bei steigender Erwerbsbeteiligung jährliche Migrationssalden von gut 400.000 Personen benötigt.

Da wesentliche bisherige Herkunftsländer vor allem im Osten der EU demografisch noch stärker altern als Deutschland, wird eine offene Zuwanderungspolitik gegenüber Drittstaaten entscheidend.

Dazu gehören die Möglichkeiten des Zuwanderungsrechts, die der Koalitionsvertrag erweitern möchte, wie auch Transparenz, einfache Abläufe und Hilfestellungen schon in den Herkunftsländern. Der Anerkennung von Bildungsabschlüssen kommt besondere Bedeutung zu.

Potenzial liegt auch in einer verbesserten Integration. Denn viele Migrantinnen und Migranten arbeiten hierzulande unter den Möglichkeiten, die ihre Kompetenzen eigentlich bieten würden.

Und jährlich ziehen rund zehn Prozent der hier lebenden Menschen aus dem Ausland wieder aus Deutschland fort. Auch wenn dies zu einem weltoffenen Land dazugehört, sind große Migrationssalden mit einer solch hohen Abwanderungsquote mittelfristig kaum erreichbar.

Migrationspolitik muss also immer auch Integrationspolitik sein. Dazu gehören ein umfassender Service, um Kompetenzen und Abschlüsse anzuerkennen und gezielte Qualifizierungen zur berufsbegleitenden Ergänzung fehlender Bausteine. Genauso geht es um Sprachschulungen und Angebote zur Vollzeitkinderbetreuung.

Im Falle längerer Aufenthaltsdauer in Deutschland ist all das auch für die aus der Ukraine geflüchteten Menschen essenziell.

Was kann der Arbeitsmarkt für die Transformation tun?

Mittlerweile müssen wir nicht nur fragen, was die ökologische Transformation am Arbeitsmarkt bewirkt, sondern auch, was der Arbeitsmarkt für die Transformation tun kann. Fachkräfte sind der Engpass bei der Umsetzung ambitionierter Ziele.

Fachkräftepolitik ist deshalb auch Klimapolitik. Und, so abseitig es klingt, leider auch Geopolitik.

 


Weitere Beiträge zum Thema auf unserem Blog:

Ehrlicher Umgang mit Konflikten und Zeitkonstanten – die Herausforderungen für die Energieversorgung von Morgen von Prof. Dr. Manfred Fischedick, Wuppertal Institut

Eine inklusivere und produktivere Arbeitswelt als Antwort auf den Fachkräftemangel von Dr. Anika Jansen, IW

KMU-Klima-Deal: Auf dem Weg zur Klimaneutralität von Prof. Dr. Jana Brauweiler und Kollegen, Hochschule Zittau/Görlitz



Kommentare

  1. / von Angela Josephs

    absolut d´accord, insbesondere, was das Kapitel Migration angeht

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